8. Kapitel

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Ruggero

Die Choreo ist fehlerfrei gelaufen. Es war ein schönes Gefühl, mit Karol auf der Bahn zu tanzen.
      Im Moment sitzen wir im Auto auf dem Weg zu einem Aussendreh. Es ist ein recht unbekannter Platz, weshalb uns wahrscheinlich nicht viele Menschen aufhalten werden. Karol sitzt stumm neben mir und starrt seelenruhig aus dem Fenster. Ich hingegen rutsche unruhig auf meinem Sitz hin und her. Eigentlich wollte ich mich vorher bei ihr entschuldigen. Für was ich mich entschuldigen wollte, weiss ich nicht. Es kann jedoch sein, dass ich Karol in letzter Zeit unbewusst aus dem Weg gegangen bin. An dem Tag, an dem wir das Video gedreht haben, habe ich gedacht, dass ich mich in sie verliebt habe. Aber den Gedanken fand ich dann doch recht absurd. Ich meine, zwischen uns liegen gefüllte sechs Jahre. Da ist eine Beziehung praktisch unvorstellbar. Oder doch? Unwillkürlich schüttele ich den Kopf, wie als wolle ich mir selber klar machen, dass ich total am Rad drehe. Mauro, ein Kameramann, der neben mir sitzt, sieht mich komisch an. Ich winke mit einer Hand ab und sehe dann ebenfalls aus dem Fenster.
      Nach einigen Minuten kommen wir schliesslich an und steigen aus dem Auto aus. Es ist erschreckend warm draussen. Wir folgen dem Trupp, der einen bestimmten Weg läuft. Ich erkenne den Drehort schon von weitem, da ich sehe, dass er abgesperrt ist. Sie haben auf jeden Fall einen schönen Ort ausgesucht. Staunend lasse ich meinen Blick durch die ganzen Wiesen schweifen. Bis ich fast über das Absperrband stolpere. Neben mir höre ich Karol lachen. Verwundert darüber sehe ich sie an und beginne ebenfalls zu lachen. In diesem Moment, in dem ich sie lachen höre, fällt mir ein riesen Stein vom Herzen. Wieso, weiss ich nicht. In Kurzform wird uns erklärt, was mir machen müssen und schliesslich begeben wir uns auf unsere Positionen.
      Zuerst werde nur ich gefilmt. Anscheinend ist Matteo sauer auf Luna. Dann wird die Szene aufgenommen, wie Luna weinend auf Matteo zurennt.
      Immer wieder bin ich erstaunt darüber, wie Karol auf Knopfdruck weinen kann.
      Nach dieser Szene werden die Kamerapositionen gewechselt, da wir stehen bleiben und wir reden.
      »Ton ab!«
      »Läuft.«
      »Kamera ab!«
      »Läuft.«
      »Action!«
Ich höre das Klappen der Klappe und sehe Karol an, die nach wie vor ein tränenverschmiertes Gesicht hat.
      »Matteo, es tut mir so leid. Ich wusste nicht dass du.. also deine Mutter im Krankenhaus liegt. Ich hätte ni-« Wie immer gestikuliert sie wild mit ihren Händen herum. Ich unterbreche sie.
      »Luna, lass es«, sage ich flüsternd. »Bitte.«
      Verständnislos schüttelt sie den Kopf. »Nein, Matteo. Es ist mein Fehler und ich werde mich so lange bei dir entschuldigen, bis du mir verzeihst.« Immer noch fliessen ihr Tränen aus den Augen. Wie gerne ich sie ihr einfach wegstreichen würde. Schnell verwerfe ich den Gedanken und konzentriere mich auf die Szene.
      »Luna«, beginne ich, doch sie unterbricht mich wie vorgeschrieben. »Matteo, bitte.« Sie legt ihre Hände auf meine Schultern und sieht kurz auf den Boden, bevor sie ihren Blick wieder aufrichtet.
      »Matteo, ich liebe dich.« Einen klitzekleinen Moment lang denke ich, dass sie das zu mir gesagt hätte. Aber ich bin Ruggero und nicht Matteo. Und sie ist Karol und nicht Luna. Trotzdem klopft mein Herz mir bis zum Hals rauf. Sie lässt enttäuscht ihren Kopf sinken, doch ich lege meine Finger sanft unter ihr Kinn. In ihren Augen schimmert pure Hoffnung.
      »Ich liebe dich auch«, sage ich flüsternd. Einen kurzen Moment bin ich erschrocken darüber, dass mir dieser Satz so einfach über die Lippen gekommen ist, verschiebe die Gedanken jedoch auf später. Meinen Blick stets auf ihre Lippen gerichtet, nähere ich mich ihr. Ich spüre ihren heissen Atem an meinen Lippen, der mich verrückt macht. Schliesslich schliesse ich meine Augen und verringere den Abstand zwischen unseren Lippen. Als ich meine auf ihre Lippen lege, spüre ich eine Explosion in meinem Bauch. Auch das Kribbeln auf meinen Lippen wird nicht weniger, sondern immer mehr. Meine Hände legen sich wie automatisch an ihre Wangen, die ich sanft mit meinem Daumen streiche. Ich muss mich echt bremsen, sie nicht richtig zu küssen, da uns bei diesem Kuss vorgeschrieben wurde, nur die Lippen aufeinander zu legen. Wie würde es sich wohl anfühlen, sie richtig zu küssen?
      »Cut!«
Ruckartig löst sich Karol von mir und sieht mich erschrocken an. Auch ich sehe sie einen Moment lang an. Ihre Tränen sind mittlerweile getrocknet.
      »Das war super Leute«, meldet sich Martin zu Wort. »Ihr könnt gehen.« Kurz nickt er uns zu und sieht danach die Aufnahmen auf der Kamera an.
      Karol und ich machen uns also wieder auf dem Weg zum Auto, wo wir zum Set gefahren werden. Es herrscht eine kaum zu ertragende Stille zwischen uns. Die Spannung ist praktisch mit den Händen greifbar. Ich seufze und lehne mich in meinem Sitz zurück. Was hat sich nur zwischen uns verändert? Oder war das schon immer so? Nein, war es nicht. Und wieder frage ich mich, ob ich nicht doch etwas für Karol empfinde. Im ersten Moment erscheint es mir wieder fast unmöglich, bis ich meinen immer schneller werdenden Puls wahrnehme. Unbewusst sehe ich zu ihr rüber und betrachte sie von der Seite. Ihr wunderschönes Gesicht, das eine Ausstrahlung hat, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Mein Blick wandert zu ihren Lippen, die einfach nur perfekt aussehen.
      Ich werde von dem Geräusch einer aufgehenden Autotür aus meinen Gedanken gerissen. Wir rennen zusammen zum Eingang, damit uns niemand aufhalten kann. Um die Leute, die immer auf uns warten, nehmen wir uns meistens nach den Dreharbeiten Zeit, da wir einen recht strengen Zeitplan haben. Ohne ein Wort zu sagen, gehen wir je auf unsere Zimmer. Seufzend schliesse ich die Tür hinter mir und lehne mich daran. Ob ich will oder nicht, ich habe mich in Karol verliebt.

Ruggarol - Verlorene ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt