Karol
Wieder sind einige Wochen vergangen und ich könnte mittlerweile fast sagen, ich sei wunschlos glücklich. Wären da nicht meine Mutter, dieser komische Mann und mein schlechtes Gewissen gegenüber Ruggero. Meine Mutter ist langsam von ihrem Trip runtergekommen und benimmt sich einigermassen normal. Immer wieder versuche ich herauszufinden, weshalb sie einige Monate so am Boden zerstört war. Aber sie blockt jedes Mal ab. Herr Ruiz habe ich ein paar Mal auf der Strasse angetroffen, habe ihn aber ignoriert. Gestern habe ich eine Nachricht von ihm bekommen, dass ich mich heute mit ihm treffen soll. Da ich diese Abmachung mit ihm abgeschlossen habe, muss ich wohl oder übel hingehen. Und ausserdem will ich immer noch herausfinden, was mit meiner Mutter los war. Beziehungsweise immer noch ist.
Ich biege um die Ecke und blicke zu dem Gebäude, in dem wir trainieren. Mit zielstrebigen Schritten laufe ich auf die Halle zu und blicke mich immer wieder um. Erleichtert darüber, endlich drinnen zu sein und die warme Luft zu spüren, stosse ich die Tür auf und mache mich direkt auf den Weg zur Garderobe. Eigentlich bin ich ein bisschen früh dran, aber es werden bestimmt schon einige da sein. Im Umkleideraum entdecke ich Chiara, Ana und Malena. Lächelnd begrüsse ich sie und stelle meine Tasche ab.
»Ich freue mich schon so auf die Tour«, sagt Malena. Ich nicke zustimmend und befreie mich von meinen Jacken.
Dann wird es still und jeder von uns hängt seinen eigenen Gedanken nach.
Plötzlich wird die Tür aufgeschlagen. »Guten Morgen!«, höre ich Valentinas Stimme. Gleichzeitig drehen wir uns zu ihr um. Sie ist auch die Einzige, die am frühen Morgen schon so gute Laune haben kann.
»Sei bitte nicht so laut, es ist noch zu früh«, meldet sich eine andere Stimme zu Wort. Hinter ihr tritt Caro ein und hält sich stöhnend den Kopf. Die Arme ist seit einer Zeit erkältet. Valentina hält ihre Hände verteidigend in die Luft und beginnt ebenfalls sich ihre Jacke auszuziehen.
Schliesslich kommt noch Katja reingehuscht und wir sind vollzählig. Als wir uns alle umgezogen haben, betreten wir die Halle. Ich sehe mich um und erblicke Ruggero. Mein Herz macht einen Sprung, doch mein schlechtes Gewissen meldet sich ebenfalls zu Wort. Immer wieder muss es mir sagen, dass ich ihm einfach dreist ins Gesicht gelogen habe. Aber ich werde es ihm noch sagen, dass ich das Angebot doch angenommen habe. Vielleicht nicht heute. Morgen auch nicht und Übermorgen wahrscheinlich auch nicht. Ich schüttele meinen Kopf, um die Gedanken zu verdrängen und sehe zu unserem Trainer, der uns alle durchzählt.
Nach zwei Stunden dürfen wir unsere erste Pause machen. Fix und fertig, laufe ich auf den Ausgang der Halle zu, um meine Flasche erneut aufzufüllen, als mich plötzlich jemand von hinten packt. Erschrocken keuche ich auf, jedoch brauche ich nicht lange, um herauszufinden, wer das ist. Ich wende mich aus seinem Griff und stehe vor ihn hin. »Wie viele Male habe ich dir gesagt, dass du mich nicht so erschrecken sollst?« Grinsend schraube ich meine Flasche auf und halte sie mir an den Mund, bis mir einfällt, dass ich wegen dieser Flasche raus wollte. »Ich muss die schnell auffüllen«, sage ich und zeige dabei auf die Flasche.
Ruggero nickt und hält seine leere Flasche ebenfalls in die Höhe. »Ich komme mit.«
Ich nicke und lehne mich gegen die Tür, damit sie aufgeht.
Ein paar Stunden später bin ich so fertig, dass ich nicht einmal alleine geradeaus laufen kann.
»Nicht, dass du umfällst«, nehme ich die Stimme von Lio wahr. Als ich mich nach hinten drehe, erblicke ich ihn und Gaston. Ich bleibe stehen, damit sie zu mir aufholen können.
Warnend sehe ich ihn an. »Ich würde nie umfallen.« Seinem Gesichtsausdruck nach, glaubt er es mir nicht.
Gerade, als ich etwas erwidern will, legt Gaston seinen Arm vor meinen Bauch und stoppt mich somit. Bevor ich ihm einen verwirrten Blick zuwerfe, stelle ich tatsächlich fest, dass ich fast gegen eine Wand gelaufen wäre.
»Gut, dann fällst du nicht um, sondern krachst irgendwo rein.« Wie auf Knopfdruck beginnen beide prustend loszulachen. Einige Sekunden später schliesse ich mich ihnen an und lache hinter hervorgehaltener Hand. Alle, die um uns herum stehen, beäugen uns besorgt, woraufhin wir nur abwinken.
Nach unserem Lachanfall, werfe ich einen flüchtigen Blick auf die Uhr. »Scheisse«, flüstere ich.
»Hast du dich im Spiegel gesehen?«, fragt Lionel grinsend.
Mit hochgezogenen Augenbrauen drehe ich mich zu ihm. »Haha«, sage ich emotionslos. Nach diesen Worten drehe ich mich um und stürme aus der Halle.
»Hey, Karol! Du bist wunderschön und ich habe dich lieb!«, ruft mir Lio nach hinterher. Mit einer Hand winke ich ihm zum Abschied zu und eile in die Garderobe.
Dort ziehe ich mich im zügig um. Als ich fertig bin, kommen alle Mädels erst rein um sich umzuziehen.
»Wohin des Weges?«, fragt mich Katja.
Ertappt drehe ich mich zu allen um. »Ich habe einen Termin«, sage ich. Schliesslich ist es die Wahrheit. Sie nicken und ich beginne jede einzelne zum Abschied zu umarmen. Mit schnellen Schritten verlasse ich die Garderobe und knalle volle Kanne in Ruggero rein. Genau ihn wollte ich heute vermeiden.
»Wo gehst du denn hin?« Er runzelt seine Stirn.
Verzweifelt stöbere ich in meinem Hirn nach einer brauchbaren Ausrede. »Ich habe einen Termin.« Seine Augenbrauen schiessen in die Höhe.
»Okay.« Er zieht das Wort extra in die Länge.
Ich schlinge meine Arme um seinen Rücken und lehne mein Gesicht an seine Brust. Er erwidert meine Umarmung, indem er mich näher an sich drückt. »Ich muss gehen«, murmele ich und löse mich von ihm. Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und drücke meine Lippen kurz auf seine, bevor ich auf den Ausgang zumarschiere und hinaustrete.
Vor seinem Büro trete ich aufgeregt von einem Fuss auf den anderen. Ich gehe jetzt da rein, höre mir an, was er zu sagen hat und verschwinde wieder. So lange kann das doch nicht dauern, oder? Bevor ich mich dazu überwinden kann zu klopfen, geht die Tür plötzlich auf.
»Wie lange willst du noch hier herum stehen?«
Ich werfe ihm einen warnenden Blick zu, woraufhin er verstummt. Ausnahmsweise habe ich heute keine Befürchtungen, dass er irgendetwas genommen hat. Er wirkt erstaunlich ruhig. Die ganzen Selbstzweifel, die ich vorher noch hatte, sind wie weggeblasen. Hinter ihm trete ich in das Büro ein. »Sagen sie mir, was sie mir sagen müssen. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Belustigt, aber dennoch mit einer gewissen Aggressivität sieht er mich an. Ohne zu Zögern halte ich seinem Blick stand. Ich habe keinerlei Respekt vor diesem Mann. Er wendet ich als Erster ab und ich klopfe mit innerlich auf die Schulter. »Wenn ich du wäre, würde ich aufpassen, was ich sage.«
»Und wenn ich sie wäre, würde ich langsam zur Sache kommen.« Dieser Mann erweckt ein neues Ich zum Vorschein. Ich erkenne mich gar nicht mehr wieder. Seit wann bin ich so aggressiv?
»Also gut«, beginnt er und lässt sich auf den Sessel fallen. Anscheinend will er es wirklich nicht unnötig hinaus zögern, da er mir nicht anbietet, mich hinzusetzen. »Die Dreharbeiten beginnen nach deiner Tour«, verkündet er. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Sie sind nicht zeitgleich mit den Soy Luna Dreharbeiten. »Ich habe jedoch noch keine männliche Hauptrolle.«
Er sieht mich dabei so vielsagend an, dass ich mich zuerst frage, was er meint. Bis mir seine Anspielungen klar werden. »Vergessen sie es«, sage ich aufgeregt. »Halten sie Ruggero aus ihren komischen Plänen heraus. Er hat damit nichts zu tun.« Langsam beugt er sich nach vorne.
»Du scheinst ihn sehr zu lieben, nicht wahr?«
»Das tut nichts zur Sache. Halten sie ihn da raus, oder sie können mich vergessen.« Bevor er noch etwas sagen kann, wende ich mich der Tür zu. »Wenn das alles war, dann gehe ich.«
Da keine Einwände seinerseits kommen, gehe ich aus diesem Büro, welches mir meinen letzten Nerv raubt, raus.
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Ruggarol - Verlorene Erinnerungen
FanfictionKarol und Ruggero sehen einander als beste Freunde. Doch was passiert, wenn sich die Sichtweise der Beiden plötzlich verändert? Zwischen unzähligen Interviews und Terminen muss Karol noch einen Deal mit einem Regisseuren einhalten. Der merkwürdige F...