45. Kapitel

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Karol

Nach dem Frühstück sind die meisten nach oben in ihr Zimmer gegangen. Ich sitze hier auf der Terrasse und starre auf mein Handy. In der Hoffnung, dass meine Mutter mir schreibt.
Plötzlich beginnt es zu vibrieren. Vor Aufregung fällt es mir beinahe aus der Hand. Als ich jedoch einen Blick auf den Absender werfe, gefriert mir das Blut in den Adern. David Ruiz. Mit zitternden Händen öffne ich die SMS. Wie sich herausstellt, hat er noch ein Bild mitgeschickt. Eine Gänsehaut überzieht meine Arme, während ich darauf warte, dass das Bild lädt.
Als es geladen hat, stockt mir erneut der Atem. Auf dem Foto sieht man Ruggero, wie er mit einer Frau redet. Was aber schlimmer ist, ist das, was er dazu geschrieben hat.

14:00 Uhr vor deinem Hotel oder deinem Freund wird etwas passieren.

Er hatte ja schon immer so etwas Furchteinflössendes an sich gehabt, aber dass er jetzt auch noch beginnt mir zu drohen, ist definitiv eine Stufe zu hoch. Fast schon finde ich es lustig. Ich ignoriere das Gefühl, welches sich in meinem Bauch breitmacht und wage einen Blick auf die Uhr. 13:45 Uhr. Scheisse.
Was hätte er gemacht, wenn ich heute nicht an mein Handy gegangen wäre? Ein Gedanke kommt mir auf. Verstohlen sehe ich mich um, wer sich sonst noch hier herumtreibt. Jede einzelne Person scanne ich ab, kann jedoch nicht Herr Ruiz darunter ausfindig machen.
Mittlerweile habe ich längst aufgegeben, herauszufinden, von wo er weiss, wo ich mich immer herumtreibe. Er hat schon damals Ruggero und mich um die halbe Welt verfolgt. Wieso, verstehe ich bis heute nicht.
Die Zeit geht schneller vorbei, als mir lieb ist. 13.55 Uhr. Ich entsperre mein Handy wieder und sehe mir das Bild, das er mir geschickt hat, genauer an. Auf dem Bild scheint er in einem Café zu sein. Soweit ich das noch richtig weiss, ist er gestern mit Gaston und Lio irgendwo hingegangen. Es versetzt mir einen Stich in mein Herz, Ruggero mit einer anderen Frau zu sehen. Aber ich kann nichts dagegen machen. Die Hoffnung für ein glückliches Ende unserer Beziehung habe ich längst aufgegeben.
Seufzend stehe ich auf und mache mich auf den Weg zum Ausgang des Hotels. Dabei durchquere ich die komplette Eingangshalle und ziehe ungewollt Blicke auf mich. Mit gesenktem Kopf starre ich auf den Boden, bis mir eine Person auffällt. Ich richte meinen Kopf auf und erblicke Ruggero mit der gleichen Frau, die auch auf diesem Foto zu sehen ist. Man muss wirklich gestehen, dieser David Ruiz überlässt nichts dem Zufall.
Ruggero scheint so in das Gespräch versunken zu sein, dass er mich nicht mal wahrnimmt. Den Tränen nahe, presse ich meine Lippen aufeinander und wende meinen Blick ab. Es bringt nichts, wenn ich jetzt noch weine. Ich muss erfahren, was er von mir will.
Draussen sehe ich mich suchend um. Plötzlich werde ich am Arm gepackt. Ich unterdrücke einen kleinen Aufschrei und lasse mich von dieser Person in eine Ecke ziehen, in der mich nie jemand finden würde. »Lassen sie mich los«, fauche ich und befreie mich von seinem Griff. »Was wollen sie?«
Er dreht sich zu mir und sieht mich mit gefasstem Blick an. »Ich habe dir schon gesagt, was ich will.« Sein dreckiges Grinsen scheint auf seinem Gesicht festgefroren zu sein.
Ernsthaft beginne ich zu überlegen, was ich von seinen Anweisungen nicht erfüllt habe. Jedoch will mir einfach nichts einfallen. »Ich bin nicht hierhergekommen, um mit ihnen Ratespiele zu spielen. Sagen sie mir, was sie wollen.«
Er schüttelt den Kopf siegessicher den Kopf. »Ich denke, du hast unsere kleine Abmachung vergessen. Ich habe gesagt, dass ich noch eine männliche Hauptrolle brauche.«
»Vergessen sie das. Er wird nicht mitspielen«, stelle ich klar. »Sowieso würde er ablehnen.«
»Nicht, wenn du es ihm einredest.« Dieser Siegessichere Ausdruck auf seinem Gesicht raubt mir noch den letzten Nerv.
Ich will ihm gerade klarmachen, dass wir uns schon lange getrennt haben, doch er nimmt mir das Wort aus dem Mund. »Ich weiss, dass ihr euch getrennt habt, aber denk daran; deine Mutter sitzt immer noch zu Hause.«
Alle Alarmglocken in meinem Gehirn beginnen auf einmal zu klingeln. »Was machen sie mit meiner Mutter?« Ich bin ausser mir vor Wut. Was denkt er eigentlich wer er ist?
»Ihr geht es blendend«, erwidert er so selbstsicher, dass ich es ihm ohne zu Zögern abkaufe. Er sperrt sie wahrscheinlich einfach nur ein. Hoffentlich hat sie genug zu essen ... Nein, so kann es nicht weiter gehen.
»Wieso machen sie das alles?«
Überrascht zieht er seine Augenbrauen in die Höhe.
»Irgendwie muss ich ja an meinen Erfolg kommen.« Er sagt das so, als wäre es das Normalste der Welt.
»Aber wieso ich? Was habe ich ihnen je getan?«, frage ich eine Spur zu scharf.
Fast schon missachtend sieht er mich an. »Es gibt noch vieles, das du nicht weiss.«
Ich stöhne auf. So komme ich bestimmt nicht weiter. In diesem Moment gibt er einen komischen Laut von sich und nickt in eine Richtung. Ich folge seinem Blick, was ich lieber nicht hätte tun sollen. Ruggero und diese Frau schlendern tiefenentspannt die Strasse entlang. Er lächelt sie an. Und wie er sie anlächelt, oh Gott. Schnell wende ich meinen Blick ab. Irgendwie würde ich es ihm ja gönnen, aber nicht mit dem Gewissen, dass das alles von diesem Mann eingefädelt worden ist, nur um mich zu verletzen.
Ich spüre meine Tränen aufkommen, schlucke sie aber tapfer runter. »Das waren sie?«, frage ich. Meine Stimme zittert verdächtig.
»Natürlich. Wer sonst? Sie spielt gut, nicht?«, fragt er voller Stolz.
Mit dem Rücken lehne ich mich an die Wand. In was habe ich mich da nur reingeritten? Und das Alles nur, weil ich unbedingt herausfinden musste, was mit meiner Mutter los war. Jetzt erst merke ich, wie leichtsinnig diese Entscheidung war.
»Sie sind krank«, flüstere ich und schüttele meinen Kopf. »Ist ihnen bewusst, was sie damit alles zerstören?«
Er lacht auf. »Weisst du, was mir alles genommen und zerstört wurde?« Dabei sieht er mich so eindringlich an, dass ich fast schon das Gefühl, ich hätte irgendetwas damit zu tun.
Diesem Mann ist wirklich nicht mehr zu helfen. Ich mache auf dem Absatz kehrt und rausche weg. In diesem Moment sieht Ruggero auf und sieht mich an. Einige Sekunden starrt er mich an, doch ich wende meinen Blick schnell wieder ab. Ich hoffe einfach für ihn, dass er sich nicht in diese Schauspielerin verliebt, nur damit sie ihm dann das Herz brechen kann.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt