Karol
Ich liege in meinem Bett, welches sich im Tourbus befindet und starre mal wieder den Lattenrost an. Mir fällt das Gespräch ein, das ich mit Carolina und Katja über diese wunderschönen Bretter geführt habe. Unbewusst muss ich lächeln, aber es verfliegt so schnell, wie es gekommen ist.
Meinen Blick lasse ich über den Gang schweifen. Jorge, Ana und Michael führen eine hitzige Diskussion über irgendetwas. Gaston, Agus, Ruggero, Lionel, Malena und Katja spielen ein Kartenspiel, das Gaston zu gewinnen scheint, da er siegessicher grinst und Lio entrüstet seine Miene verzieht. Valentina und Caro sitzen auf dem Bett gegenüber und führen ein Gespräch, in dem ich vorher noch mitgeredet habe, mich dann aber meinen eigenen Gedanken gewidmet habe.
Wie ich erfahren habe, haben sich alle riesige Sorgen um mich gemacht. Ich habe ihnen versichert, dass alles okay ist, was es auch irgendwie ist.
Ich bin erst heute Morgen vom Krankenhaus gekommen. Das Bild, welches sich fest in meine Gedanken eingeprägt hat, ist einfach nicht zu verscheuchen.
David Ruiz, mein Vater, hat sich gestern Abend so sehr mit Drogen vollgepumpt, dass er in seinem Büro eingeschlafen ist und anscheinend auf den Boden gefallen ist. Dann ist er an seiner eigenen Kotze erstickt. Ich habe schon oft gelesen, dass diverse Menschen nach einem zu hohen Drogenkonsum sterben. Wie, ist je nach Ursache unterschiedlich.
Man sagt, seine Leiche wäre mehrere Stunden alleine in seinem Büro gelegen, bis ihn jemand zufällig gefunden hat. Es war ebenfalls zu spät, ihn wiederzubeleben. Wieso, weiss ich nicht mehr. Der Arzt hat meiner Mutter eine Reihe von Informationen durchgegeben, die ich zum Teil nicht einmal wissen wollte.
Ich fühle mich richtig merkwürdig. Mein Gehirn versucht noch die letzten Stunden zu verarbeiten. Irgendwie ist mir noch nicht richtig bewusst, dass mein leiblicher Vater gestern gestorben ist. Es fühlt sich an, als wäre alles in mir leer. Als hätte ich keine Gefühle mehr. Keine einzige Träne habe ich seit gestern vergossen. Sogar nicht, als ich Bekanntschaft mit seiner Tochter machen durfte - also meine Halbschwester. Seine Tochter ist die Frau, die sich an Ruggero rangemacht hat, was heisst, dass er meine Mutter schon mehrere Jahre vor meiner Geburt betrogen hat. Sie hat mir die Schuld für seinen Tod in die Schuhe geschoben. Sie ist genauso hinterhältig, wie ich sie mir vorgestellt habe.
Laut seufze ich aus und drehe mich wieder zu Valentina und Carolina, die mir aufmunternd zulächeln. Aufrichtig erwidere ich ihr Lächeln.Das letzte Mal darf ich Que mas da mit Ruggero auf der Bühne singen. Aufgeregt laufe ich hinter der Bühne zur anderen Seite. Diesen Fehler mache ich bestimmt nie mehr in meinem Leben.
Bis jetzt ist der Auftritt reibungslos verlaufen. Jetzt kommt nur noch unser Auftritt und anschliessend gehen wir wieder alle zusammen auf die Bühne mit dem Song Vuelo.
Ich höre die Schlusstöne von Un Destino und warte einige Sekunden, bis das Licht auf eine Stelle vor mir sichtbar wird. Mit gesenktem Kopf trete ich unter die Scheinwerfer und nehme einzelne Rufe wahr. Lächelnd beginne ich meinen Text zu singen und laufe auf die Mitte der Bühne zu. Ruggero singt ebenfalls seinen Part und kommt langsam auf mich zu.
Wie immer tanzen wir unsere Choreo ohne Zwischenfälle und kommen am Schluss an. Dem Kuss. Dieses Mal liegt etwas anderes zwischen uns in der Luft. Es ist nicht wie bei den anderen Auftritten, in denen man die negative Energie praktisch mit den Händen greifen konnte, nein. Seine Augen haben das Leuchten angenommen, das ich so vermisst habe. Sanft legt er seine Lippen auf meine und küsst mich. Er legt seine Lippen nicht wie vorgeschrieben nur auf meine, sondern er küsst mich. Mein Herz macht einen Sprung und hört dann auf zu schlagen. Kurz habe ich Angst an einem Herzstillstand zu sterben, bis es dann beginnt dreimal so schnell weiterzuschlagen.
Seine Hände liegen an meinen Wangen, die ein prickelndes Gefühl darauf hinterlassen. Ich erwidere den Kuss und spüre daraufhin, wie er leicht beginnt zu Lächeln.
Langsam löst er sich von mir und lehnt seine Stirn gegen meine. Lächelnd beisse ich mir auf die Unterlippe. Noch ein letztes Mal winken wir in die Menge und laufen mit verschränkten Händen auf den Bühnenausgang zu.
Jedoch haben wir jetzt keine Zeit, da wir im Laufe der Tour die Reihenfolge gewechselt haben. Eigentlich wäre jetzt noch die Rollerband dran, aber die war jetzt mit beiden Liedern vor uns dran. Schnell ziehen wir uns um und stürmen auf die Bühne, um den letzten Song dieser Tour zu singen.
In meinem Bauch sprudelt es nur so von Glücksgefühlen, als ich als letzte die Bühne betrete. Ich beginne die ersten paar Wörter zu singen und nach und nach steigen auch die Anderen mit ein.
Jetzt schon weiss ich, dass ich das Gefühl vermissen werde, auf der Bühne zu stehen. Hier vergisst man alle seine Sorgen. Die Lichter, die auf einen herabscheinen. Die jubelnde Menge, die alle Texte auswendig können. Einfach alles.
Nachdem der letzte Ton des Liedes verklungen ist und wir in der Endpose alle beieinander stehen, löschen die Lichter ab. Ich höre von Einzelnen ein leises Keuchen, aber das kann ich niemandem verübeln. Tanzen und Singen gleichzeitig verlangt nicht nur höchste Konzentration, sondern auch Kondition.
Die Lichter gehen an und wieder ertönt grosser Lärm. Ich trete einige Schritte nach vorne und lächele. »Vielen Dank, Mexiko!«, rufe ich, woraufhin alle beginne zu Schreien. Lachend halte ich die Hände in die Luft und winke. »Ihr wart toll. Danke!« Nach diesen Worten gehen wir alle raus und lächeln uns traurig an. Die Tour ist offiziell vorbei. Ich kann nicht verhindern, dass mir eine Träne die Wange herab rinnt, während ich alle nacheinander umarme.
Als wir alle unsere Sachen gepackt haben, versammeln wir uns in einem Raum. Der Bus, der uns zum Flughafen bringt, hat eine kleine Verspätung, weshalb ich diese Verspätung nutzen werde, um mit Ruggero zu reden. Ob er denkt, dass unsere Beziehung noch eine Chance verdient hat? Zuerst werde ich ihm natürlich alles erklären. Das mit David Ruiz und dem Angebot, welches ich angenommen habe, welches sich jetzt hoffentlich erledigt hat.
»Agus?«, frage ich. Fragend sieht er mich an. »Hast du Ruggero gesehen?«
Er nickt und wenn ich mich nicht irre, habe ich ein kleines Zucken seiner Mundwinkel gesehen. »Er ist vorher durch den Hintereingang rausgegangen.«
»Vielen Dank«, sage ich und mache mich auf den Weg.
Langsam stosse ich die Tür auf und atme die erfrischende Nachtluft ein. Bis mir etwas in mein Auge springt. Mein Kopf dreht sich wie automatisch nach links, wo ich Ruggero vorfinde. Jedoch nicht alleine. Es ist nicht zu übersehen, dass er gerade Lucia küsst.
Wie versteinert stehe ich da. Nicht einmal dazu fähig, Luft zu holen. Sie lösen sich voneinander und Lucia sieht mich siegessicher an. Ruggero dreht sich ebenfalls nach hinten. Als er mich erblickt, weiten sich seine Augen erschrocken. »Karol«, flüstert er.
Niedergeschlagen schüttele ich meinen Kopf und senke meinen Blick auf den Boden. Im Moment kann ich ihm nicht in seine Augen sehen.
Ich rüttele an der Tür, die sich jedoch nicht öffnen lässt. Aus purer Verzweiflung, drehe ich mich um und renne um die nächste Ecke. Meine Tränen fliessen mir nur so aus den Augen, während mein Herz in tausend Teile zerspringt. Sie hat es tatsächlich geschafft. Einen Augenblick zu spät nehme ich eine Bewegung vom Augenwinkel wahr. Es durchzuckt mich ein kaum auszuhaltender Schmerz. Ein unbeschreiblicher Laut entfährt mir, bevor ich mit meinem Kopf gegen etwas hartes Krache. Langsam verschwimmt alles. Der Schmerz scheint sich langsam in meinem Körper aufzulösen. Wie in Watte gepackt, nehme ich wahr, wie jemand meinen Namen ruft. Dann fallen mir meine Augen zu.
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Ruggarol - Verlorene Erinnerungen
FanfictionKarol und Ruggero sehen einander als beste Freunde. Doch was passiert, wenn sich die Sichtweise der Beiden plötzlich verändert? Zwischen unzähligen Interviews und Terminen muss Karol noch einen Deal mit einem Regisseuren einhalten. Der merkwürdige F...