Kapitel 18

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Was zuletzt geschah:
Jonas muss sich damit abzufinden, dass das Leben selten in geraden Bahnen verläuft. Da hat er es nach langen Wochen und viel zu viel Drama endlich geschafft, Erik seine Gefühle zu gestehen, nur, um aus der Wohnung zu fliegen. Keine halbe Stunde später erfährt er, dass diese Gefühle nicht unerwidert geblieben sind, doch Erik keine Zukunft für sie sieht. Tee und Kakao können die Situation ein wenig entspannen, führen aber auch nicht zu der Antwort, die sich Jonas gewünscht hätte. Seither wartet er auf eine Entscheidung.

Kapitel 18
Verzweifelt kippte Jonas Wasser auf die ausgetrocknete Erde. „Komm schon, Daisy! Du kannst mich hier doch nich' allein lassen!" Zur Antwort ließ das Gänseblümchen ein weiteres Blättchen zu Boden gleiten. „Ach fuck! Kyle! Sag doch auch mal was zu ihr!"

Der Kaktus blieb stumm.

„Du bist keine Hilfe!"

Frustriert warf Jonas zunächst die Gießkanne in die Spüle und anschließend sich selbst auf sein Bett. Mit einer Hand tastete er nach seinem Handy und tippte eine Nachricht an Larissa.

Du, 14:42 Uhr
bitte sag mir, dass du zeit hast für ... wasauchimmer.

Du, 14:42 Uhr
daisy und kyle sind langweilig.

Larissa, 14:45 Uhr
Wer sind Daisy und Kyle? Haben unsere Turteltauben neue Spitznamen, von denen ich nichts weiß?

Du, 14:45 Uhr
zimmerpflanzen. ja, ich hab mir zimmerpflanzen gekauft.

Du, 14:45 Uhr
und führe gespräche mit ihnen

Du, 14:45 Uhr
so verzweifelt bin ich

Larissa, 14:47 Uhr
Haha, scheiße, um dich muss es ja echt schlimm stehen! Aber dieses Wochenende kann ich dir da nicht helfen. Ich bin bei meiner Family und komme erst morgen Abend zurück.

Du, 14:48 Uhr
fuck, dein ernst? was soll ich denn dann machen?

Larissa, 14:53 Uhr
Dir mehr Freunde suchen?

Du, 14:53 Uhr
ich hab freunde!

Nur nicht in Berlin. Abgesehen von Larissa, waren Jonas' Kontakte oberflächlich geblieben, beinahe als wäre da eine dünne Membran zwischen ihm und den anderen, die dumme Witze und seichte Gespräche passieren ließ, aber alles Tiefergehende zurückhielt.

Nach einer sehr unproduktiven halben Stunde, die Jonas hauptsächlich damit verbrachte, in sein Kissen zu atmen und ich selbst zu bemitleiden, rappelte er sich auf, schlüpfte in seine Jacke und griff nach seiner Kamera. Bewegungslos rumzuliegen brachte ihn auch nicht weiter. Vielleicht würde ihm ein Spaziergang guttun und wenn er dabei ein paar brauchbare Motive aufspürte, war das umso besser.

Jonas' erstes Foto zeigte seine eigene Namensplakette, über die irgendjemand – und er ahnte, um wen es sich da handeln könnte – einen zuckerwattefarbenen Kaugummi geklebt hatte.

Die verbesserungswürdige Temperatur und der beißende Wind, der ihm um die Ohren pfiff, sobald er die Haustür geöffnet hatte, reduzierte seinen Plan, den Nachmittag mit der Erkundung Berlins zu verbringen recht schnell darauf, lediglich die nächste Stunde auf diese Art totzuschlagen. Neugierig nahm er seine Umgebung in Augenschein.

Es waren dieselben Straßen, die er seit einem halben Jahr regelmäßig auf und ab lief. Grau, verdreckt, mit weniger Grün als in einer mittelmäßigen Dystopie. Doch heute konzentrierte er sich auf die Details. Risse zogen sich wie Spinnennetze über den Asphalt, lieblos fortgeworfene Flyer bewarben lange vergangene Events, von denen er noch nie gehört hatte.

An eine der Hauswände war ein kleiner Schriftzug geschmiert worden. Jonas hatte keine Ahnung, um welche Sprache es sich handelte und was die Botschaft sein sollte, aber der sorgfältige Schwung der Buchstaben und die filigrane Ausarbeitung ihrer Ausläufer faszinierten ihn. Diese Stadt atmete Geschichten und seine Kamera half ihm, ihre flüchtigen Fragmente festzuhalten.

Raupe im NeonlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt