19. Kapitel

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Karol            

Langsam schliesse ich die Türe hinter mir und lehne mich daran. Ich muss meine Gedanken ordnen. Dieser Mann kam mir so bekannt vor. Bestimmt habe ich ihn schon irgendwo mal gesehen. Angestrengt überlege ich, wo ich ihn schon mel gesehen haben könnte.
      Ruggeros Stimme holt mich in die Realität zurück. »Alles gut?«, fragt er und steht vor mich hin. Ich nicke und streiche mir die herausgefallenen Haarsträhnen aus dem Gesicht.
      Eine Weile stehen wir belanglos im Zimmer herum, bis er beginnt zu reden. »Karol« Er sieht mir genau in die Augen. Augenblicklich steigt mir die Hitze in den Kopf und ich beginne auf meiner Unterlippe herumzukauen. Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, lässt mich in Verlegenheit geraten. »Was ist das zwischen uns?« Er spricht die eine Frage aus, die mir seit Tagen im Kopf herum schwirrt. Was ist das zwischen uns?
      Vergeblich wartet er eine Reaktion von mir ab. Mit einer Hand fährt er sich durch die Haare und kommt einen Schritt auf mich zu. »Also wenn du keine Antwort darauf hast, hätte ich eine.« Mittlerweile ist er mir so nah, dass kein Blatt mehr zwischen uns passen würde. Mein Verstand hat sich auf einen Standby Modus geschaltet. Verzweifelt versuche ich irgendeinen logischen Satz aus meinem Gehirn zu kramen, doch es kommen keine Worte aus meinem Mund. Ohne Vorwarnung tritt er plötzlich einen Schritt zurück. Die Luft, die ich unbewusst angehalten habe, stosse ich heraus und sehe ihn an.
      Fragend zieht er seine Augenbrauen in die Höhe und mustert mich verschmitzt. Was war das? Und wieso hat er das gemacht? Er weiss genau, was für eine Wirkung er auf mich hat. Ich versuche ziemlich neutral zu sein und lehne mich an die Tür. Wie steht man neutral? Wie atmet man neutral? Wie soll ich meine Füsse hinstellen? Ich verbanne die Gedanken aus meinem Kopf und sehe zu ihm rauf.
      »Was wäre deine Antwort?« War meine Stimme neutral genug? Soll ich meine Arme verschränken? Sieht das dann neutral aus? Ich schüttele meinen Kopf, um meine komischen Gedanken zu verdrängen.
      Ruggero sieht mich teils besorgt, teils amüsiert an. Fragend ziehe ich meine Augenbrauen in die Höhe und warte nach wie vor auf seine Antwort. Warte, was für eine Frage habe ich überhaupt gestellt? Ich durchforste mein Gehirn nach einer Frage, bis mir klar wird, dass er mir eine gestellt hat. Seine Stimme hallt in meinem Kopf herum. Nach wie vor sehe ich ihn an und warte mehr als nur gespannt auf die Antwort. Was ist, wenn er nichts mit mir zu tun haben will? Was ist, wenn er mir sagt, dass er nichts für mich fühlt? Bevor noch weitere Möglichkeiten in mein Gehirn einsprudeln, nimmt er meine Hand und zieht mich einen Schritt näher zu sich.
      »Karol, mir ist bewusst geworden, dass du mehr sehr viel bedeutest.« In meinem Brustbereich breitet sich eine angenehme Wärme aus. Plötzlich schüttelt er den Kopf. Hat er gelogen? Wollte er eigentlich etwas anderes sagen? »Nein, das stimmt nicht«, sagt er. Ein zögerliches Lächeln breitet sich über seine Lippen aus. »Du bedeutest mir viel mehr als viel.« Er macht eine kurze Pause, bevor er fortfährt. »Karol, ich liebe dich.«
      Mein Herz hört auf zu schlagen. Zuerst habe ich Angst, an einem Herzstillstand zu sterben, bis es dann beginnt vierfach so schnell zu schlagen. Meine Knie werden butterweich. Langsam sickern seine Worte in mein Gehirn durch.
      Ich hebe meinen Blick und sehe ihm in die Augen, die mich erwartungsvoll ansehen. Er liebt mich. Er liebt mich. Es wiederholt sich wie ein Mantra in meinem Kopf, bis ich das Gefühl habe nicht mehr selbstständig stehen zu können und mich in seine Arme werfe. Ohne zu zögern, schlingt er seine Arme um meinen Körper. An den Stellen, an denen er mich berührt, beginnt es zu kribbeln.
      »Ich liebe dich auch«, flüstere ich, ohne darüber nachzudenken. Ich spüre sein Lächeln an meiner Schulter. Wieder werden wir von einem Klopfen unterbrochen. Langsam lösen wir uns, doch ich kann meinen Blick nur schwer von ihm lösen. Seine Wangen sind leicht gerötet, was so süss aussieht, dass ich Angst habe jetzt gleich in Ohnmacht zu fallen.
      Schliesslich schaffe ich es doch nicht umzufallen und drehe mich zur Tür, um sie aufzumachen. Zuerst erblicke ich nur Diego, der mich erwartungsvoll anlächelt. Bis ich eine Person hinter ihm registriere. Im nächsten Moment bin ich schon über die Türschwelle getreten und werfe mich in die Arme meiner Mutter. Nach einer langen Umarmung löse ich mich von ihr. Mein Grinsen zieht sich wahrscheinlich über mein ganzes Gesicht, was bestimmt bescheuert aussieht. Aber im Moment bin ich der glücklichste Mensch auf Erden.
      »Ich dachte du kommst erst um Mitternacht?«
      Bestimmt schüttelt sie den Kopf und fährt mir durch die Haare. »Du kannst dir einfach keine Termine merken«, sagt sie und lächelt.
      Empört reisse ich meine Augen auf und sehe nach hinten zu Ruggero, der kaum merklich lacht. Bevor ich noch etwas sagen kann, redet sie weiter. »Ich gehe jetzt in mein Zimmer.« Nach diesem Satz dreht sie sich um und geht in das Zimmer, welches neben dem von Ruggero und mir ist. Entsetzt darüber starre ich die Tür an, welche gerade zugefallen ist.
      »Karol, sieh es einfach ein.« Ruggero redet fast schon beruhigend auf mich ein, was mir ein schmunzeln entlockt. Ich laufe an ihm vorbei in den Raum und lege mich hin. An Schlaf ist nicht zu denken. In den letzten Tagen habe ich so viel geschlafen, dass ich jetzt unmöglich einschlafen könnte. Was könnte ich machen? Plötzlich kommt mir ein Gedankenblitz.
      »Ruggerito!«, rufe ich und setze mich auf. Stirnrunzelnd steht er am Türrahmen und betrachtet mich.
      »Ja?«
      »Können wir raus gehen?«
      »Wieso?«
      »Wieso nicht?«, kontere ich und stehe auf. »Wo sind wir eigentlich?«
      Ungläubig schüttelt er den Kopf. »München«, antwortet er. Ich nicke und laufe zu meinem Koffer um eine dünne Jacke rauszunehmen.
      Nach einigen Überredungsküsten meinerseits, habe ich es geschafft Ruggero nach draussen zu lotsen und stehe jetzt mit ihm vor dem Eingang des Hotels. Sichtlich amüsiert über meine Vorfreude, sieht er mich an. »Und jetzt?« Ich zucke mit den Schultern und beginne einfach voraus zu laufen. Irgendwie werden wir schon noch zurück finden. Hoffe ich zumindest ...

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Welche Sicht mögt ihr lieber? Die von Karol oder Ruggero?🙈

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt