5. Kapitel

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Karol       

      »Lösch das«, befehle ich Lionel, der gerade ein Foto von mir gemacht hat.
      Er schüttelt lachend seinen Kopf und läuft auf die andere Seite des Tisches. Grinsend verdrehe ich meine Augen. »Dann halt nicht«, gebe ich mich geschlagen. Ich lasse meinen Kopf auf die Tischplatte fallen und seufze aus.
      Es sind nicht mehr viele hier. Nur noch Lionel, Gaston, Michael, Ruggero, Agustin und ich. Der Rest durfte vor einer halben Stunde gehen. Während ich meinen Gedanken nachhänge, nehme ich einen Blitz von rechts wahr. Als ich in die Richtung blicke, sehe ich Michael mit seinem Handy in der Hand.
      »Das ist nicht dein Ernst?« Lionel taucht von der anderen Seite auf und schiesst ebenfalls ein Foto. Wieder lege ich meinen Kopf auf die Tischplatte und lege meine Arme wie ein Schutzschild über den Kopf.
      »Karol!«, höre ich Martin mich rufen. Augenblicklich springe ich auf. Bevor ich um die Ecke verschwinde, strecke ich den beiden meine Zunge heraus.
      Ruggero und Agustin stehen schon neben Martin, weshalb ich mich beeile. »Also, Gaston redet mit Luna über Matteo.« Ich nicke. »Wegen der Sache beim Wettbewerb«, fügt er noch hinzu. Er wendet sich Ruggero zu.
      »Du kommst dann auf mein Zeichen.« Auch er nickt und begibt sich auf seine Position. Ich versuche angestrengt mich an meinen Text zu erinnern, den ich gestern noch ein paar Mal durchgelesen habe. Wir müssen uns ja nicht genau an den Text halten. Leicht dürfen wir ihn abändern, aber der Sinn sollte stimmen. Luna ist enttäuscht von Matteo, weil er am Wettbewerb nicht aufgetaucht ist. Gaston versucht jetzt mit Luna zu reden.
      Ich lehne mich an das Gelände, das neben der Skatebahn steht und atme noch ein paar Mal tief durch.
      »Ton ab!«
      »Läuft.«
      »Kamera ab!«
      »Läuft.«
      »Action!«
Ich höre das zuschlagen der Klappe, aber ich sehe es nicht, da ich mit dem Rücken zur Kamera stehe. Traurig sehe ich auf die Skatebahn. Plötzlich tippt mich jemand von hinten an. Erschrocken drehe ich mich nach hinten und blicke in das Gesicht von Agus. Ich verbanne jegliche Emotionen aus meinem Gesicht. »Hast du Zeit?«, fragt er.
      »Ich arbeite gerade«, antworte ich schulterzuckend.
      »Nur kurz.«, beteuert er und ich nicke unsicher.
      »Cut!« Ich sehe nach rechts, wo Martin uns mit einer kurzen Handbewegung zu verstehen gibt, dass die Kameras ihre Position wechseln. Wir nicken und warten.
      Nach einigen Sekunden, wird wieder kontrolliert ob alles läuft und er ruft »Action!« Nebeneinander fahren wir auf die Tribüne zu und setzen uns hin.
      »Cut!« Die Kamerapositionen werden erneut gewechselt. Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter. Bis jetzt mussten wir keine einzige Szene wiederholen. Erneut höre ich den vertrauten Kontrolldurchgang. »Action!«
      »Was soll das?«, beginnt er gleich.
      Ich runzele meine Stirn. »Was soll was?«, frage ich gespielt ahnungslos. Obwohl Luna eigentlich genau weiss, um was es im Moment geht. Das heisst theoretisch, dass ich einen doppelt gespielt ahnungslosen Gesichtsausdruck habe. Ich schiebe die Gedanken beiseite und konzentriere mich.
      »Luna, du hast kein Recht, auf Matteo sauer zu sein.«
      Empört schnaube ich aus. »Kein Recht? Wir wurden disqualifiziert wegen ihm«, sage ich und ziehe meine Augenbrauen zusammen.
      Er schüttelt den Kopf. Fast schon verachtend sieht er mich an. »Er konnte nicht kommen«, stellt er klar.
      Ich verschränke meine Arme vor meiner Brust. Im nächsten Moment mache ich meinen Mund auf, um etwas zu sagen, doch ich weiss, dass er mich unterbrechen wird. »Luna, wenn du ihn wirklich liebst, dann musst jetzt für ihn da sein.«
      Plötzlich erscheint Ruggero hinter Agus. Meinen Blick richte ich direkt auf ihn.
      »Luna, Matteos Mutter liegt im Krankenhaus«, sagt er
      »Cut!«, ruft Martin. »Das war sehr gut.«
      Wieder werden die Positionen der Kameras gewechselt. Als ich das »Action!« vom Regisseur höre, sehe ich Agustin kurz an und stehe dann auf, um zu Ruggero zu rennen. Die Kamera rollt neben mir her, während ich an etwas Trauriges denke, damit mir die Tränen aufkommen. Ruggeros Blick fällt auf mich. Sein Blick ist steinhart, dass es mir sogar einen Schauer über den Rücken jagt. Er ist ein echt guter Schauspieler.
      »Matteo!«, rufe ich unter Tränen, doch er dreht sich um und verschwindet um die Ecke.
      »Cut!«, ruft Martin. Ich bleibe stehen, da ich weiss, dass sie jetzt eine Nahaufnahme von meinem Gesicht machen werden.
      Nachdem wir diese Szene im Kasten haben, bin ich sofort hoch in mein Zimmer. Michael, Lionel und Gaston müssen noch etwas drehen, aber ich darf jetzt gehen. Nachdem ich mich umgezogen habe, trete ich aus dem Zimmer heraus. In diesem Moment geht auch die Tür zu Ruggeros Zimmer auf und Agus tritt heraus. Er winkt mir kurz zu, bevor er um die Ecke verschwindet. Ob Ruggero nach da ist? Ein paar Sekunden später geht die Tür noch einmal auf und wie erwartet, tritt Ruggero heraus. Er kommt zu mir rüber und henkt seine Kleider ebenfalls auf. »Karol?«, fragt er.
      »Ja?«, erwidere ich skeptisch.
      Einen Moment sieht er mich an, bevor er antwortet. »Wie wäre es, wenn wir mal ein Video zusammen drehen?«
      Überrascht über dieses Angebot, bringe ich erstmals nichts heraus. Nachdem ich mich einigermassen wieder gefangen habe, frage ich das Dümmste, was man fragen kann. »Was?« Er beginnt zu grinsen.
      »Ein Video nimmt man meistens mit einer Kamera auf. In unserem Falle, schneiden wir es noch und legen ein paar Effekte drüber. Dann posten wir es auf Youtube.«
      Ich beginne zu lachen. »Ich weiss, danke für die Erklärung.« Nach einigen stillschweigenden Sekunden, antworte ich schliesslich auf seine vorherige Frage. »Wieso nicht?«
      »Okay, hast du heute Zeit?«, fragt er mich. Ich überlege kurz, bis ich dann mit dem Kopf nicke.
      »Super, wollen wir gleich zu mir gehen?« Leicht überfordert nicke ich.
      »Ich muss nur noch schnell meine Mutter anrufen.« Er nickt und setzt sich in Bewegung. Wir durchqueren das ganze Gebäude, bis wir schliesslich am Ausgang ankommen.
      Währenddessen habe ich mit meiner Mutter telefoniert und ihr gesagt, dass ich später nach Hause komme. Ruggero bleibt plötzlich stehen, sodass ich volle Kanne in ihn hineinlaufe. Augenblicklich beginne ich zu lachen. Zuerst versucht er Ernst zu bleiben, doch seine Mundwinkel zucken verräterisch.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt