29. Kapitel

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Karol

Ich eile in den unendlich vielen Gängen umher, finde mich aber einfach nicht mehr zurecht. Das ist alles Katjas Schuld. Sie hat mich abgefangen und wollte wissen, ob zwischen Ruggero und mir etwas läuft. Ich habe mich rausgeredet und bin praktisch von ihr weggerannt. Jetzt habe ich den Salat. Plötzlich geht die Tür von einem Raum auf und ich atme erleichtert aus. Wahrscheinlich kann mir derjenige helfen. Als ich jedoch sehe, wer vor mich tritt, wäre ich am liebsten weggerannt. Ich blicke ihm direkt in seine Augen. Mein ganzes Selbstbewusstsein, welches ich heute Morgen noch hatte, ist mit einem Mal verflogen. In meiner Brust spüre ich mein Herz viel zu schnell schlagen.
      Einige Sekunden lang sagt niemand etwas, bis er einen Schritt auf mich zumacht und ich aus Reflex einen zurückgehe. Ich sehe den Schmerz in seinen Augen aufflammen, ignoriere es aber. Mein Kopf stösst gegen eine Wand. Innerlich verfluche ich mich, dass ich mir nicht gemerkt habe, dass hinter mir eine Wand steht. Passiert so etwas eigentlich nicht nur in Filmen? Ich verdränge die Gedanken und konzentriere mich wieder auf Ruggero.
      »Karol«, flüstert er. Ein Schauer durchläuft mich, als er meinen Namen ausspricht und dabei noch näher kommt. Erfolglos versuche ich mich auf meine Gedanken zu konzentrieren, doch seine einzigartigen Augen rauben mir alle meine Sinne.
      »Lass es mir dir erklären«, fleht er.
      Es dauert einige Sekunden, bis ich begreife, was er gesagt hat. Meine Gehirnzellen sind auch endlich wieder fähig brauchbare Anweisungen an meinen Körper zu senden. Ich verschränke meine Arme vor der Brust und ziehe meine Augenbrauen auffordernd in die Höhe. »Ich warte.«
      Er erwacht aus seiner Starre und fährt sich durch die Haare. Verzweifelt ringt er nach Worten, doch kein einziger Laut verlässt seinen Mund. Diese Situation erinnert mich an die, in Italien. Dort hat er ebenfalls nach Worten gesucht, um sein Verhalten zu erklären, schlussendlich aber keine gefunden. Gerade, als ich beschliesse ihm die Last abzunehmen und zu verschwinden, beginnt er zu reden.
      »Ich weiss doch selber nicht, wieso ich das beim Interview gesagt habe. Vielleicht hatte ich Angst oder einfach nur Zweifel, ob unsere Beziehung überhaupt eine Zeit lang anhalten würde.«
      »Aber ich habe dich doch gefragt. Du hättest einfach nein sagen können«, entgegne ich, da ich ihn einfach nicht verstehe.
      Ein halbherziges Lächeln stielt sich auf seine Lippen. »Ich könnte dir niemals irgendetwas abschlagen. Dafür liebe ich dich zu sehr.« Er kommt noch einen Schritt auf mich zu. »Verzeihst du mir? Wenn du willst, können wir die Beziehung auch sofort öffentlich machen.«
      Lächelnd schüttele ich den Kopf. Seine Augen weiten sich erschrocken und er tritt einen Schritt zurück. Die ganze Wärme, die von ihm ausgegangen ist, ist mit einem Mal weg.
      Ich sehe ihn ebenfalls erschrocken an. »Also ja, ich verzeihe dir«, sage ich und unterdrücke einen Lacher. Entspannt stösst er die Luft aus und beginnt zu lächeln. »Ich habe den Kopf geschüttelt, weil es mir nicht darum ging, ob wir die Beziehung öffentlich machen oder nicht. Das ist mir komplett egal. Es ging mir darum, dass du zuerst ja gesagt hast und dann nein.«
      »Ich habe es doch erklärt«, raunt er und kommt mir so nahe, dass kein Blatt mehr zwischen uns passt. Mit Mühe versuche ich mein Lachen zurückzuhalten, doch schliesslich gebe ich auf und lache das erste Mal seit Monaten aus vollem Herzen.
      Verwirrt sieht mich Ruggero an. »Wieso lachst du?«
      »Ich weiss es nicht«, antworte ich wahrheitsgemäss. Mittlerweile habe ich nur noch ein leichtes Grinsen auf meinen Lippen. Ebenfalls grinsend schüttelt er den Kopf. Seine Augen haben wieder dieses Strahlen angenommen, das ich so vermisst habe. Unbewusst gleitet mein Blick zu seinen Lippen. Er scheint es zu bemerken, da er sich elend langsam runterbeugt. Ich stelle mich auf meine Zehenspitzen und lege meine Lippen auf seine. Überrascht erwidert er den Kuss, was mir ein klitzekleines Lächeln entlockt. Ohne darüber nachzudenken, lege ich meine Hände auf seine Brust. In meinem Bauch fühlt es sich so an, als würde ein Feuerwerk explodieren. Seine weichen Lippen auf meinen lassen mich alles rundherum vergessen.
      Als wir uns voneinander lösen, sehe ich ihn an. Plötzlich nehme ich hinter ihm eine Bewegung wahr. Ich spähe über seine Schulter und erblicke Carolina, die wie angewurzelt dort steht. Ihre Augen fallen ihr beinahe aus dem Kopf, was mich zum Lachen bringt. Ruggero dreht sich um und beginnt zu Grinsen, als er ihren Blick sieht. Caro macht ihren Mund auf, um etwas zu sagen, doch es kommt nichts raus. Ich löse mich von Ruggero und gehe langsam auf meine Freundin zu. »Caro?«, frage ich und lege meine Hände auf ihre Schultern. Sie schüttelt ihren Kopf, wie als wolle sie so ihre Gedanken ordnen.
      »Seid ihr zusammen?«, fragt sie unsicher und blickt abwechselnd zwischen Ruggero und mir hin und her. Wir nicken beide gleichzeitig. Langsam verzieht sich ihr Mund. Was auch immer sie sagen wollte, sie behält es für sich, was je nach dem besser für sie ist.
      Ich werfe einen kurzen Blick auf die Uhr, die an der Wand hängt. »Wir müssen los. Die Pause ist in ein paar Minuten vorbei.«
      Schliesslich machen wir uns alle auf den Weg zur Halle.
      Nach dem Training, trete ich nach draussen. Es ist zwar recht kühl, aber die frische Luft tut nach diesem anstrengenden Training gut.
      Irgendwie haben alle wie durch Geisterhand erfahren, dass Ruggero und ich zusammen sind. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, schliesslich sind das alle meine Freunde.
      Noch während ich auf Ruggero warte, tritt plötzlich jemand vor mich. Ich richte meinen Kopf nach oben und blicke direkt in das Gesicht von Daniel Ruiz. Ein Kloss bildet sich in meinem Hals und ich bringe kein Wort heraus. Sein Anblick lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Plötzlich beginnt er zu lächeln, was mich stutzig macht.
      »Schön dich zu sehen, Karol«, beginnt er. »Ich fand es schade, dass wir unser Gespräch in meinem Büro nicht beenden konnten.«
      Ich hätte nie im Leben damit gerechnet, ihn noch einmal wieder zu treffen, sonst hätte ich mir irgendeine passende Ausrede ausgesucht. Wie durch ein Wunder höre ich, wie die Tür hinter mir aufgeht. Fast schon erleichtert puste ich die unwillkürlich angehaltene Luft aus. Herr Ruiz sieht mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten kann. Aber er macht mir Angst, das ist mir klar. Ruggero tritt neben mich und legt mir einen Arm um die Schulter.
      »Ich muss gehen, da ich noch einen Termin habe«, nuschele ich und ziehe Ruggero am Arm hinter mir her.
      »Was ist mit unserem Gespräch?«, ruft er mir zu.
      Ich drehe mich nicht um. »Ich melde mich bei ihnen!«, sage ich noch laut genug, dass er es hört, bevor wir um die Ecke verschwinden.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt