15. Kapitel

686 41 4
                                    

Karol

      »Hallo erstmals. Vielen Dank, dass ihr euch Zeit für dieses Interview genommen habt«, beginnt die Interviewerin. Ruggero und ich nicken beide gleichzeitig.
      Heute habe ich jeglichen Blickkontakt zu ihm vermieden. Er jedoch hat sich heute wahrscheinlich vorgenommen mich mit seinen Blicken zu löchern.
      Es sind Fragen, die bei fast jedem Interview gestellt werden. Als ich merke, dass wir langsam zum Ende kommen, atme ich entspannt aus. Zum Glück kam nicht die Frage, ob Ruggero und ich zusammen wären. Kaum habe ich den Gedanken zu Ende gedacht, wirft die Frau einen kurzen Blick auf ihre Notizen, die vor ihr liegen.
      »Nun zur letzten Frage.«
Oh nein.
      »Seid ihr ein Paar?« Das erste Mal seit Stunden wage ich einen Blick in seine Richtung, genauso wie er genau in diesem Moment seinen Kopf zu mir dreht. Unsere Blicke verfangen sich ineinander und wäre mir in diesem Moment nicht bewusst, dass wir von einer Kamera aufgenommen werden, hätte ich meinen Blick nicht so schnell von ihm lösen können. Ich sehe wieder zu der Frau, die uns nach wie vor fragend betrachtet. Ohne lange zu überlegen, ergreife ich die Initiative und halte mir das Mikrofon an den Mund.
      »Nein«, sage ich kurz und bündig. Sie verabschiedet sich noch von uns und übergibt uns an eine ihrer Kolleginnen, die für das Fotoshooting verantwortlich ist. Das Letzte auf das ich jetzt Lust habe ist, mit Ruggero vor der Kamera zu stehen und einen auf verliebtes Paar zu machen. Sie führt uns zu einem Raum, in dem eine blaue Aufstellwand steht.
      Bevor das Shooting jedoch beginnt, werden wir noch einmal aufgefrischt und begrüssen den Rest des Teams. Diego steht mit verschränkten Armen am Rand und lässt uns nicht aus den Augen. Ich schenke ihm ein kurzes Lächeln, das er erwidert er und folge dem Fotografen, der uns sagt, wo wir hin stehen müssen. Ruggero legt einen Arm um meine Hüfte und zieht mich somit ein Stück näher an sich heran. Augenblicklich durchläuft mich ein Schauer. Ich mache einen kaum merklichen Schritt von ihm weg, den wahrscheinlich niemand bemerkt hat, ausser er. Denn er wirft mir einen kurzen irritierten Blick zu.
      Nach fast einer Stunde kommen wir auch am Schluss an. Natürlich muss wieder ein Foto dabei sein, bei dem wir uns in die Augen sehen. Wieder schlingt er einen Arm um meine Hüfte und zeitgleich drehen wir die Köpfe. Ich sehe ihm in seine Augen, die irgendetwas verletzliches Ausstrahlen. Er ist verletzt? Weil ich ihm gesagt habe, dass er mich nicht einfach so behandeln kann, wie es ihm gerade passt? Jedoch erkenne ich noch etwas Anderes in seinen Augen, das ich nicht zuordnen kann.
      Wie durch einen Schleier bekomme ich mit, wie der Blitz ausgelöst wird und mehrere Fotos hintereinander gemacht werden. Der Fotograf sagt irgendetwas, doch ich verstehe es nicht. Nach einigen Sekunden wende ich mich ab und trete ein paar Schritte weg. Sein verletzter Gesichtsdruck ruft sofort mein schlechtes Gewissen hervor. Schnell mache ich mir aber wieder bewusst, dass er absolut kein Recht hat verletzt zu sein.
      Eine knappe halbe Stunde später, sitzen wir wieder im Auto auf dem Weg zum Hotel. Es herrscht eine angespannte Stimmung im Auto, die hauptsächlich wegen Ruggero und mir ist. Diego wirft uns einen misstrauischen Blick nach dem anderen zu, die ich jedoch alle ignoriere. Ich hatte mich so sehr auf diese Reise gefreut, und jetzt macht sie mir absolut keinen Spass mehr. Und auch auf Ruggero hatte ich mich gefreut, doch im Moment würde ich gerne ganz weit weg von ihm sein. Das Auto bremst und wir steigen aus. Gemeinsam laufen wir durch die Lobby und warten anschliessend auf den Lift. Er kommt unten an und wir steigen ein. Als er in unserem Stock ankommt, steigen wir zeitgleich aus.
      »Leute, denkt daran. Wir reisen morgen wieder ab«, sagt Diego und wir nicken. Danach trennen sich unsere Wege und ich zücke schon mal meine Zimmerkarte, um peinliche Situationen zu meiden. Ich öffne die Tür und trete sofort ein. Ohne einen Blick nach hinten zu werfen, wo Ruggero steht, laufe ich in mein Zimmer und schliesse die Tür hinter mir. Gerade als ich mich auf dem Bett setzen will, wird die Tür erneut geöffnet und Ruggero tritt in mein Zimmer ein. »Kann ich reinkommen?«, fragt er und ich nicke leicht überfordert.
      Langsam setze ich mich hin und auch er nimmt neben mir Platz. Mein Herz schlägt in diesem Moment so schnell, dass ich Angst habe, dass es heraus springt. Nervös streiche ich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr und wiederhole das auch auf der anderen Seite. Dann beisse ich mir auf die Unterlippe und kaue eine Zeit lang darauf herum. Aufrichtig sieht er mich an.
      »Karol«, beginnt er. Eine plötzliche Wärme breitet sich in meinem ganzen Körper aus, als ich meinen Namen aus seinem Mund höre. »das was du gestern gesagt hast, stimmt nicht.« Ich erwidere nichts darauf, sondern warte gespannt auf die nächsten Sätze. »Du bist so viel mehr als das. Ich weiss, ich habe damals gesagt, wir sollen den Kuss vergessen, aber es ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht an den Kuss gedacht habe.« Mit einem schiefen Lächeln auf den Lippen, schüttelt er den Kopf. Er öffnet seinen Mund, um wieder etwas zu sagen, doch ich unterbreche ihn, bevor er überhaupt beginnen kann.
      »Wieso hast du es dann gesagt?« Plötzlich habe ich das Gefühl, dass er seine ganzen Gefühle vor mir verschliesst. Wie als würde er eine Mauer um sich bauen um mich fern von ihm zu halten. Er sagt nichts mehr. Wieder zerbricht mein Herz in mehrere Teile, wie gestern schon. Das, was er noch vor ein paar Sekunden zu mir gesagt hat, überschneidet sich überhaupt nicht mit dem, dass er jetzt nichts sagt. Die Worte von vorher waren wahrscheinlich alle gelogen. Nur, damit ich ihm verzeihe. Bevor ich noch weiter darüber nachdenken kann, nimmt er meine Hand und sieht mir in die Augen. Sein stechender Blick scheint mich zu durchbohren.
      »Weil ich Angst hatte, dass du nichts für mich fühlst.«

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt