Karol
Eins, zwei, drei .. Ich schliesse meine Augen und atme das letzte Mal ein, bevor ich auf diese Bühne gehe.
Im nächsten Moment ertönt der Titelsong der Serie und ich stürme auf die Bühne, gefolgt von allen anderen. Bewusst sehe ich in die ganze Menge und habe erstmal Mühe überhaupt etwas zu erkennen, bis sich meine Augen an das grelle Licht gewöhnen. Als ich jedoch die gefüllte Halle sehe, stockt mir der Atem. Fast. Denn ich muss ja singen. Da wir den ersten Song alle zusammen singen, wird man meinen kleinen Patzer hoffentlich nicht bemerken.
Völlig neben der Spur tanze ich die Choreo, die wir einstudiert haben. Ich könnte sie ohne Probleme auch im Schlaf tanzen, was mir jetzt zu Gute kommt.
Es fühlt sich so an, als wäre ich im Rausch. Überall Lichter, die man nicht wirklich zuordnen kann. Schreie, die man nicht genau registriert. Es fühlt sich nicht real an. Aber trotzdem nimmt man alles bis ins kleinste Detail wahr. Ich spüre, wie sich eine Gänsehaut auf meinen Armen breitmacht.
Der Auftritt ist schneller vorbei, als ich denken kann. Im letzten Moment nehme ich wahr, wie die anderen zum Ausgang rennen, weshalb ich es ihnen schnell nachmache. In Rekordtempo wechseln wir unsere Kleidung. Wir sollten beim nächsten Mal die Zeit messen. Vielleicht schaffen wir es ins Guinness World Buch der Rekorde. Ich verschiebe die Gedanken schnell auf später.
Auch die nächsten Paar Auftritte vergehen rasend schnell. Ich habe im Moment keine Ahnung, wer dran ist, aber ich weiss, dass Ruggero und ich mit dem Song »Que mas da« als Nächstes dran sind. Meine Hände zittern noch mehr, als am Anfang und ich habe das Gefühl jetzt gleich in Ohnmacht zu fallen, wenn ich meine Atmung nicht gleich auf ein einigermassen normales Tempo runterschraube.
Es ist nur ein unbedeutender Kuss. Ja, nur ein unbedeutender Kuss. Ist ja nicht so, dass ich alleine schon bei der Erwähnung seines Namens ein Kribbeln im Bauch verspüre, nein, überhaupt nicht.
»Ruggero!«, ruft jemand. Ernsthaft jetzt? Mit zusammengezogenen Augenbrauen drehe ich mich zu Agus nach hinten, der meinen Blick mit einem Stirnrunzeln erwidert.
Schnell drehe ich mich wieder zurück und stütze den Kopf auf meine Hände.
»Karol!«, ruft jemand aufgebracht. Eine Frau, von der ich vor lauter Aufregung im Moment den Namen vergessen habe, sieht mich entgeistert an. Das Adrenalin in meinem Körper erhöht sich auf das Doppelte. »Du musst auf die andere Seite.«
Ich klatsche mir auf die Stirn. Das kann auch nur mir passieren. Mit einem entschuldigenden Lächeln renne ich im Eiltempo unter der Bühne durch, zur anderen Seite. Ich schnappe einzelne Fetzen auf von dem Song, der gerade spielt. Un destino.
Ausser Atem komme ich an und streiche mir mit einer Hand über das Gesicht. Scheisse. Hoffentlich ist meine Schminke nicht verschmiert.
Ich massiere mir meine Schläfen und flüstere mir selber beruhigende Worte zu. Es wird alles gut. Nur ein Kuss und eine Choreographie, bei der wir ziemlich nahe beieinander stehen. Was soll da schon schiefgehen?
Leider ist der Song schon vorbei. Es wird dunkel und die Lichter richten sich auf die Ränder der Bühne. Es ist genauso, wie wir es gedreht haben. Nur dass die Choreo ein bisschen mehr geworden ist. Ich kontrolliere noch einmal, ob das Mikrofon richtig sitzt und trete dann schliesslich unter das Licht. Die Musik beginnt zu spielen und glücklicherweise übertönt sie auch meine Gedanken. In der Mitte der Bühne angekommen, wage ich wieder einen Blick auf das Publikum. Meine Gefühle habe ich einigermassen in den Griff bekommen, aber dennoch überwältigt es mich jedes Mal aufs Neue.
