Was zuletzt geschah:
Jonas' verbesserungswürdiger Orientierungssinn führt ihn nicht wie geplant zum Italiener, sondern vor Kolbs Haustür. Irgendwie schaffen die beiden es, so etwas ähnliches wie ein Gespräch miteinander zu führen und schon diese kleine Annäherung reicht, um in Jonas den Wunsch nach einer Vertiefung ihrer Bekanntschaft aufkommen zu lassen.
Kolbs Gehirn ist von diesem Vorschlag weniger angetan als sein Penis und er bittet um ein wenig Bedenkzeit.
Kapitel 5
Die Sonne war zu grell, die Luft zu frisch und die Vögel zu laut. Alles in allem war es für Jonas' Geschmack deutlich zu früh und seine Nervosität trug nicht zur Verbesserung seiner Laune bei. Zum dritten Mal an diesem noch jungen Tag überflog er Eriks knappe Nachricht. Richtiges Datum, richtige Uhrzeit. Über das Warum dieses Besuchs schwieg sie sich jedoch aus und Jonas hatte sich nicht die Blöße geben wollen, nachzufragen. Der Lohn seines falschen Stolzes waren etwa hundert verschiedene Szenarien, die sich gleichzeitig vor seinem inneren Auge abspielten. Er atmete einmal tief durch. Herumstehen und auf der Stelle treten würde ihm keine Antworten liefern.
Mit gesenktem Kopf, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, steuerte Jonas Eriks Tür an und klingelte. Obwohl sie dieses Mal verabredet waren, dauerte es merklich länger, bis ihm geöffnet wurde.
„Guten Morgen", begrüßte Erik Jonas. Er wirkte erschöpft, aber weder das zerzauste, von der Dusche noch feuchte Haar, noch die ein wenig schief auf seiner Nase sitzende Brille taten seiner Attraktivität Abbruch. „Müde?"
„Solange ich nicht so fertig wie du aussehe ..."
„Ah, ein paar freundliche Worte am Morgen, da geht mir richtig das Herz auf."
„Jaja, ich sag bloß die Wahrheit." Jonas drängelte in die warme Wohnung und ärgerte sich gleich darauf über seine überzogen unhöfliche Reaktion, geboren aus dem Versuch, sich seine Unsicherheit nicht anmerken zu lassen. In der Hoffnung, die vermasselte Begrüßung halbwegs ausbügeln zu können, fragte er: „Hast du die ganze Nacht im Tix gearbeitet?"
„Mhm."
„Wir hätten uns auch später treffen können."
„Ich bin heute den ganzen Tag unterwegs."
„Oh. Ach so." Innerlich seufzend aber davon abgesehen protestlos, ließ sich Jonas ein weiteres Mal in die Küche dirigieren. Auf dem Tisch standen ein mit duftenden Brötchen gefülltes Weidenkörbchen, zwei Teller und allerlei Auswahlmöglichkeiten an Belägen.
„Setz dich", wies Erik ihn an. „Kaffee?"
„Mit Milch und Zucker geht's", antwortete Jonas wenig begeistert. „Du hast nicht zufällig Red Bull da?"
„Es ist noch nicht mal neun."
„Deshalb das Bull. Abends bin ich wach genug."
Jonas glaubte, Erik seufzen zu hören, als sich dieser abwandte und den in die Wand eingelassenen Vorratsschrank durchsuchte. „Ah." Offenbar war er fündig geworden, denn er drückte Jonas eine blau-silberne Dose in die Hand. „Ungekühlt und vermutlich seit Jahren abgelaufen."
„So mag ich's am liebsten." Jonas prostete Erik zu. „Brauchst du die Semmeln alle für dich, oder gibst du mir eine ab?"
„Bedien dich."
„Danke." Jonas griff sich das oberste Brötchen, dessen resche Kruste seine kalten Hände wärmte und ihnen etwas anderes zu tun gab als nervös an seinem Pulli zu zupfen. Genussvoll spachtelte er eine dicke Schicht Nutella auf das weiche Innere und biss ein größeres Stück ab, als er würdevoll kauen konnte.

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Raupe im Neonlicht
RomanceDas Abitur frisch in der Tasche, entschließt sich Jonas, das beschauliche Dorfleben gegen die flitternden Lichter der Großstadt zu tauschen. In Zukunft soll Berlins Luft seine Lungen mit Feinstaub und Freiheit füllen. Zum ersten Mal auf sich selbst...