Wie Vater und Tochter✔

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Ständig lag mein Blick auf der Uhr.

Der lange Zeiger zeigte auf die 12, der kurze auf die 8. Noch 3 Stunden bis ich ihn zum ersten Mal sehen würde. Meinen Vater. Der Mann, von dessen Existenz ich die letzten 16 Jahre nichts wusste. Der Gedanke ließ ein mulmiges Gefühl in mir ausbreiten und bereits jetzt konnte ich spüren, wie die Nervosität meinen Körper umhüllte und mich verwundbar machte.

Hatte er von meiner Existenz gewusst und wenn ja, warum war ich ihm ab der ersten Sekunde so unwichtig? Vielleicht war ich ihm gar nicht unwichtig. Vielleicht wäre es einfach tragisch gewesen, wenn dieses Geheimnis ans Licht gekommen wäre - es wäre schrecklich gewesen um ehrlich zu sein.

Nein. Ich durfte mir nicht weiter über all diese Dinge den Kopf zerbrechen. Ich wollte auch nicht. Stattdessen lenkte ich meine Gedanken zunächst darauf, die richtige Frisur auszusuchen. Wie gesagt, meine Mom sagte immer, mit dem richtigen Outfit würde man alles schaffen.

Ein paar Minuten später betrachtete ich mich allerdings kritisch im Spiegel. Ein roséfarbenes Kleid und ein einfacher Zopf. Konnte ich mich so jemandem zeigen, der sich vermutlich meinen Vater nannte und all die Jahre von mir wusste? Ich seufzte und schaute mit einem bedauernden Blick in den Spiegel. Es war just in diesem Moment, als mir bewusst wurde, dass ich die Person, die sich darin wiederspiegelte, nicht wiedererkannte.

Nicht nur mein Leben hatte sich geändert - ich hatte mich geändert.

,,Heute ist ein ganz besonderer Tag Rosalie" seufzte ich, als ich in den Wald hinuntergelaufen war, um meine Begleiterin startklar zu machen. Ich konnte mir für diesen besonderen Moment niemand anderes vorstellen als Rosalie. Sie hatte meine schlimmsten Momente miterlebt und gleichzeitig meine schönsten. Das Satteln gelang mir äußerst zügig, denn meine Mom hatte es mir mit nur fünf Jahren beigebracht. ,,Ich schätze, wir können los Süße" meinte ich mit einem nachdenklichen Unterton.

Seit einigen Tagen tauchte der Frühling die Welt in eine angenehme Wärme. Ein leichter Wind strich mir hin und wieder eine kurze Strähne ins Gesicht und die Sonne schmiegte sich wie eine Decke an meine Haut. Normalerweise würde ich jetzt wahrscheinlich auf einer Wiese liegen und den Augenblick in allen Zügen genießen, doch stattdessen spielte ich Däumchendrehen auf der Brunnenkante von Hogsmeade und schaute ununterbrochen auf die Uhr.

Er war bereits 6 Minuten und 40 Sekunden zu spät. Ob er mich absichtlich versetzt hatte? Ich wusste es nicht. Ob er vielleicht gar nicht kommen würde? Ich wusste auch das nicht. Auf dem Weg hierher hab ich mir die Frage gestellt, ob wir wohl Gemeinsamkeiten hatten und hiermit wäre dann geklärt, dass wir grundverschieden waren, wenn es um Pünktlichkeit ging.

Auch nach weiteren 6 Minuten und 40 Sekunden war weit und breit niemand zu sehen, der aussah, als würde er nach 16 Jahren zum ersten Mal seine Tochter treffen. ,,Das kann doch nicht wahr sein" murmelte ich und stütze mich von der Brunnenkante hoch. Zögerlich umschloss ich Rosalies Halfterleine und setzte zum Gehen an, als ich plötzlich eine aufgeregte Stimme hörte: ,,Bitte warte!".

Ich verharrte in meiner Position, nachdem ich realisierte, dass ich gemeint war. Ganz langsam und vorallem bedacht drehte ich mich wieder um, um einen schwarz gekleideten Mann auf mich zukommen zu sehen. Seine dunkelbraunen Haare waren zerzaust und sahen aus wie meine, wenn ich mich morgens im Spiegel betrachte.

Er kam schwer atmend vor mir zum Stehen. ,,Du siehst aus wie deine Mutter" murmelte er, woraufhin ich trocken entgegnete ,,Und du bist zu spät". Er griff in seine Innentasche und zog eine Schachtel hervor, die er mir schließlich entgegen hielt. ,,Das hab ich dir besorgt, ich hoffe es gefällt dir".

Ich nahm sie mit einem verklemmten Lächeln entgegen und öffnete sie. Darin lag eine wunderschöne herzförmige Kette, in der ,,Lilly" geschrieben stand. ,,Sie ist wunderschön! Danke", sagte ich, "würdest du sie mir bitte umlegen?". Meine Frage war zögerlich und dennoch nickte er mit einem Schmunzeln. Ich zog den Schmuck aus der Schachtel heraus und legte ihm in seine Hände. Dann drehte ich mich um und spürte schon kurze Zeit später seine Hände an meiner Haut, die mir furchtbar nah waren. ,,Alles klar" nuschelte er und ließ noch immer schmunzelnd von mir ab.

Plötzlich hörte ich eine tosende Schülermenge näher kommen. ,,Wir sollten nicht zusammen gesehen werden, komm mit" erklärte er hastig und machte kehrt.

,,Zwei Butterbier bitte" gab mein Begleiter von sich, woraufhin die Bedienung freundlich nickte und sich schnell wieder verflüchtigte. Wir hatten uns in eine schäbige Bar begeben und schwiegen uns an. ,,Also. Erzähl mir etwas von dir" beschloss ich zu beginnen und schaute ihn aufmerksam an.

,,Über mich gibt es nichts zu erzählen, was du wissen solltest. Ich bin kein Vater, auf den man stolz sein könnte. Mein Leben besteht darin, Dinge zu tun, die ich niemals tun wollen würde um zu überleben. Erzähle mir doch viel lieber etwas über dich". Ich seufzte einmal kurz, bevor ich einen Zeitpunkt in meinem Leben aussuchte, den ich als einen guten Start empfand. Überraschender Weise war es leicht sich ihm zu öffnen und ich hatte das Gefühl, dass er jedes Wort, das meinen Mund verließ, aufsaugte.

Als der Himmel sich schließlich orange färbte, meinte ich: ,,Ich sollte jetzt besser wieder gehen. Die Dämmerung setzt gleich ein" mit einem entschuldigendem Blick. Ich erhob mich aus meinem Stuhl, dann er. ,,Danke für heute. Es war schön dich kennenzulernen" lächelte ich und fasste einmal theatralisch meine neue Kette an. ,,Das fand ich auch" gab er von sich, bevor ich mich wortlos umdrehte und die Kneipe verließ.

Überarbeitet: 19.10.2020

Die Eisprinzessin (Draco Malfoy FF) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt