12. Kapitel

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Ruggero

Von einem Klopfen an der Türe werde ich geweckt. Langsam schlage ich meine Augen auf und blicke  zu der Person, die gerade in mein Zimmer eintritt.
      »Ruggerito?«, fragt Karol leise.
      »Hm«, mache ich und schliesse meine Augen wieder. Ihr leises Lachen dringt durch die Decke zu meinen Ohren. Also mache ich meine wieder auf und betrachte sie. Sie scheint wohl überhaupt keinen Jetlag zu haben. Topmunter steht sie dort und sieht mich an. Ganz im Gegensatz zu mir. Ich könnte im Moment ohne Probleme vier Tage am Stück schlafen.
      »Es gibt jetzt gleich Essen.« Jetzt erst bemerke ich die leere in meinem Magen und richte mich stöhnend auf.
      »Ich komme gleich«, murmele ich.
      Karol nickt und tritt aus dem Zimmer heraus. In Rekordzeit ziehe ich mir etwas anderes an und mache mir meine Haare. Einige Minuten später stehen Karol und ich nebeneinander im Lift. Diego kann nicht mitkommen, da er noch irgendwelche andere Termine hat.
      Der Lift macht bei einen Stock unter unserem einen Stopp. Ein Mann, der ungefähr in meinem Alter sein müsste, gesellt sich zu uns. Er nickt mir höflich zu und wendet seinen Blick dann Karol zu. Er sieht sie aber nicht normal an, nein. Sein Blick klebt förmlich an ihr. Ohne eine Sekunde zu zögern, trete ich näher an sie heran und lege meinen Arm um ihre Schulter. Überrascht sieht sie zu mir hoch, lächelt dann aber. Der Typ wendet seinen Blick ab und sieht sich im Lift um. Nach einer halben Ewigkeit hält er und wir treten heraus. Wir blicken uns suchend nach einem freien Tisch um, den wir schliesslich auch finden. Während wir dorthin laufen, stelle ich fest, dass sich hier grösstenteils alte Menschen befinden. Ausser der Typ von vorher. Wir setzen uns hin und bekommen gleich von einem Kellner die Karte in die Hand gedrückt. Während ich konzentriert die verschiedenen Gerichte studiere, fängt Karol an zu reden.
      »Wann haben wir denn das Interview?«
      Ich überlege kurz, bevor ich ihr eine Antwort gebe. »Morgen«, sage ich voller Überzeugung, woraufhin sie beginnt zu lachen. Verständnislos sehe ich sie an.
      »Dass es morgen ist, ist mir schon klar. Schliesslich haben wir jetzt zwanzig Uhr«, stellt sie mit einem kurzen Blick auf die Uhr fest. Auch ich schüttele lachend den Kopf.
      »Ich glaube es ist am Nachmittag. Genau weiss ich es nicht«, sage ich schliesslich und Karol nickt. Während sie sich wieder der Karte zuwendet, sehe ich sie genau an. Sie hat mir in den letzten Wochen noch mehr gefehlt, als ich es für möglich gehalten hätte.
      Ein Kellner reisst mich aus meinen Gedanken.
      »Vous avez choisi?« Fragend sieht er mich an.
      Ich wechsle einen kurzen Blick mit Karol, die sich mit Mühe das Lachen verkneift. Er scheint wahrscheinlich an meinem Blick abzulesen, dass ich kein einziges Wort verstehe und nickt verstehend. Schliesslich fragt er das Gleiche auf Englisch und ich kann für uns beide bestellen. Als er die Karten wieder nimmt und geht, prustet Karol los.
      »Du hättest dein Gesicht sehen sollen, als er Französisch gesprochen hat.« Ich schliesse mich ihrem Lachen an. Nach einigen Minuten können wir wieder normal reden, weshalb ich mich rechtfertige.
      »Du kannst genau so wenig Französisch wie ich, also bitte« Bevor sie etwas einwenden kann, rede ich weiter. »und ich kann noch Italienisch.« Schmollend gibt sie auf und verschränkt die Arme vor ihrer Brust.
      »Ich hab es verstanden.«
      Ich nicke siegessicher und lasse meinen Blick durch das Restaurant schweifen. Es sieht sehr modern und schön aus. An den Wänden sind verschiedene Tapeten, die das Gesamtbild des Restaurants gemütlicher erscheinen lassen. Schon von weitem sehe ich den Kellner auf uns zukommen. Ich werfe einen kurzen Blick zu Karol rüber, die sich gespielt genüsslich über die Lippen leckt. Die Teller werden vor uns abgestellt und wir fallen beide beinahe über die Teller her. Schliesslich haben wir seit einem ganzen Tag nichts mehr gegessen. Und ich glaube auch nicht, dass das unser letzter Teller sein wird.
      Drei Teller später, bin ich satt. Mit einem kurzen Blick zu Karol stelle ich fest, dass auch sie keinen Bissen mehr runter kriegt.
      »Gehen wir?«, frage ich. Sie nickt und wir stehen auf. Zusammen schreiten wir durch den grossen Saal und warten auf den Lift, der eine gefüllte Minute braucht um zu kommen.
      »Ich bin bestimmt fünf Kilo schwerer«, motzt Karol herum. Ich gebe ein genervtes Geräusch von mir. Augenblicklich dreht sie sich zu mir um und zieht ihre Augenbrauen in die Höhe.
      »Du hast bestimmt nicht einmal fünf Gramm zugenommen.« Ihre Augen weiten sich geschockt und ich beginne zu lachen.
      »Fünf Gramm?«, fragt sie. Dabei stützt sie ihre Hände in die Hüften.
      »Maximal«, sage ich provozierend und trete aus dem Lift raus, da er angehalten hat. »Okay, dann sehen wir mal.« Mit schnellen Schritten läuft sie an mir vorbei und kramt in ihren Hosentaschen herum. Ich weiss jetzt schon, dass sie ihre Zimmerkarte vergessen hat, halte aber meinen Mund.
      Niedergeschlagen dreht sie sich um und sieht mich bittend an. »Ich habe meine Zimmerkarte vergessen«, murmelt sie kleinlaut. Gespielt enttäuscht schüttele ich meinen Kopf und krame ebenfalls in meiner Hosentasche herum. Zuerst gerate ich in Panik, da ich die Karte nicht gleich im ersten Augenblick ertaste, doch schliesslich finde ich sie und ziehe sie heraus. Dann halte ich sie an das Türschloss und die Tür gibt ein Klicken von sich.
      »Was würdest du nur ohne mich machen«, sage ich grinsend. Ein Seitenblick zu Karol genügt, und ich sehe, dass auch sie leicht schmunzelt.
      »Ja, klar« Übertrieben theatralisch fuchtelt sie mit ihren Händen herum. »Ich wäre verloren ohne dich.« Nach diesem Satz, läuft sie in jedes Zimmer rein und sucht nach etwas bestimmten. »Was suchst du denn?«, frage ich nach einigen Minuten und beäuge sie kritisch.
      »Eine Waage?«, sagt sie, als wäre es das Normalste der Welt. Belustigt darüber schüttele ich den Kopf. Ich gehe in mein Zimmer und werfe meinen Koffer, der vorher in das Zimmer gebracht wurde, auf das Bett. »Wieso sollten wir hier eine Waage haben?«, rufe ich und warte auf eine Antwort, die jedoch nicht kommt. Misstrauisch runzele ich die Stirn und stehe auf um Karol zu suchen. Jedoch ist die Suite leer.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt