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Die Woche Ferien zog sich für mich in eine unermessliche Länge. Mit kaum einem redete ich ein Wort und wenn nur das nötigste, wie guten Morgen oder eine kurze Antwort auf eine Frage. Ich hatte das Gefühl mich nicht mehr bei den Leuten meines Bruders wohlzufühlen, als wären sie mir Fremde geworden, mit denen ich nicht Jahre meines Lebens verbracht hatte, als wären sie nicht jene, die auf mich aufgepasst hatten, wenn Hoseok sich vor Polizisten in Sicherheit brachte und manchmal Tage weg war.

Yugyeom und die anderen waren noch am Weihnachtsabend abgereist und wieder zurück nach Seoul gefahren. Tinashe erzählte mir noch, dass Yugyeom Kapi wieder zurück gebracht hatte und sich in der Woche noch um sie kümmern würde, solange sie und die anderen noch hier waren. Von meinem Bruder bekam ich nicht mal eine nachricht zu Silvester. Es war das trockenste und langweiligste Neujahrsfest  meines Lebens. Den ganzen Abend lang ich im Hotelzimmer, I.M hatte zum glück ein anderes bekommen, und schaute mir irgendwelche banalen Serien an, die eigentlich auch total langweilig waren.

Zurückbringen wollte mich keiner. Ich sollte meine Zeit in der Freiheit genießen. Ha! Toll wie ich sie so nutzte. Mit rumliegen und nichts tun, nichtmal ans Meer wollte ich, auch wenn es mich mit seinen Wellen rief. Ich wollte keinen sehen, nicht einen von ihnen. Meine Laune war auf Grundeis gelaufen und mein Bruder interessierte sich einen verdammten scheiß für mich. Essen ließ ich mir aufs Zimmer bringen, wenn ich frische Luft wollte, riss ich die Fenster auf und stellte mich genau dahin wo der Wind vom Wasser in mein Zimmer wehte. Mehrmals versuchten Tinashe und I.M in mein Zimmer zu gelangen, doch ich hatte es von außen abgesperrt und machte ihnen nicht auf, nicht mal wenn sie Stunden bettelten, und das taten sie wirklich fast jeden Tag.

Mehr als nur erleichert schmiss ich am Sonntag vor der Schule die Autotür von Tinashe zu und raste zurück aufs Schulgebäude und sofort in die Richtung von dem Haus, in dem ich hier lebte. Ich hatte mein erscheinen wieder auf Jungkook geändert und brauchte dafür heute morgen eine ganze Weile, eh ich wieder die richtigen Schattierungen setzte. Tausende Steine fielen mir von meinem Herz, als ich die Klinke drückte und sich die Tür tatsächlich öffnete.

"Jungkookie!" kaum hatte ich einen Fuß in die Wohnküche gesetzt klebte Taehyung an mir und drückte mich so fest an sich, dass ich angst hatte, ich würde keine Luft mehr bekommen. Ohne zu zögern erwiederte ich seine Umarmung so stark, wie er mich drückte. Ich hatte diesen quirligen, unschuldigen Wirbelwind so vermisst. Mir fehlte es einfach mit jemanden herumzublödeln, mir fehlte Taehyung. "TaeTae." murmelte ich. Er durfte mir einen Spitznamen geben und ich hatte einen für ihn. "Du bist der erste der heute da ist, die anderen sind alle von der Schule aus in Busan." erklärte er und hielt mich immer noch fest. "Ich hab dich so vermisst, bei meinen Eltern war es so langweilig, nichtmal mein Handy durfte ich haben." erzählte er mir und seufzte. "Ich an deiner Stelle hätte es mir von ihnen geklaut." meinte ich locker und versuchte die Umarmung etwas zu lösen. "Ich bin aber leider nicht so cool wie du." murmelte er und sah belegt weg.

Ich wuschelte ihm durch die braunen Haare. "Ne bist du nicht." Verdutzt sah er mich an. "Du bist tausendmal cooler als ich." grinste ich und hiefte meine Tasche richtig auf meinen Arm, die mir bei der Umarmung auf den Boden gefallen war. Tae grinste ebenfalls. Bei seinem Grinsen durchzog mich die wohlige wärme, mit der ich bei ihm wohl mittlerweile rechnen musste. Ich lief an ihm vorbei in die Richtung von meinem Zimmer und stieß die Tür auf. Jemand hatte aufgeräumt, gründlichst aufgeräumt, was mir gar nicht gefiel. Die Tasche auf meinem Arm fiel auf den Boden und ich lief ins Bad. Wenigstens war hier noch alles so ordentlich chaotisch wie bevor ich ging.

"Ich hab aufgeräumt in deinem Zimmer. Mir war langweilig und ich wusste nicht was ich tun sollte." murmelte Taehyung und sah wie ein ertapptes kleines Kind mit den großen braunen Augen auf den Boden. Ich konnte ihm nicht böse sein, auch wenn er hätte Dinge entdecken können, die er nicht sehen sollte, wie Mädchenwochenmonatsdinge, die ich unter einem Schubfach am Schreibtisch geklebt hatte, eben für einen solchen Fall. "Nicht gut?" seine Stimme klang niedergeschlagen. "Alles gut, wirklich. Aber bitte mach das das nächste mal nicht einfach so. Ich kann aggresiv werden, was meine Privatssphäre betrifft.

Taehyungs Mine hellte sich sofort wieder auf. "Geht klar, das nächste mal frage ich dich vorher." er grinste und nickte, sodass seine Haare nur so um seinen Kopf flogen. "Was hast du in den Ferien gemacht?" fragte er mich und ließ sich auf dem Bett in meinem Zimmer fallen. "Ähh. Serien geschaut." antwortete ich gedehnt und setzte die Reisetasche auf meinem Drehstuhl ab. "Hast du nichts mit deinem Bruder unternommen?" harkte er nach. In seinen Augen lag kindliche Fassungslosigkeit. "Hab mit ihm Serien geschaut." schulterzuckend zog ich meine Tasche auf und fing an sie auszuräumen. "Und an Silvester?" er ließ nicht locker. "Raketen in die Luft geschossen." log ich weiter und räumte die dreckigen Sachen ins Bad.

"Ich musste Klavier spielen um meine Geschenke zu bekommen, war in tausenden Museen und bin noch immer nicht schlauer geworden und meine Eltern haben mir ihr Firmengebäude gezeigt." mit jedem Wort ging seine Laune mehr auf den Boden eines tiefen Grabens, so auch sein Gesichtsausdruck. "Ich kanns dir nur anbieten, wir hauen nach dem Jahr ab und ich helfe dir was zu finden, was zu dir passt." bot ich ihm an und lehnte mich gegen den Türrahmen zwischen Bad und Schlafzimmer. Taehyung sah zu mir. "Ich hab echt mit den Gedanken gespielt mit dir mit zu gehen." murmelte er und fuhr sich durch die Haare. "Dann mach es! Du bist mittlerweile achtzehn. Du kannst machen was du willst." erinnerte ich ihn. "Du wusstest, dass ich Geburtstag hatte?" er sah mich überrascht an und ich nickte. "Hat mit Jimin mal erzählt." Ich schlürfte wieder zu meinen schmutzigen Sachen in der Tasche und ging die nächste Ladung wegbringen. "So eine Labertasche." fluchte er leise. Ich lachte. "Was erwartest du von nem halben Weib?" Jetzt lachte er ebenfalls. "Schon gut. Jimin kann reden wie ein verdammter Wasserfall." stimmte er zu und nahm sich eines meiner Kissen.

"Müssen wir morgen wirklich wieder in die Schule?" murrte er und spielte an einer Ecke. Ich nickte. "Wohl oder übel, ja." machte ich ihm wenig begeistert klar und seufzte theatralisch. "Eigentlich raubt uns diese Hölle unser ganzes Leben, in dem die Lehrer uns immer und immer zu Augen führen, dass Träume eigentlich nichts Wert sind in dieser Welt, dass sie einen nicht weiterbringen." erklang Taehyung traurig. "Das machen sie nur, weil sie sauer auf sich selber sind, da sie nichts besseres, als Lehrer geworden sind." versuchte ich ihn aufzumuntern und schmunzelte, als ich sein tiefes, harmonisches Lachen in meinen Ohren erklingen hörte. "Vor allem Mr Kye." setzte er zum lästern an. Ich nickte. "Dieser Lehrer sollte anstatt Mathebücher, Cornflakes zum Frühstück essen." Sein Lachen wurde schallender und wunderschöner. "Ich denke er verarbeitet sie zu Pulver und schnieft sie, wie Drogen und von denen wird er High." spekulierte er und ließ sich auf meinem Bett nach hinten fallen. Lachend nickte ich. "Wenn man von Plussen und Minussen und Potenzen und dem ganzen quark überhaupt High werden kann." zweifelte ich an. "Du erlebst doch immer, wie er aufgeht, wenn er die Gleichung seines Lebens gefunden hat und wie er dann alles auseinander nimmt mit X gleich Z und so." sponn er unseren Faden weiter. "Er soll es sich endlich eingestehen, dass X nicht gefunden werden will. Es ist weg, auf ewig." setzte ich fort und ließ mich lachend neben Taehyung fallen. Gott hatte ich es die letzten Tage vermisst mit ihm so einen rotz zu labern.

be quietWo Geschichten leben. Entdecke jetzt