7. Kapitel

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Karol

Die Wochen vergehen ziemlich schnell. Zu schnell. Mittlerweile sind wir in der letzten Drehwoche und ich bin gewissermassen traurig darüber. Auch wenn ich weiss, dass ich alle weiterhin sehen werde, zudem auch die Tour vor der Tür steht.
      Das drittletzte Mal betrete ich am Morgen das Set und begebe mich sofort in mein Zimmer. Ausnahmsweise bin ich heute recht früh hier. In letzter Zeit passiert das immer öfter.
      Nachdem ich alles in meinem Zimmer abgestellt habe, gehe ich in die Maske. Überraschenderweise finde ich dort Valentina vor.
      »Hey«, begrüsse ich sie und setze mich auf den Stuhl, der neben am Nächsten von ihr ist.
      Sie sieht kurz zu mir rüber und lächelt. »Guten Morgen.«
      »Übermorgen ist der letzte Drehtag«, gebe ich seufzend von mir.
      Auch sie atmet hörbar aus. »Ja, leider.« Nach diesem Satz, kehrt eine angenehme Ruhe in den Raum ein. Angela kommt zu mir und beginnt mich zu schminken. Sie scheint sehr müde zu sein, da sie kaum ein Wort sagt.
      Nach einigen Minuten, geht die Tür auf. Anhand des Spiegels, der vor mir ist, sehe ich, dass Carolina und Agustin gerade reingekommen sind. Ich winke ihnen übertrieben zu, woraufhin Caro meinen Wink erwidert. Grinsend setzt sie sich neben mich und begrüsst uns mit einem »Guten Morgen.«
      Mit der Zeit versammeln sich immer mehr, darunter auch Ruggero. Seit dem Tag, an dem wir das Video für seinen Kanal gedreht haben, hatten wir nicht wirklich mehr viel miteinander zu tun. Ich hatte zwischendurch sogar fast das Gefühl, dass er mich ignoriert, habe das Gefühl aber beiseitegeschoben.
      Zusammen mit Valentina, die gleichzeitig mit mir fertig wurde, stehe ich an den Stehtischen und warte darauf, dass die Anderen auch endlich fertig sind. Meine Gedanken wandern langsam zu Ruggero. Ich habe immer wieder die Kommentare unter seinem Video, das er mit mir gedreht hat, gelesen. Es kamen viele überraschend positive Kommentare. In vielen stand auch, dass wir ein gutes Paar zusammen abgeben würden. Was ich jedoch bezweifle. Schliesslich ist er sechs Jahre älter als ich und ...
      »Karol?«, reisst mich Valentinas Stimme aus meinen Gedanken.
      »Was?«, frage ich verwirrt. Sie schmunzelt und deutet mit einem Nicken auf etwas hinter mir. Skeptisch drehe ich mich um, nur um zu sehen, dass so ziemlich alle auf mich warten. Mein Blick fällt auf Ruggero, der mich aus seinen braunen Augen betrachtet. Unsicher erwidere ich seinen Blick. Auch nach einigen Sekunden macht er keine Anstalten seinen Blick abzuwenden, was mir absolut nichts ausmacht. Schliesslich wende ich meinen Blick ab. Ich merke, wie mir die Hitze in den Kopf steigt, weshalb ich ein paar Mal tief ein und ausatme. Martin und Jorge haben sich mittlerweile zu uns hinzugesellt und versuchen die Aufmerksamkeit von allen zu bekommen. Was ihnen nach ein paar Sekunden auch gelingt.
      »Heute drehen wir den Wettbewerb, bei dem je zwei antreten«, verkündigt er. Obwohl wir das eigentlich alle wissen. Ich werfe einen kurzen Blick in die Runde und sehe zufriedene Gesichter. Mit der Zeit haben wir angefangen das Skaten sehr zu mögen. Es ist auch ein Ausgleich zum ganzen Schauspielern. Auch wenn wir dabei auch schauspielern, ist es doch irgendwie eine andere Art.
      »Später werden wir dann noch den Kuss zwischen Luna und Matteo drehen«, sagt Jorge. Dabei sieht er Ruggero und mich an.
      Synchron nicken wir und vermeiden den Blick des Anderen. Das ist der Grund, wieso ich in den letzten Tagen nicht in Ruhe schlafen konnte. Kaum habe ich an diese Szene gedacht, begann es in meinem Bauch eigenartig zu kribbeln. Genau wie jetzt. Erfolglos versuche ich das Gefühl zu verdrängen, doch es verschwindet einfach nicht. Beinahe verzweifelt lasse ich meine Schultern sinken und höre weiterhin den zwei Regisseuren zu.

Nach ungefähr einer Stunde, lasse ich mich erschöpft auf einen Stuhl an der Tribüne fallen. Wir haben die Choreo noch ein paar Mal durchgemacht, bevor wir sie schliesslich aufnehmen werden. Zudem war es ausserordentlich komisch zwischen Ruggero und mir. Ich habe auch gemerkt, dass er mich gezielt meidet, was ich nicht verstehe.
      Es werden im Moment nur noch die Lichter und alles andere eingestellt.
      Neben mir sitzt Carolina, die ebenfalls müde aussieht. Währenddessen wird uns das Make-Up aufgefrischt. Ruggero und ich sind als letztes dran, damit die Anderen schon früher gehen können, da wir ja noch die eine Szene drehen müssen.
      Teilnahmelos sitze ich auf dem Stuhl und sehe den Anderen zu, wie sie sich vorbereiten. Plötzlich wird es dunkel und die ganzen Statisten kommen auf einmal rein. Das ist dann wohl unser Zeichen den Raum zu verlassen, da wir auf den Aufnahmen nicht gesehen werden dürfen.
      Der Reihe nach kam je ein Paar dran, bis dann schliesslich alle durch waren. Mit der Zeit wurde es auch immer leerer, bis nur noch Ruggero und ich nebeneinander sassen. Jeder von uns machte irgendetwas an seinem Handy, ohne den Anderen auch nur anzusehen. Gedankenverloren surfe ich auf Instagram rum und sah mir die Bilder an, auf denen ich markiert worden bin. Grösstenteils waren das Bilder von Ruggero und mir, was die Situation zwischen uns nicht gerade einfacher machte.
      »Karol?«, höre ich seine Stimme. Hat er mich gerade wirklich gerufen? Oder habe ich mir das nur eingebildet? Ich schiebe es darauf, dass ich es mir nur eingebildet habe und nehme meinen Blick nicht von meinem Handy ab.
      Wieder höre ich seine Stimme. »Karol?«
      Dieses Mal sehe ich langsam nach rechts, wo er sitzt und begegne direkt seinem Blick. Überrascht darüber, dass er ein Gespräch mit mir beginnt, sage ich erstmals nichts. Er macht seinen Mund auf, um etwas zu sagen, schliesst ihn jedoch gleich wieder, als wir hören, dass wir gerufen werden. Zeitgleich stehen wir auf und laufen zur Bahn, ohne uns auch nur anzusehen. Was wollte er mir sagen? Jetzt erst merke ich, wie schnell mein Herz schlägt. Wir werden noch kurz zurechtgemacht, bis wir die Bahn betreten und auf unsere Startposition fahren.
      Es wird überprüft, ob alles stimmt und schliesslich höre ich »Action!« Die Musik beginnt zu spielen und ich sehe die Lichter auf der Bahn herumschwirren. Mein Blick fällt auf Ruggero, der ein leichtes Lächeln auf den Lippen hat. Es ist jedes Mal aufs Neue ein Highlight auf dieser Bahn zu tanzen. Stumm zähle ich die Takte ab, bis ich mich in Bewegung setze und auf Ruggero zufahre.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt