36. Kapitel

541 34 4
                                    

Ruggero

Das Sonnenlicht scheint gegen meine Augenlider. Langsam mache ich meine Augen auf, schliesse sie aber gleich wieder, als ich in das helle Licht blicke. Unwillkürlich ziehe ich Karol näher an mich heran. Ihr leises Kichern dringt bis zu mir durch, also scheint sie wach zu sein. Ich vergrabe mein Gesicht in ihrer Halsbeuge und atme ihren Duft ein. Sie seufzt und legt sich so hin, dass ihr Gesicht direkt vor meinem ist.
      »Ich muss gehen«, sagt sie.
      Noch nicht ganz bei Sinnen, schliesse ich meine Augen und nicke. Im nächsten Moment reisse ich sie auf. »Was?«
      »Ja, ich muss noch etwas erledigen.« Ihre Augen sehen jeden Punkt in dem Zimmer an, ausser mich.
      »Na dann.« Ich rappele mich auf und ziehe mir eine Trainerhose, die auf dem Boden liegt, über die Beine.
      Karol steht ebenfalls auf und läuft nur in Unterwäsche zu ihrer Tasche, um ihre Kleider herauszuholen. Mein Blick bleibt an ihr kleben. Sie streift sich ihren Pulli über die Brust und streicht ihn glatt. Dann holt sie ihre Hose hervor und schlüpft mit beiden Beinen rein. Kurz springt sie in die Höhe und zieht sie dann bis zu ihrer Hüfte hoch.
      Danach richtet sie ihren Blick auf und sieht zu mir. Ihre Wangen nehmen einen rotstichigen Ton an, woraufhin sie verlegen auf den Boden blickt. Grinsend stehe ich auf und laufe zu ihr rüber. Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich Karol verlegen sehe. Hinter ihr bleibe ich stehen und schlinge meine Arme um ihren Bauch. »Du bist echt süss, wenn du verlegen bist.«
      Abrupt windet sie sich aus meinen Armen und sieht mich herausfordernd an. »Ich bin nicht verlegen«, stellt sie klar und hält beschwichtigend ihren Zeigefinder in meine Richtung.
      Schmunzelnd halte ich meine Hände in die Höhe. »Klar.«
      Sie wirft mir noch einen tödlichen Blick zu, bevor sie mit zielstrebigen Schritten aus dem Zimmer läuft. Ich folge ihr und lehne mich an den Schrank, der im Flur steht. Stumm sehe ich zu, wie sie ihre Schuhe und ihre Jacke anzieht. Als sie fertig ist, steht sie unschlüssig vor der Tür herum. An ihrem Blick erkenne ich, dass sie keine Ahnung hat, was sie machen soll. Ich nehme es ihr nicht übel. Schliesslich hatte sie letzte Nacht ihr erstes Mal. Beim Gedanken daran, schiesst mir die Hitze in den Kopf, fange mich aber schnell wieder.
      »Du bist natürlich gar nicht verlegen«, stelle ich grinsend fest.
      Sie verdreht ihre Augen, kommt auf mich zu und stellt sich auf die Zehenspitzen. Daraufhin drückt sie mir einen kurzen Kuss auf die Lippen und dreht sich endgültig um.
      »Ich bin nicht verlegen«, ruft sie noch, während sie die Treppen runtersteigt.
      »Ich habe nie etwas anderes behauptet.« Ich sehe ihr Grinsen praktisch vor mir. Als sie nicht mehr darauf erwidert, schliesse ich die Türe. Mit dem Rücken lehne mich an die Tür und grinse mein eigenes Spiegelbild an.
      Nach einigen Stunden, in denen ich meine Wohnung ein bisschen aufgeräumt und mich geduscht habe, lege ich mich auf mein Sofa. Ich schliesse meine Augen und geniesse einfach die Ruhe, die dann von meinem Handy unterbrochen wird. Ächzend stehe ich auf und laufe mit schnellen Schritten zu dem Tisch, auf dem das Handy liegt. Ohne einen Blick darauf zu werfen, wer mich anruft, nehme ich den Anruf entgegen und halte mir das Handy an mein Ohr.
      »Hallo?«, sage ich.
      »Hey«, erwidert Agus. »Ich bin mit Maxie in einem Café, willst du vorbeikommen?«
      Ich werfe einen Blick auf die Uhr und nicke dann, obwohl er mich nicht sieht. »Klar, welches?«
      Er sagt irgendetwas zu Maxie, das ich jedoch nicht verstehe. »Keine Ahnung, ich schicke dir die Adresse.«
      Wir verabschieden uns voneinander und während ich noch auf die Nachricht von ihm warte, beginne ich mich umzuziehen.
      Meine Gedanken schweifen unbewusst zu diesem David Ruiz. Letztens habe ich Karol gefragt, ob sie ihm wieder begegnet ist, doch sie hat es verneint. Er macht auf mich keinen vertrauenswürdigen Eindruck, was hoffentlich auch nachvollziehbar ist. Als ich ihm das letzte Mal in einem recht abgelegenen Stadtteil zusammen mit Karol begegnet bin, konnte er nicht einmal gerade laufen.
      Ich schiebe die Gedanken beiseite, da ich nichts zu befürchten habe. Schliesslich hat Karol das Angebot abgelehnt.
      Als ich mich fertig gemacht habe, werfe ich mir noch eine Jacke rüber und nehme mein Handy hervor. Agus hat mir die Adresse geschickt und ich berechne mit meinem Handy die Laufzeit der Route. Sieben Minuten. Das krieg ich hin. Also beginne ich die verlangte Strecke abzulaufen. Auf der Hälfte der Strecke, scheinen mich ein paar Leute zu erkennen, da sie aufgeregt in meine Richtung sehen.
      Unauffällig beobachte ich sie. Nach einigem hin und her, entscheiden sie sich schliesslich dazu, mir entgegenzukommen. Ein kleines Lächeln stielt sich auf meine Lippen. Als sie nur noch einige Schritte von mir entfernt sind, nehmen sie ihre Handys hervor und bleiben stehen. Es sind zwei ältere Mädchen und ein kleines.
      Einen Moment später, unterhalte ich mich kurz ihnen und wir machen ein paar Fotos zusammen. Schliesslich gehe ich in die Hocke, damit ich das kleinere Mädchen anschauen kann. Sie lächelt mich zuckersüss an. Nach meinen Einschätzungen müsste sie ungefähr sechs Jahre sein. Auch mit ihr mache ich ein Foto und will gerade wieder aufstehen, als sie mich an meiner Jacke festhält. Ich sehe sie an.
      »Bist du in Luna verliebt?«, fragt sie mich.
      Ich nicke mit einem leichten Grinsen auf den Lippen. »Ja, ich bin in Luna verliebt.«
      Sie beginnt ebenfalls zu Lächeln. Ich könnte sie auffressen, so süss wie sie ist.
      Anschliessend verabschiede ich mich von allen und setze meinen Weg zum Café fort. Als ich mein Handy hervorhole, sehe ich eine Nachricht von Agus.

Kommst du heute noch, oder bist du auf den Mond geflogen? :D

Ich ignoriere die Nachricht einfach und verkneife mir ein Grinsen. Anscheinend nimmt er seine Rolle ein bisschen zu ernst.
      Wieder werfe ich einen Blick auf mein Handy und biege um die nächste Ecke. Noch fünf Minuten.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt