4. Kapitel

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Ruggero

Seufzend lasse ich mich auf das Sofa fallen und schalte den Fernseher an. In meinen Gedanken schwirrt immer noch das Szenario von vorher herum. Ich sehe Karol noch lebendig vor mir, wie sie neben dem Kleiderständer steht und mich ansieht. Diesen Blick werde ich nie mehr vergessen. So hat sie mich noch nie angesehen. Auf eine so intensive Art.
      Gedankenverloren zappe ich durch die Kanäle, bis ich bei einem stutze. Schnell gehe ich zurück und lasse die Fernbedienung langsam sinken. Mit grossen Augen starre ich auf den Bildschirm, auf dem gerade Karol zu sehen ist.
      »Die Dreharbeiten zu Soy Luna sind ja bald zu Ende«, sagt der Mann, der neben ihr sitzt.
      Karol nickt und erst jetzt fällt mir das Kleid auf, welches sie trägt. Es ist ein schönes rot, dass einem sofort ins Auge fällt. »Werdet ihr euch irgendwann noch wieder sehen? Wird es eine dritte Staffel geben?«, fragt der Moderator. Karol nimmt das Mikrofon an ihre Lippen und beginnt lächelnd zu erzählen.
      »Natürlich. Es wird bald eine Soy Luna Tour geben«, gibt sie bekannt und augenblicklich höre ich Gekreische. Karols Lächeln wird breiter und auch ich beginne automatisch zu lächeln. Der Moderator deutet dem Publikum an, ruhiger zu sein und wendet sich dann wieder Karol zu. »Wir haben natürlich auch sehr viele Zuschauerfragen bekommen.« Wieder nickt sie. Er holt tief Luft und stellt die erste Frage.
      »Eine der meistgestellten Fragen war, ob du für Lutteo oder Lumon bist?« Würde ich dort sitzen, hätte ich die Antwort schon lange rausgeschrien.
      Karol hingegen setzt ein verlegenes Lächeln auf und sieht den Mann entschuldigend an. »Ich sage nichts dazu.«, sagt sie schlicht und ich muss mir ein Grinsen verkneifen. Ich weiss, dass Karol diese Frage hasst. Bei jedem anderen wäre diese Antwort überheblich rübergekommen, bei Karol hingegen kommt es einfach nur süss rüber. Verstehend nickt der Moderator und sieht wieder auf seine Karten.
      »Die letzte Frage ist, ob du mit Ruggero Pasquarelli zusammen bist?« Augenblicklich halte ich meine Luft an und sehe mit grossen Augen auf den Bildschirm. Karol scheint ebenfalls überrascht zu sein, weshalb sie den Mann einfach mehrere Sekunden fassungslos anstarrt.
      Eine Ewigkeit später, schüttelt sie den Kopf und sagt »Nein.« Ein leichtes Lächeln legt sich auf ihre Lippen. »Wir sind gute Freunde«, stellt sie klar.
      Aus irgendeinem Grund bin ich enttäuscht. Wieso bin ich enttäuscht? Als ob sie gesagt hätte, dass wir zusammen wären. Wieso hätte sie das tun sollen? Ich verwerfe die Gedanken und sehe wieder auf den Bildschirm. Mittlerweile läuft nur noch Werbung, weshalb ich den Fernseher einfach abschalte.

