24. Kapitel

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Ruggero

Nach einem Tag, den ich mit meiner Familie, Karol, ihrer Mutter und Diego verbracht habe, liege ich erschöpft in meinem Bett und lasse alle Ereignisse noch einmal in Revue passiere. Meine Familie wird jetzt erstmal ein paar Tage hier Übernachten und anschliessend werden wir zusammen zu meinem Heimatdorf fahren.
      Rundum war es ein schöner Tag, bis auf diese Begegnung mit diesem Mann. Ich weiss, wer dieser Mann ist. Es ist der Gleiche, wie der, der in Deutschland ausversehen an unsere Tür geklopft hat. Da bin ich mir hundertprozentig sicher. Karol habe ich noch nichts von meiner Feststellung erzählt. Aber wieso verfolgt er uns bis nach Italien? Er hätte Karol dieses Angebot genauso gut auch dort machen können. Ausserdem war das ein ziemlich abstraktes Angebot. Man verfolgt die Person doch nicht über mehrere Länder, um ihr ein Angebot zu machen. Aber die grösste Frage ist, wieso Karols Mutter so ausser sich war. Wusste sie, dass dieser Mann uns verfolgt? Kennt sie diesen Mann?
      Karol, die sich gerade in ihr Bett legt, löst mich von meinen Gedanken ab. Entsetzt sehe ich sie an, woraufhin sie fragend ihre Augenbrauen nach oben zieht. »Du willst alleine in dem Bett schlafen?« Fast schon verlegen zuckt sie mit den Schultern und zieht ihre Decke bis unter die Nase rauf.
      »Komm her.« Ich hebe die Decke leicht rauf und sehe sie abwartend an. Nach einem kurzen Zögern schlurft sie zu mir rüber und legt sich hin. Ihre Stirn ist an meiner Brust und ihre Augen sind geschlossen, doch ich sehe, dass ihr etwas Sorgen bereitet. »Was ist los?«, frage ich. Erschrocken weiten sich ihre Augen und sie blickt mir genau in die Augen. Trotz der Dunkelheit sehe ich ihre vor Sorge gerunzelte Stirn.
      »Nichts«, sagt sie und dreht ihren Kopf weg. Seufzend setze ich mich auf und lehne mich an die Wand, an der das Bett steht. Karol folgt mir mit ihrem Blick, bleibt jedoch liegen. Nach einigen Sekunden, in denen ich sie abwartend angestarrt habe, gibt sie nach und setzt sich ebenfalls auf. Hörbar atmet sie aus und streicht sich einige herausgefallene Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich jedoch gleich wieder lösen. Ich strecke meine Hand aus und streiche sie ihr sanft hinters Ohr. Sie muss mir eigentlich gar nicht erzählen, was mit ihr ist. Ich weiss es, aber ich will es von ihr hören.
      »Also, was ist los?«, frage ich noch einmal.
      »Ich mache mir Sorgen um meine Mutter«, murmelt sie und senkt ihren Blick auf das Bettlaken. Mit meiner Vermutung hatte ich wohl ins Schwarze getroffen. »Sie benimmt sich so komisch und dann auch noch dieser Mann.« Sie streicht sich mit ihren Händen über das Gesicht.
      »Das ist der gleiche Mann, wie der in Deutschland«, sage ich.
      Sie erstarrt in ihrer Bewegung und hält den Atem an. Dann richtet sie ihren Kopf auf und sieht mich an. »Natürlich«, murmelt sie und schlägt sich mir der Hand auf ihre Stirn. »Er kam mir sofort irgendwie bekannt vor«, fügt sie noch hinzu. Auf einmal wird sie von einer Müdigkeit überfallen, die ich fast schon spüre. Sie gähnt und lässt sich wieder zurück ins Kissen fallen. Als ich keine Anstalten dazu mache, mich neben sie zu legen, zieht sie mich an meinem Arm und ich falle neben sie. Mit einem leichten Schmunzeln schmiegt sie sich an mich und schläft nach einigen Minuten ein.

Die nächsten Tage vergehen recht schnell. Vor unserer Abreise heute steht noch ein Interview an. Jedoch findet das erst in ein paar Stunden statt, weshalb Karol und ich beschlossen haben uns im Restaurant, welches eine sehr bequeme Sitzecke hat, niederzulassen. Meinen Eltern habe ich mittlerweile erzählt, dass ich mit Karol zusammen bin. Keine Ahnung was ich erwartet hatte, aber ihre Reaktion hat mich positiv überrascht.
      »Ruggerito?« Ich sehe auf und blicke in Karols Gesicht, welches mich wahrscheinlich schon seit einer Weile anstarrt.
      »Hm?«
      Plötzlich senkt sie ihren Blick und schüttelt den Kopf. Wie als wolle sie das, was sie mir sagen wollte wieder vergessen. Aber nicht mit mir. »Sag«, dränge ich sie, doch sie schüttelt nur den Kopf.
      »Karol, sag es.« Wieder schüttelt sie den Kopf und beisst sich auf die Unterlippe. »Karol«, sage ich noch einmal. Kraftlos lässt sie ihre Schultern sinken und gibt sich geschlagen. Innerlich klopfe ich mir auf die Schulter und lehne mich leicht nach vorne.
      Ziellos wandern ihre Augen über mein Gesicht, bis sie sich einigermassen gefasst hat. »Es ist wegen uns.« Mein Magen verkrampft sich und ich lehne mich automatisch wieder zurück. Karol scheint zu wissen, was ich ahne, da sie beschwichtigend den Kopf schüttelt. »Nein, nicht das was du meinst«, sagt sie fast schon empört. »Was denkst du von mir?« Ich atme entspannt aus und lächele sie an. Sie erwidert mein Lächeln mit einem kurzen Grinsen und wird dann wieder ernst.
      »Also wie wäre es, wenn ..« Wieder bricht sie ab und schüttelt den Kopf. »nein, ist egal«, meint sie dann und verschränkt ihre Arme vor der Brust.
      Ich verdrehe die Augen und nehme ihre Hand. »Karol, so schlimm kann es doch nicht sein, mir das zu sagen.«
      Einen kurzen Moment betrachtet sie mich und ich sehe, dass sie einen inneren Kampf mit sich selber führt.
      »Ich wollte fragen, wie du darüber denkst, ob wir unsere Beziehung öffentlich machen sollten?« Sie lässt es wie eine Frage klingen und verzieht ängstlich das Gesicht. Einen Moment starre ich sie an und beginne dann zu lachen. Immer noch sieht sie mich mit geweiteten Augen an.
      »Und was war jetzt so schwierig daran, mir das einfach zu sagen?«, frage ich nachdem ich mich beruhigt habe. Sie zuckt nur mit den Schultern und wartet nach wie vor meine Antwort ab.
      Ich zucke mit den Schultern. »Mir ist es eigentlich egal«, erwidere ich und betrachte sie dabei genau. Aufrichtig lächelt sie mich an und ich sehe, dass ihr ein riesen Stein vom Herzen fällt.
      »Okay, können wir es also öffentlich machen?«, fragt sie und hüpft aufgeregt auf ihrem Sessel auf und ab. »Habe ich doch gerade gesagt«, entgegne ich und grinse. Sie verdreht lediglich die Augen und lehnt sich zurück.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt