Karol
In meinem Magen brodelt es vor Wut. Herr Ruiz hat mich wieder in sein Büro bestellt, da er beim letzten Mal vergessen hat, mir das Drehbuch zu geben. Als ich das Büro verlasse und die Tür extra laut hinter mir zu mache, verlässt mich plötzlich die Wut und wird durch Unsicherheit ersetzt. Habe ich die richtige Entscheidung getroffen? Ja, habe ich. Ich muss herausfinden, was mit meiner Mutter los ist. Und wenn dieser Mann der Einzige ist, der es weiss, dann habe ich wohl die richtige Entscheidung getroffen.
Ich trete aus dem Lift heraus und laufe zielstrebig durch die Eingangshalle auf den Ausgang zu. Draussen sehe ich zu meiner Handtasche und versuche das Drehbuch irgendwie reinzubekommen, als ich plötzlich in jemanden reinlaufe. Das Drehbuch fällt auf den Asphalt und ich will mich gerade bücken, um es aufzuheben, als ich sehe, in wen ich reingelaufen bin.
»Warst du bis jetzt unterwegs?«, fragt mich Ruggero und bückt sich nach dem Papierstapel. Wie versteinert stehe ich da und starre ihn an. Er wirft lediglich einen flüchtigen Blick auf das Cover und streckt es mir dann schliesslich entgegen.
Sein Vertrauen ist so gross, dass er sich nicht einmal ansieht, was mir gerade aus der Hand gefallen ist, obwohl jeder erkennen würde, dass das ein Drehbuch ist.
Das Grinsen, welches er bis jetzt noch auf den Lippen hatte, verschwindet, als er meinen Blick sieht. Er folgt meinen Augen, die auf das Manuskript gerichtet sind. Mit gerunzelter Stirn dreht er es so, dass er Lesen kann, was draufsteht.
Unmöglich mich zu bewegen, beisse ich mir auf die Unterlippe.
Langsam richtet er seinen Kopf auf und sieht mich an. Er ist nicht wütend, wie ich es erwartet hätte. Es ist viel schlimmer. Er ist enttäuscht. Sein verletzter Blick zerreisst mein Herz in tausend Stücke.
»Ist das ein Drehbuch?« Seine Stimme zittert leicht.
Wieder erwidere ich nichts darauf, sondern starre ihn nur an. Er presst seine Lippen aufeinander und streckt es mir wie vorher entgegen. Wieso wirft er es mir nicht vor die Füsse? Wieso kann er nicht einfach ausrasten und mir alles Mögliche an den Kopf werfen?
Ich ergreife es mit meiner zitternden Hand, ohne meinen Blick von ihm abzuwenden.
Fassungslos schüttelt er den Kopf. »Karol, wie konntest du mir wochenlang gegenüber stehen, mit dem Gewissen, dass du mir ins Gesicht gelogen hast?« Seine Augen blicken mich voller Emotionen an. Voller Enttäuschung und Trauer.
Meine Kehle schnürt sich zu. Ich spüre Tränen, die in meinen Augen brennen.
»Für mich ist Vertrauen das Wichtigste in einer Beziehung.« Er wendet seinen Blick von mir ab und sieht auf einen Punkt hinter mir. »Du hättest mir sagen können, dass du das Angebot annehmen willst.«
Plötzlich ändert sich etwas in seinem Blick. Fast schon missachtend sieht er mich an. »Ich hätte nicht gedacht, dass du so versessen nach Ruhm bist.«
Nach diesen Worten rauscht er an mir vorbei und lässt mich alleine an der Strasse stehen. Eine einzige Träne löst sich aus meinem Augenwinkel und hinterlässt eine warme Spur auf meiner Wange. Ich lehne mich an die Wand des Gebäudes und sehe auf den Boden. Immer mehr Tränen bannen sich ihren Weg durch meine Wangen und landen schliesslich auf dem grauen Asphalt. Es fühlt sich so an, als hätte mir jemand mein Herz eigenhändig aus der Brust gerissen. Meine Schluchzer verstummen durch den Schal. Langsam rutsche ich die Wand runter und lege meinen Kopf auf die Knie. Zum Glück sind im Moment fast keine Menschen unterwegs. Was mir aber auch egal ist.
Den einzigen Menschen, den ich in diesem Moment bei mir haben will, habe ich aus meinem Leben gejagt.
Irgendwie habe ich es geschafft nach Hause zu kommen. Ohne meine Mutter zu begrüssen, die es wahrscheinlich nicht einmal merken würde, stürme ich nach oben in mein Zimmer und lasse mich mitsamt meinen Sachen auf mein Bett fallen. Das Bild von Ruggeros verletztem Gesicht schiebt sich vor mein inneres Auge und ich schluchze auf. Ich streife mir meine Jacke ab und setze mich im Schneidersitz auf mein Bett.
Der Gedanke daran, dass er mich nie mehr so ansehen wird, wie er es immer getan hat, frisst mich innerlich auf. Mit dieser faszinierenden Intensität und Liebe in den Augen. Auch, dass ich ihn nie mehr küssen werde. Ich werde ihn nie mehr berühren. Nie mehr umarmen. Ich werde nie mehr seine Hände auf meinem Körper spüren.
Verzweifelt wische ich mir mit meinem Pullover über meine tränenverschmierten Wangen. Ich schniefe und halte mir meinen pochenden Kopf.
Noch einige Minuten sitze ich regungslos da. Nur meine Schluchzer und die nicht aufhörenden Tränen zeigen mir, dass ich noch nicht gestorben bin. Obwohl ich in diesem Moment wahrscheinlich am liebsten einfach sterben möchte.
Ich schnappe mir mein Handy und scrolle auf Instagram herum. Eine Träne fällt auf das Display und ich wische sie weg. Ausversehen tippe ich auf das Symbol, auf dem man zu den Direkt Nachrichten kommt. Da die Flüssigkeit noch nicht ganz verschwunden ist, wische ich noch einmal drüber. Als ich fertig bin, sehe ich, dass ich einen Chat angetippt habe. Automatisch beginne ich die Nachricht zu lesen.Hallo Karol
Ich habe dich und Ruggero heute zufällig in der Stadt gesehen. Zuerst wollte ich auf euch zugehen, habe dann aber gemerkt, dass ihr gerade streitet. Ich habe nicht verstanden, um was es bei eurem Streit ging. Das ist zu privat. Aber ich habe gesehen, wie du danach geweint hast. In diesem Moment wusste ich nicht, ob ich auf dich zugehen sollte, oder lieber nicht. Es war schon immer mein Wunsch dich zu treffen. Mein Idol zu umarmen und mit dir zu reden. Schliesslich habe ich mich für das richtige entschieden und es gelassen, da du wahrscheinlich deine Ruhe brauchtest. Als du jedoch aufstehen wolltest, bin ich zu dir gekommen und habe dir geholfen. Du hast es nicht gemerkt, aber es war selbstverständlich dir zu helfen, da weit und breit niemand da war und du recht wackelig auf den Beinen warst.
Ich werde dir keine Fragen über deine privaten Angelegenheiten stellen, aber ich kann dir versprechen, dass ich nichts von dem, was ich gesehen habe, auf irgendeine Art und Weise veröffentlichen werde.
Das Einzige, was ich dir auf deinem Weg mitgeben will, ist, dass deine Fans immer hinter dir stehen werden.
In Liebe
Ein Karolista von vielenIch halte mir eine Hand vor den Mund, damit mein Schluchzer verstummt. Das ist einfach zu viel für mich an einem Tag. Überwältigt von all meinen Gefühlen, schüttele ich meinen Kopf. Das Mädchen, welches mir diese Nachricht geschrieben hat, ist einfach unglaublich. Es ist nicht selbstverständlich, dass man das, was man gesehen hat, nicht der ganzen Welt weiter erzählt.
Ich beginne zu tippen.Vielen Dank für deine Nachricht. Ich danke dir für alles.
Schliesslich lege ich mein Handy weg und schlafe unter Tränen ein.
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Ruggarol - Verlorene Erinnerungen
FanfictionKarol und Ruggero sehen einander als beste Freunde. Doch was passiert, wenn sich die Sichtweise der Beiden plötzlich verändert? Zwischen unzähligen Interviews und Terminen muss Karol noch einen Deal mit einem Regisseuren einhalten. Der merkwürdige F...