Ruggero beginnt seinen Part zu singen und kommt langsam auf mich zu. Als er direkt vor mir steht, sehe ich ihm in die Augen. Da ich Schuhe mit einem recht hohen Absatz trage, muss ich meinen Nacken nicht so überanstrengen.
Seine Hand streift meinen Arm und schliesslich ergreift er meine Hand. So sanft, dass es mir die Luft zum Atmen raubt. Und im Moment die Luft zum Singen. Schnell konzentriere ich mich auf den Text und singe weiter.
Die Blicke, die er mir zuwirft, sind keinesfalls gespielt. Das merke ich. Trotz dem, dass unsere Trennung bereits eine Woche zurückliegt, erkenne ich immer noch die Enttäuschung und Trauer in seinen Augen. Es zerbricht mir aufs Neue das Herz. Wie konnte ich ihn jemals anlügen? Wieso habe ich ihm nicht von Anfang an die Wahrheit gesagt? Dass ich die ganze Sache nur für meine Mutter mache. Kein Wunder, dass er mich für ein ruhmsüchtiges Mädchen hält. Wer würde mit einem Kiffer freiwillig ein Projekt erarbeiten?
In diesem Moment, in dem mir diese Gedanken nur so durch den Kopf schwirren, verändert sich etwas in seinen Augen. Hoffentlich hat er die Reue, die ich in mir trage, erkannt. Ich hoffe so sehr, dass er mir eines Tages verzeiht. Es muss nicht heute sein. Nicht morgen. Von mir aus auch erst in ein paar Jahren.
Die Musik verabschiedet sich von uns und ich weiss, was jetzt kommt. Unentschlossen schweift sein Blick zu meinen Lippen. Ob er will oder nicht, er muss mich küssen.
Wie als könnte er meine Gedanken lesen, bückt er sich und legt seine Hände um mein Gesicht. Seine Lippen treffen auf meine. Wir müssen uns nicht richtig küssen, aber alleine das Gefühl von seinen Lippen auf meinen, reicht schon, dass ich Angst habe, meine Knie würden nachgeben. Ich blende alle Geräusche um uns herum aus und konzentriere mich auf die Lippen, die gerade auf meinen liegen. Viel zu schnell lösen sie sich von mir. Mein Blick fällt auf seine Augen, aus denen ich absolut nichts lesen kann. Wie, als hätten sie sich vor mir verschlossen. Wie, als hätte er all seine Gefühle vor mir verschlossen.
Noch ein letztes Mal lächeln wir in die Menge und dann nimmt er meine Hand und zusammen gehen wir auf den Eingang zu.
Kaum treten wir über die Türschwelle, lässt er meine Hand los. Ohne mich anzusehen, setzt er sich neben Agus, der ihn mit einem besorgten Blick beäugt. Ich spüre, wie sich meine Kehle langsam zuschnürt. Aber ich werde jetzt nicht losheulen. Ich habe die ganze letzte Woche geweint. Bevor ich doch noch beginne, zieht mich Valentina mit einem Ruck neben sich auf das Sofa.
»Ihr wart toll«, lobt sie und lächelt mich an. Alle, die auch hier sitzen, nicken zustimmend. Aber ich erkenne auch bei ihnen eine gewisse Besorgnis in den Augen.
Ich versuche ein möglichst echtwirkendes Lächeln auf meine Lippen zu bringen. »Danke.«
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Ruggarol - Verlorene Erinnerungen
FanficKarol und Ruggero sehen einander als beste Freunde. Doch was passiert, wenn sich die Sichtweise der Beiden plötzlich verändert? Zwischen unzähligen Interviews und Terminen muss Karol noch einen Deal mit einem Regisseuren einhalten. Der merkwürdige F...