Am nächsten Morgen bin ich fast eine halbe Stunde zu früh am Set, was eigentlich nicht üblich für mich ist. Jedoch konnte ich diese Nacht überhaupt nicht schlafen, weshalb ich einfach früher gekommen bin. Stört ja keinen. Nachdem ich einen Grossteil begrüsst habe, gehe ich in die Maske, falls überhaupt schon jemand dort ist. Langsam mache ich die Tür auf und strecke meinen Kopf rein. Tatsächlich erkenne ich Angela, die Maskenbildnerin.
      Sie erblickt mich ebenfalls und weitet überrascht die Augen. »Ruggero?«, fragt sie ungläubig. Grinsend nicke ich. »Was machst du so früh schon hier?« Ich zucke mit den Schultern und lasse mich auf einen Stuhl fallen.
      »Ich konnte nicht schlafen«, sage ich schlicht und gähne. Sie nickt und wechselt mit Maria einen vielsagenden Blick, den ich jedoch ignoriere.
Nach einigen Minuten ist sie mit allem fertig und ich stehe auf. Adriana, eine Kostümbildnerin, drückt mir meine Kleider in die Hand. Ich bedanke mich und gehe mit den Kleidern in mein Zimmer. Mit einem kurzen Blick in das Zimmer, stelle ich fest, dass Agus und Jorge noch nicht da sind. Also ziehe ich mich um und lege mich dann auf das Sofa. Dort nehme ich mein Handy hervor und scrolle ein bisschen durch Twitter. Gerade, als ich etwas twittern will, tritt Agus in das Zimmer rein. Als er mich erblickt, stutzt er. »Du?«
      Ich nicke lachend und stehe auf, um ihn zu umarmen.
      »Ja, ich.«
      »Seit wann kommst du so früh hierher?« Er geht quer durchs Zimmer und stellt seine Sachen in eine Ecke ab.
      Ich zucke mit den Schultern. »Wieso nicht?« Auch er zuckt nur mit den Schultern. Danach kehrt Ruhe ein.
      »Hast du den Drehplan?«, fragt er mich nach einer Weile. Ich nicke und krame in meiner Tasche rum. Nachdem ich ihn gefunden habe, gebe ich ihn Agus, der ihn aufmerksam studiert. Nach einer Weile nickt er und gibt ihn mir wieder zurück.
      »Gehen wir?«, fragt er. Ich nicke und wir verlassen das Zimmer. Schon von weitem hören wir verschiedene Stimmen durcheinander reden.
      Nach einigen Minuten sind wir alle versammelt. Mein Blick fällt in die Runde, wo ich nach Karol Ausschau halte. Wo ist sie? Sie müsste heute doch auch kommen, oder? Wie als könnte man meine Gedanken lesen, kommt sie auf uns zugerannt und stellt sich neben mich hin. Jorge und Martin scheint ihr nicht pünktliches Erscheinen nicht aufgefallenen zu sein.
      »Auch schon hier?«, frage ich schmunzelnd. Sie dreht sich zu mir um und betrachtet mich mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ich habe verschlafen«, rechtfertigt sie sich und wendet ihren Blick wieder ab. Anscheinend scheint sie sich darauf konzentrieren zu wollen, was Jorge sagt, doch er steht zu weit weg. Entmutigt lässt sie ihre Schultern sinken. Ich betrachte sie von der Seite. Mein Blick wandert langsam ihren Körper herab, doch nach einigen Sekunden drehe ich mich weg und verschränke meine Hände hinter dem Rücken.
      »Habt ihr es alle verstanden?«, fragt Jorge in die Runde. Alle nicken und beginnen sich zu verstreuen. Nur Karol und ich stehen ahnungslos da. Bevor ich etwas sagen kann, zieht mich Agustin an der Schulter nach hinten und auch Karol wird von Carolina mitgezogen.
      »Was machen wir denn jetzt genau?«, frage ich ahnungslos.
      »Die Szene, bei der wir die Gruppen für den Wettbewerben aufteilen«, erklärt er mir. Wissend nicke ich und setze mich auf einen Hocker. Es scheint irgendein Problem zu geben, da keiner von den beiden Regisseuren zu sehen ist. Mein Blick wandert automatisch zu Karol.
      »Wir haben noch nicht angefangen zu drehen«, weist mich Agus lachend daraufhin und ich wende meinen Blick von ihr ab.
      Ich runzele meine Stirn. »Wie meinst du das?« Er winkt mit einer Hand ab und auch ich verdränge seine Aussage.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt