34. Kapitel

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Ruggero                                                          

      »Nur noch eine Woche«, erinnert mich Agus an die Tour, wie als würde ich sie jeden Moment vergessen.
      »Ich weiss.« Mit Mühe versuche ich mich auf seine Worte zu konzentrieren, jedoch schleifen die nur so an mir vorbei. Meine Gedanken wandern immer wieder zu Karol. Sie hat auf mich einen recht komischen Eindruck gemacht. Das kann aber auch einfach Einbildung sein. Ob sie mich angelogen hat?
      »Alter«, höre ich meinen besten Freund rufen. Ich drehe mich zu ihm und blicke in sein entrüstetes Gesicht. »Ist das dein Ernst? Manchmal fühle ich mich echt wie Gaston, der Matteo andauernd daran erinnern muss, dass es noch eine reale Welt gibt.«
      Ich steige in seinen Witz ein. »Sagt der, der in ein Mädchen verliebt ist, aber nicht mal weiss, wie es aussieht.« Triumphierend sehe ich ihn an, bevor mich ein Lachanfall einholt. Auch er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
      »Nein, jetzt mal im Ernst. Hör mir zu.« Meine ganze Konzentration gilt nun seinen Worten. »Also Caro-«
      Lachend unterbreche ich ihn. »Sag nicht, du hast dich in Caro verliebt?« Er lässt seine Schultern kraftlos sinken, was mir Antwort genug ist. »Wir haben uns beide in die Mädchen verliebt, die wir auch in der Serie lieben«, stelle ich kopfschüttelnd fest.
      Mit zusammengepressten Lippen nickt er. Wir werfen uns einen kurzen Blick zu, bevor wir beide wie auf Kommando beginnen loszulachen. Nachdem wir uns beruhigt haben, sieht er mich an. Da er auf dem Boden sitzt und ich auf dem Sofa, kann ich seinen Blick nicht genau entziffern. »Wie heisst ihr zusammen?«, frage ich und unterdrücke einen erneuten Lachanfall.
      Er runzelt die Stirn, weshalb ich es selber versuche. »Aguslina, oder so?« Bestätigend nickt er. Erneut ziehen sich seine Mundwinkel nach oben.
      »Ruggarol«, erwidert er.
      »Das ist verrückt«, murmele ich.
      Wieder nickt er. »Ja, das ist es.« Es kehrt eine merkwürdige Stille ein, die er mit einem Seufzen unterbricht. Er wirft einen kurzen Blick auf seine Uhr und sieht mich dann entschuldigend an. »Es ist schon spät. Ich sollte langsam gehen.«
      Ich nicke und begleite ihn noch zur Tür, wo er sich Schuhe und Jacke anzieht. Bevor er aus der Tür heraustritt, rufe ich ihm noch etwas zu. »Hol dir dein imaginäres Mädchen.«
      Der Blick, den er mir zuwirft, ist so entrüstet, dass ich nicht anders kann, als loszulachen. Empört schnaubt er und umarmt mich zum Abschied. »Und du bleib nicht zu lange auf dem Mond.« Seine Schritte, mit denen er die Treppe runtersteigt, hallen wider.
      Während ich ungläubig darüber den Kopf schüttele, schliesse ich die Tür und liege einige Minuten später auch schon in meinem Bett.

Am nächsten Tag mache ich nicht wirklich viel. Ich glaube, mir war selten so langweilig, wie jetzt gerade. Es ist bereits später Nachmittag und ich habe keine Ahnung, was ich mit dem fast beendet Tag anfangen soll. Schliesslich poste ich ein Bild von mir auf Twitter und später auf Instagram und Facebook. Gerade als ich die App wieder schliessen will, springt mir Karols Like ins Auge. Schnell gehe ich auf Whatsapp und schreibe sie mit einem kurzen »Hey« an.
      Keine fünf Sekunden später schreibt sie mir zurück.

Halloooooo

Ein kleines Lächeln stielt sich auf meine Lippen.

Heute schon etwas vor?

Es dauert eine Weile, bis sie beginnt zu tippen.

Nein..?                

Ich sehe kurz zur Uhr und beginne dann zu schreiben.

In einer Stunde in meinem Lieblingsrestaurant

Danach gehe ich offline und beginne mich bereit zu machen. Schliesslich ist das Restaurant doch ein Stückchen entfernt.
      Aufgeregt trommele ich mit meinen Fingern auf der Tischplatte herum. Es ist bereits 18.00 Uhr und Karol ist noch nicht aufgetaucht. Vielleicht sollte ich nachsehen, was sie geschrieben hat?
      Gerade als ich mich dazu entscheide, geht die Tür auf und eine kleine Person, umhüllt mit einer dicken Jacke, tritt herein. Ich brauche nicht lange, um festzustellen, dass das Karol ist. Ihr Blick scannt den ganzen Raum, bis sie mich erkennt. Ihre Augen verengen sich zu schlitzen und sie kommt mit zielstrebigen Schritten auf mich zu. Ich beisse mir auf die Unterlippe, um ein Grinsen zu unterdrücken. Als sie bei mir angekommen ist, hängt sie ihre Jacke über die Stuhllehne und setzt sich hin.
      Skeptisch sehe ich sie an. »Hallo?«
      Sie tut so, als hätte sie mich erst jetzt bemerkt. »Oh, hallo«, erwidert sie. Trotz allem sehe ich ein Zucken ihrer Mundwinkel. Karol kann einfach nicht lange ernst bleiben. »Wie wäre es vielleicht mit«, sie holt tief Luft. »ich würde mich freuen, dich in einer Stunde in meinem Lieblingsrestaurant zu sehen? Und vielleicht noch meine Antwort abwarten?« Übertrieben freundlich klimpert sie mit ihren Wimpern. Sie sieht mich einige Sekunden an, ohne eine einzige Regung im Gesicht. Bis sie ihre Beherrschung verliert und den Kopf in ihren Nacken fallen lässt, um loszulachen. In diesem Moment sieht sie so glücklich und wunderschön aus, dass es mir die Sprache verschlägt.
      Nachdem sie sich beruhigt hat, wirft sie mir einen unsicheren Blick zu. »Ist was?« Verstohlen blickt sie sich um, stellt jedoch keine Blicke von anderen Menschen fest.
      Ich schüttele meinen Kopf. »Nein.«
      »Okay«, antwortet sie und zieht es absichtlich in die Länge. Trotzdem werde ich ihr nicht antworten, weshalb ich ihr einfach eine Karte in die Hand drücke und beginne meine zu studieren, obwohl ich genau weiss, was ich nehmen werde.
      Immer noch mit gerunzelter Stirn, beginnt sie die Karte ebenfalls zu studieren. Nach einigen Sekunden schüttelt sie fassungslos den Kopf. »Ich habe dir doch gesagt, dass du mich in ein Restaurant bringen sollst, das weniger Auswahl hat.« Sie legt die Karte auf den Tisch und schliesst die Augen.
      »Karol?«, frage ich und beobachte sie besorgt. Mit einer Hand deutet sie mir, dass ich ruhig sein soll, was ich auch mache. Ihre andere Hand streckt sie aus und lässt sie über die Karte kreisen. Darauf folgend tippt sie mit einem Finger auf eine Stelle in der Karte und öffnet ihre Augen.
      Belustigt darüber schüttele ich meinen Kopf und lese mir das Menü durch, auf welchem ihr Finger liegt. »Das würde ich nicht nehmen«, beteuere ich.
      »Und was soll ich dann nehmen?«
      »Lass das meine Sorge sein«, sage ich und grinse sie an.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt