10. Kapitel

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Ruggero

      »Rugge, komm mal!«, ruft mich Carolina. Neben ihr steht Karol, die mir jedoch den Rücken zugekehrt hat. Langsam gehe ich auf die Beiden zu und begrüsse Caro mit einer kurzen Umarmung. »Nimm mir mal Karol ab«, sagt sie. Karol wirft ihr einen beinahe tödlichen Blick zu, den ich aber ignoriere. »Muntere sie irgendwie auf. Ihr geht es heute nicht so gut.«
      Irgendwie schaffe ich es zu Lachen, damit Caro nichts von meiner immer wieder schwankenden Laune bemerkt. »Klar, kein Problem.« Ich werfe Karol einen kurzen Blick zu, sehe dann aber wieder Carolina an, die mir dankend auf die Schulter klopft.
      »Carolina, bitte ans Set!«, wird sie wieder gerufen, woraufhin sie sich schnell umdreht und beinahe den Gang hinunterrennt.
      Mein gestelltes Grinsen fällt sofort ab, als sie um die Ecke biegt und nur noch Karol und ich auf diesem langen Gang stehen. Vor meinem inneren Auge schwebt unser Kuss von gestern herum. Wenn ich nur schon daran denke, beginnen meine Lippen zu prickeln. Fast schon gewaltsam verdränge ich die Gedanken und wage das erste Mal einen richtigen Blick auf Karol. Sie hält ihren Kopf gesenkt und macht auch keine Anstalten zu sagen. Wieso sollte sie auch etwas sagen? Eigentlich wäre ich der, der etwas sagen müsste. Also nehme ich all meinen Mut zusammen und versuche mir irgendwelche richtigen Worte zurechtzulegen. Wieso um Himmels Willen ist das so schwierig? Soll ich ihr einfach meine Liebe zu ihr gestehen? Wenn das überhaupt Liebe ist, was ich für sie empfinde. Was ist wenn es einfach Freundschaft ist und ich in das Ganze zu viel hineininterpretiere?
      »Karol«, beginne ich, doch ich bringe nicht mehr heraus. Augenblicklich sieht sie mich aus ihren grünen Augen an und wartet. Sie sagt nichts, sondern beisst sich nur auf ihre Unterlippe und sieht mich abwartend an, was mich leicht unter Stress setzt. Ich fahre mir mit meiner Hand durch die Haare und befeuchte meine Lippen. »Das, was gestern passiert ist ...« Wieder finde ich keine richtigen Worte. Wie soll ich ihr denn sagen, dass das der beste Kuss meines Lebens war? Plötzlich trifft mich eine Erkenntnis wie ein Schlag ins Gesicht und mein ganzes Selbstbewusstsein verabschiedet sich von mir. Was ist, wenn Karol gar nichts für mich fühlt? Wenn sie mich lediglich als guten Freund betrachtet? »Wir sollten das einfach vergessen«, bringe ich schliesslich heraus. Es tut mir weh, das zu sagen, da ich genau weiss, dass ich diesen Kuss nicht einfach vergessen kann. Aber ich denke, dass es das Beste für uns beide ist. Der Altersunterschied zwischen uns ist sowieso viel zu gross. Wir würden es nie schaffen eine normale Beziehung zu führen. Genau, es ist gar nicht möglich, versuche ich mein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Ganz im Gegensatz zu mir, sieht Karol tiefenentspannt aus. Fast so, als wäre sie solche Gespräche gewöhnt. Teilnahmelos zuckt sie mit den Schultern.
      »Ja, finde ich auch«, sagt sie. Augenblicklich versetzt mir diese Aussage einen Stich im Herz, was ich mir aber nicht anmerken lasse. Was hatte ich auch anderes erwartet? Es ist klar, dass sie nichts für mich empfindet.
      »Dann gehe ich mal«, flüstere ich fast schon und drehe ihr den Rücken zu. Ohne mich umzudrehen weiss ich, dass sie mir hinterhersieht.

Nach einigen Stunden ist auch dieser Drehtag zu Ende und ich sitze mit Agustin und Jorge in einem kleinen Café, das ein bisschen ausserhalb der Stadt ist. Teilnahmelos rühre ich in meinem kalten Getränk herum, das mir Agus bestellt hat und mittlerweile wahrscheinlich auch wieder warm ist, herum.
      »Ruggero?«, drängt Jorges Stimme an mein Ohr. Nur mit Mühe wende ich meinen Blick von dem Strohhalm ab und sehe ihn an. »Ja?«
      Die Beiden wechseln einen schnellen Blick miteinander, bevor sie losprusten. Gelangweilt warte ich darauf, dass sie sich beide davon erholen und warte gespannt auf eine Erklärung.
      »Also, erzähl«, beginnt Agustin, »was ist mit dir los?« Kurz spiele ich mit dem Gedanken ihnen alles zu erzählen, verwerfe den aber schnell wieder.
      Ich zucke mit meinen Schultern »Nichts«, abwechselnd sehe ich sie an, »was sollte sein?« Sie schütteln beide synchron die Köpfe. »Keine Ahnung. Du machst einen so abwesenden Eindruck.« Wieder schüttele ich den Kopf und nippe an meinem Getränk. Der Kuss lässt mich einfach nicht in Ruhe und zu wissen, dass er Karol so wenig bedeutet hat, raubt mir noch meinen letzten Nerv.
      Schliesslich verlassen wir den kleinen Laden und jeder geht je zu sich nach Hause.

Als ich am nächsten Tag aufwache, fühle ich mich wie gerädert. Jede einzelne Faser meines Körpers schmerzt höllisch. Und gut habe ich auch nicht geschlafen. Schliesslich schaffe ich es doch mich bereit zu machen und lande wie von Zauberhand am Set.
      Kaum komme ich in den Raum, in dem alle Stehtische stehen, blicke ich in traurige Gesichter. Heute ist der letzte Drehtag der zweiten Staffel und auch ich bin ziemlich traurig. Ich lasse mich auf das Sofa fallen, wo sich Michael zu mir gesellt. »Weisst du wie lange habe ich auf diesen Tag gewartet?«, fragt er mich mit einem Grinsen. Ich runzele meine Stirn und sehe ihn skeptisch an. »Auf den letzten Drehtag?« Fast schon entrüstet schüttelt er den Kopf.
      »Nein, auf den Tag, an dem ich dir sagen kann, dass du echt schlecht aussiehst.« Aufmunternd klopft er mir auf die Schulter. Laut seufze ich aus und schliesse für einen kurzen Moment meine Augen. Als ich sie wieder aufmache, sehe ich Karol im Raum stehen. Sie unterhält sich gerade mit Katja. Verwundert über ihr plötzliches Auftauchen, starre ich sie einen Moment unverwandt an. Sie scheint meinen Blick zu bemerken, da sie zu mir rüber sieht. Kurz darauf, wendet sie ihn wieder ab und konzentriert sich wieder auf das Gespräch, welches sie gerade führt.

Und wieder finde ich mich nach einigen Stunden in einem Restaurant wieder. Wir haben zur Feier des Tages beschlossen, in ein Restaurant zu gehen - auch wenn es nicht wirklich etwas zum Feiern ist. Jetzt sitze ich hier und unterhalte mich genüsslich mit allen. Alle werden mir für diese paar Wochen, in denen wir uns nicht so oft sehen werden, fehlen. Aber jemand am Meisten. Unbewusst sehe ich zu Karol rüber. In diesem Moment lacht sie gerade über irgendetwas. Ihr Lachen scheint den ganzen Raum augenblicklich zu erhellen.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt