Was zuletzt geschah:
Zusammen mit dem Gips um Jonas' Arm, fällt auch die letzte Zurückhaltung zwischen ihm und Erik ab. Vertraut wie nie genießen sie Sonnenstrahlen, gutes Essen und die neu gewonnene Freiheit. Eine Einladung von Marco nach Stuttgart vereint Zukunftspläne mit Erinnerungen.
Kapitel 35
Schläfrig blinzelte Jonas gegen das durch die schmalen Schlitze der Jalousie hereinbrechende Sonnenlicht. Die Laken neben ihm waren zerwühlt aber leer. Er rollte sich herum, um einen Blick auf Eriks Digitalwecker zu werfen und stutzte. Sofern ihm sein verschlafenes Hirn keinen Streich spielte, war noch nicht einmal zehn Uhr vergangen.
Erik an einem Sonntagmorgen um diese Zeit wach und außerhalb des Betts vorzufinden war ungewöhnlich. Zumal Jonas wusste, wie spät Erik nach Hause gekommen war, weil dieser dabei die Tür laut genug hinter sich zugeschlagen hatte, um ihn zu wecken. Sein Instinkt sagte ihm, dass etwas gewaltig faul war.
Mit einem mulmigen Gefühl im Magen kämpfte sich Jonas aus dem Bett und tapste den Gang entlang. Das Bad war leer, ebenso die Gästetoilette. Auch Küche und Wohnzimmer fand er verlassen vor.
Jonas stoppte vor der verschlossenen Bürotür. Auf der anderen Seite hörte er Erik telefonieren, ließ die Hand, die er bereits zum Klopfen erhoben hatte jedoch wieder sinken. Vermutlich sollte er lieber nicht stören. Sie würden noch den ganzen Tag für sich haben, da konnte er es verkraften, ein paar Minuten warten.
Aus ein paar Minuten wurden drei Stunden und noch immer hatte sich Erik nicht blicken lassen. Jonas war enttäuscht, genervt und hungrig. So hatte er sich den Sonntag nicht vorgestellt. Kurzentschlossen klopfte er nun doch an die Bürotür, atmete einmal tief durch, schluckte seine Vorwürfe herunter und trat ein.
Erik saß vornübergebeugt auf seinem Bürostuhl und blätterte durch etwas, das wie der langweiligste Wälzer der Welt aussah. Sein Schreibtisch war unter der darauf gestapelten Papiermenge kaum mehr auszumachen, die auf dem Bildschirm leuchtende Tabellenkalkulation ergab für Jonas' ungeschulte Augen nicht den geringsten Sinn. Er war sich nicht einmal sicher, ob Erik ihn überhaupt bemerkt hatte.
Nach einem nicht zu dezenten Räuspern sagte er: „Ähm, ich will ja nich' stören, aber es is' schon nach eins und ich dacht, ich könnt uns was kochen."
Keine Reaktion.
„Worauf hättest du denn Lust? Wir hätten–"
„Jonas, bitte!", unterbrach Erik ihn scharf. „Ich habe gerade wirklich Wichtigeres zu tun, als mir Gedanken ums Mittagessen zu machen!"
Dieser Ton war definitiv neu, Jonas konnte sich nicht erinnern, dass Erik auch nur ansatzweise schonmal so mit ihm gesprochen hatte. Er verließ das Büro ebenso leise wie er es betreten hatte, entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie verletzt er war. Seine Schlüssel klimperten, als er sie aus der Schale neben der Eingangstür fischte und aus der Wohnung verschwand.
Jonas war kaum von seinem Ausflug zurück, als sich die Bürotür öffnete. Erik stand vor ihm, aber noch bevor dieser auch nur den Mund öffnen konnte, sagte Jonas: „Ich dacht, wir könnten Gazpacho machen. Du magst das Zeug und es is' heut echt so scheißheiß, dass sogar ich sowas ähnliches wie Lust drauf hab. Außerdem hab ich noch 'n paar ganz brauchbare Erdbeeren gefunden." Zum Beweis hob er die Einkaufstüte in seiner Hand an.
„Du bist extra bis zum Supermarkt am Bahnhof gefahren, nur, um am Sonntag ein paar Erdbeeren zu kaufen?", fragte Erik tonlos.
„Japp."
„Wieso?"
„Weil du Erdbeeren magst. Weil du offensichtlich gestresst bist. Weil ich dir was Gutes tun wollte."

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Raupe im Neonlicht
RomanceDas Abitur frisch in der Tasche, entschließt sich Jonas, das beschauliche Dorfleben gegen die flitternden Lichter der Großstadt zu tauschen. In Zukunft soll Berlins Luft seine Lungen mit Feinstaub und Freiheit füllen. Zum ersten Mal auf sich selbst...