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Jungkook

Wenn es anderen Menschen beschissen geht, dann kuscheln sie wohl mit ihren besten Freunden, lassen sich trösten und morgen sieht die Welt schon tausendmal besser aus.

Und dann gibt es mich; ich google, was gegen Liebeskummer helfen mag, liege unter meiner Bettdecke mit einer Packung Taschentücher und heule mir die Augen aus dem Kopf. Nicht mal die Tafel Schokolade, die noch immer unberührt und verpackt auf dem Schreibtisch liegt, will ich essen. Ich habe schon überlegt, Eis aus dem Gefrierfach zu nehmen und die Familienpackung selbst zu verputzen, aber sogar dazu fehlt mir die Motivation. Ich möchte einfach sterben.

Liebe tut weh.

Heulend umklammere ich das Kissen stärker und vergrabe mein Gesicht darin. Eigentlich hätte ich ja wohl kaum einen Grund, zu weinen. Immerhin ist es meine eigene Schuld, dass es soweit kam. Dass Taehyung die Schnauze voll von mir hat. Es tut trotzdem scheisse weh. Als ob nicht ich ihn verletzt hätte, sondern er mich. Als wäre er derjenige gewesen, der mir ein Messer ins Herz gejagt hat, obwohl er mich damit hätte beschützen sollen. Als wäre ich der wirklich Leidende und nicht der Grund für dieses Chaos.

Ich habe die Erinnerung genau vor mir, was er gesagt hat, wie er es gesagt und wie er mich dabei angeschaut hat, und ich zähle sie offiziell zu den Top 3 der schlimmsten Erinnerungen meines Lebens. Die erste ist die, als die Polizisten mir von Mums Tod erzählt haben, die zweite ist seine. Und eine dritte will ich gar nicht erst erleben.

Mum wüsste, was zutun wäre, da bin ich mir sicher. Sie hätte irgendeinen Rat für mich, könnte mich irgendwie aufmuntern und hätte irgendeine Idee, die gar nicht mal so schlecht ist. Aber Mum ist nicht mehr da und könnte mir helfen.

"Jungkook?" Da ist es wieder. Das sanfte Klopfen gegen meine Tür, die besorgte Stimme meines Dads, der auch nach mehreren Stunden noch nichts von meiner Schandtat weiss. "Jungkook, willst du mir nicht sagen, was los ist?", fragt er nun zum sicherlich hundertsten Mal.

"Nein!", gebe ich von mir und ziehe geräuschvoll die Nase hoch. "Du kannst doch nicht ewig da drinnen hocken und weinen!", erwidert mein Vater.

"Ich kann!", widerspreche ich schluchzend. Trotzdessen, dass ich ihm erst vor einer Stunde gesagt habe, er soll mich in Ruhe lassen, höre ich, wie die Tür aufgeht und spüre einige Sekunden später seine Hand durch die Decke, die auf meiner Schulter ruht. Ich versuche meine Tränen zu unterdrückend und hole zitternd Luft. Doch schon einige Augenblicke später heule ich wieder auf.

Was ist aus mir geworden? Ich benehme mich wie ein Mädchen.

"Was ist los, Kooks?", fragt mein Vater halblaut. "Ich bin ein schrecklicher Freund", nuschle ich lediglich in mein Kissen und höre, wie er seufzt. "In welchem Sinne? Beziehungsmässig oder Freundschaftlich?"

"Was denkst du denn?!", fahre ich ihn unter der Decke an und verdrücke eine weitere, kleine Träne. "Oh Gott", murmelt er bloss. Ja, oh Gott. Ich bin eine echte Katastrophe. "I-ich wollte ihn nicht ve-verletzen", flüstere ich heiser. Ich wollte es wirklich nicht. Aber ich war egoistisch genug lieber ihn zu verletzen, als mich.

"Hast du versucht, mit ihm zu reden?", fragt mein Vater ruhig und schiebt die Decke zurück. Ich blinzle aufgrund des hellen Lichts und sehe dann in sein besorgtes Gesicht. "Er will mich nicht mehr sehen", erwidere ich heiser, "Und es gibt nichts, was wir noch besprechen müssten. Er weiss, was ich getan habe, ich weiss es auch und verzeihlich ist es nicht."

"Was hast du angestellt?", seufzt mein Vater hilflos und sieht aus dem Fenster.

"Ich habe ihn an seiner verletzlichsten Stelle getroffen - seinem Vertrauen."

Dad nickt nur, bevor er zum Schreibtisch langt und die Schokolade in die Finger nimmt. "Das hilft", meint er, bricht sie noch verpackt in zwei Hälften und packt dann eine aus, um die er noch ein Stück von der Alufolie wickelt und er mir reicht. "Dad, wenn du einen Fehler gemacht hast, wofür Mum wirklich wütend auf dich war... was hast du getan?", frage ich und knabbere lustlos an der Süssigkeit herum. Seine Miene wird nachdenklich. "Ich habe ihr erst Zeit gegeben, sich abzureagieren. Und dann habe ich versucht, mit ihr zu reden. Probier das", meint er.

Ich nicke wortlos und beisse ein Stück von der Milchschokolade ab. Ich muss feststellen, dass es tatsächlich hilft. Als ob man ein Pflaster auf mein Herz klebt. Zwar setzt es die Scherben nicht perfekt zusammen, aber immerhin ist es ein Anfang, oder?

Mein Vater verlässt mein Zimmer wieder, als er merkt, dass ich nicht weiter reden möchte und ich krame aus meiner Hosentasche die kaputte Kette, die mir vor die Füsse geworfen würde, als sei es bloss ein wertloser, dummer Schlüssel. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich die kaputte Kette mustere und daran den einfachen, kleinen Schlüssel. Yoongi sagte, er wollte sie nicht einmal zum Sport ausziehen und hat sich mit dem Lehrer deswegen gestritten. Das hat mir bewiesen, wie wichtig es ihm war, den Schlüssel zu besitzen. Jetzt hat er ihn mir zurückgeben.

Das hat wohl am meisten geschmerzt. Wie er mir die Kette achtlos hingeschleudert hat, gemeinsam mit seinen Worten. Als hätte ihm der Schmuck nie etwas bedeutet. Als hätte ich ihm nie etwas bedeutet - obwohl es doch das komplette Gegenteil ist.


Stripper [Vkook]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt