22. Kapitel

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Ruggero

Und wieder befinden wir uns in einem Flugzeug. Aber dieser Flug ist anders. Ich kann kaum still sitzen vor Vorfreude. Wir steuern geradewegs auf mein Heimatland zu. Leider ist der Ort, an dem wir für ein paar Tage übernachten werden ziemlich weit weg von meiner eigentlichen Heimat. Aber ich werde nachdem wir die ganzen Interviews und Fotoshootings erledigt haben, zu meiner Familie fliegen.
      Karol, die im Schlaf irgendetwas Unverständliches murmelt, zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Ihren Kopf hat sie an meinen Oberarm gelehnt und ihre Beine hat sie auf den Sitz hochgezogen. Wieder wird mir bewusst, dass ich in letzter Zeit kaum ein Bild auf die sozialen Netzwerke hochgeladen habe. Eine Welle von Schuldgefühlen überrollt mich. Kurzerhand hole ich mein Handy hervor, und schiesse ein Foto von mir und einer schlafender Karol. Da ich es im Moment nicht posten kann, da ich mich in einem Flugzeug befinde, verschiebe ich es auf später und lehne mich in meinem sehr bequemen Sitz zurück.
      Ich werfe einen Blick zu meiner linken, wo Karols Mutter sitzt. Sie ist seit einigen Tagen seltsam still. Keine Ahnung, wieso. Auf jeden Fall habe ich beachtet, wie sie sich manchmal, als wir draussen waren, oder auch drinnen, umgedreht hat. Wie als würde sie überprüfen wollen, ob sie jemand verfolgt. Karol habe ich jedoch nichts davon erzählt. Wieso sollte ich auch? Ich weiss wahrscheinlich noch weniger als sie, was mit ihrer Mutter los ist. Auch diese Gedanken schiebe ich beiseite und sehe auf den Bildschirm vor mir. Noch zweiundzwanzig Minuten.
      Siebenunddreissig Minuten später, stehe ich auf italienischem Boden und bringe das Lächeln aus meinem Gesicht einfach nicht mehr weg. Karol, die stöhnend und müde hinter mir herläuft macht das Lächeln nicht wirklich kleiner. Das Gefühl endlich wieder in seiner Heimat zu sein, macht mich so glücklich, dass nichts meine Laune verderben könnte. Noch während wir auf unser Gepäck warten, schreibe ich eine Mitteilung an meine Eltern und an ein paar Freunde.
      Nach einer ziemlich turbulenten Taxifahrt, kommen wir bei unserem Hotel an. Ich steige aus und warte darauf, dass Karol ebenfalls herauskommt, doch mein Wunsch bleibt unerfüllt. Diego und Caro sehen mich fragend an, woraufhin ich mich bücke und einen Blick auf die Rückbank werfe. Irgendwie hatte mir mein Gefühl schon gesagt, dass ich Karol schlafend vorfinden werde. Dieses Mädchen ist wirklich nur am Schlafen. Kurzerhand lege ich meine Hand sanft unter ihre Kniekehle und die Andere platziere ich unter ihren Rücken. Mit einem Ruck hebe ich sie hoch. Sogar leichter als gedacht. Ich erinnere mich an den Moment, als sie völlig überzeugt davon war, dass sie fünf Kilo zugenommen hätte. Innerlich schüttele ich den Kopf und laufe dicht hinter Diego zum Eingang des Hotels. Von überall nehme ich Stimmen wahr, die meinen Namen rufen. Ich drehe mich auf die Seite und entdecke eine Handvoll Mädchen, die wie wild Fotos machen. Später werde ich noch einmal runter gehen und mir ein bisschen Zeit für sie nehmen. Aber jetzt muss ich mich erstmals um Karol kümmern.
      Diego hat mittlerweile schon eingecheckt und deutet mir mit einem Kopfnicken ihm zu folgen. Caro läuft dicht hinter mir und dreht sich immer wieder um und scannt die ganze Umgebung ab. Kaum merklich runzele ich die Stirn. Gerade als ich sie fragen will, ob alles okay ist, regt sich Karol. Ihr Kopf, der bis gerade eben noch an meine Brust gelehnt war, richtet sich langsam auf. Verschlafen sieht sie sich um. Verwirrt runzelt sie die Stirn, was mir ein Schmunzeln entlockt. Sie hat keine Ahnung wo wir sind. Was an sich nicht so schlimm ist. Aber ihr scheint wohl noch nicht richtig bewusst zu sein, dass sie gerade getragen wird. Erst nach einigen Sekunden wird ihr das langsam klar und sie blickt mir direkt in die Augen. »Ist es bequem?«, frage ich.
      Theatralisch nickt sie. »Ich könnte mir keinen bequemeren Platz vorstellen.« Während sie das sagt, schliessen sich ihre Augen langsam wieder. Jedoch trägt sie jetzt ein kleines Lächeln auf ihren Lippen, was meinem Herz einen Hüpfer versetzt.
      Diego öffnet mir die Tür und ich suche nach dem Schlafzimmer. Dieses Mal haben wir leider getrennte Betten. Sanft lege ich sie auf Eines ab und decke sie zu. Ihre Schuhe ziehe ich ihr ebenfalls aus. Bevor ich aus dem Zimmer gehe und die Tür hinter mir schliesse, gebe ich ihr einen sanften Kuss auf die Stirn.
      Auf dem Gang begegne ich Karols Mutter, die gedankenverloren vor ihrer Zimmertür steht. Ich trete mit lauten Schritten neben sie hin, nicht dass ich sie erschrecke. Trotzdem zuckt sie leicht zusammen, als sie mich wahrnimmt.
      »Ist alles okay?«, frage ich und sehe sie besorgt an. Ein kurzes Nicken ist die einzige Antwort die sie mir gibt, bevor sie in ihr Zimmer eintritt. Misstrauisch schreite ich den langen Gang entlang und trete nach draussen, wo ich mit verschiedenen Leuten Fotos mache.
      Nach einer gewissen Zeit, gehe ich wieder in das Zimmer von Karol und mir. Dort ziehe ich mir erstmal etwas Bequemeres an und gehe dann in das Zimmer, in welchem die Betten stehen. Mit einem kurzen Blick auf gegenüber liegende Bett, vergewissere ich mich, dass Karol seelenruhig schläft. Unbewusst platziere ich mich so, dass ich sie jederzeit im Blick habe. Trotz meinen unzähligen Versuchen zu schlafen, will es einfach nicht klappen. Karols Mutter geht mir einfach nicht aus dem Kopf. Sie verhält sich sehr seltsam. Natürlich kann ich das nicht so bewerten wie Karol, da ich sie nicht so lange kenne, aber dennoch habe ich immer wieder die besorgten Blicke bemerkt, die Karol ihrer Mutter zugeworfen hat. Schliesslich falle ich doch noch in einen sehr tiefen Schlaf.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt