Kapitel 24

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Was zuletzt geschah:
Für Jonas herrscht noch immer Wolke 7. Zusammen mit Erik schwebt er nun schon mitten in ihrem dritten offiziellen Date, das nicht nur zu knurrenden Mägen und duftender Pizza führt, sondern auch einen weiteren Teil von Eriks Panzer abreibt. Was werden ihre gemeinsamen Stunden noch zu Tage fördern?

Kapitel 24
„Oh, fuck! Fuck! Fuck, fuck, fuck! FUCK!"

„Ich hatte dir gesagt, du sollst auf den zweiten Ritter achten."

Frustriert warf Jonas Erik den Controller in den Schoß. „Mach's besser, du Angeber."

Erik nahm den metaphorischen Fehdehandschuh auf und setzte sich aufrecht hin. Bald erschien die kleine Falte zwischen seinen Brauen, seine Finger flogen über die Tasten und sein Blick machte deutlich, dass er den Rest der Welt gerade völlig ausgeblendet hatte. Ganz im Gegensatz zu Jonas, dessen Augen immer wieder vom Bildschirm zu Eriks Gesicht huschten. Er wollte mehr als ihn nur anzusehen, beugte sich vor und küsste das kleine Dreieck aus Muttermalen auf Eriks Hals, arbeitete sich von dort bis zu seinem Mund.

„Ah, da gehen unsere Seelen dahin."

„Scheiß drauf." Kurzerhand rutschte Jonas auf Eriks Schoß, schlang die Arme um seinen Hals und presste ihre Lippen aufeinander. Fordernd und ausgehungert, ohne Geduld für vorsichtige Annäherungen. Der Controller lag vergessen neben ihnen auf der Couch und wurde kurz darauf unter ihren Oberteilen begraben. Als Jonas' Finger zu Eriks Gürtelschnalle wanderten, stoppte dieser sie jedoch.

„Stimmt was nich'?", fragte Jonas verunsichert.

„Es ist nur, ah ..." Erik strich eine lose Haarsträhne hinter sein Ohr. „Willst du das hier wirklich? Ich habe nämlich überhaupt kein Problem damit, die Dinge langsam angehen zu lassen. Mitanzusehen, wie du dich hinterher mit Schuldgefühlen quälst, ist dagegen etwas, worauf ich gut verzichten kann."

„Sorry."

„Das war keine Kritik!", beteuerte Erik. „Du hast nichts falsch gemacht. Ich will nur sichergehen, nicht versehentlich über irgendwelche Grenzen zu treten. Oder dich unbewusst zu etwas zu drängen, für das du dich noch nicht bereit fühlst." Er seufzte. „Aber natürlich will ich dir auch keine Probleme einreden, wo keine sind. Entschuldige, mache ich eine eigentlich einfache Sache gerade unnötig kompliziert?"

„Naja ..." Tat Erik das? Die Erregung, die Jonas bis eben gefühlt hatte, war jedenfalls verflogen und durch die beklommene Leere ersetzt worden, die üblicherweise erst nach dem Höhepunkt auftrat. Nur war es schwer zu leugnen, dass sie auftrat und ja, das war ein verfluchtes Problem. Jonas' ließ seinen Kopf gegen Eriks Brust sinken. „Ich will das hier. Aber ..." Er suchte nach den richtigen Worten, um das Chaos, das in ihm herrschte zu erklären. „Ich hab dir noch nie erzählt, wie ich mich vor Maria geoutet hab, oder?"

„Nein."

„Hab's ihr panisch ins Gesicht gebrüllt." Die Erinnerung brachte ein verlegenes Lächeln auf Jonas' Lippen. „Wir waren, ähm, sechzehn, glaub ich. Also ich, Maria is' eineinhalb Jahre jünger. Wir kannten uns schon etwas länger, weil sie und Christine in derselben Pfadfindergruppe waren, aber wirklich angefreundet haben wir uns erst, als ich ein Schuljahr wiederholen musste und zu ihr in die Klasse gekommen bin. Sie hat mir Nachhilfe in Mathe gegeben, ich ihr ein wenig in Englisch unter die Arme gegriffen. Irgendwann saßen wir auf dem Sofa in unsrem Wohnzimmer, meine Schwestern waren unterwegs, meine Eltern im Apfelbäumchen und ich dachte ... Ich dachte, dass Maria klug und witzig is' und ich sie echt gern hab. Und dass das doch das sein musste, was die andren Jungs meinten, wenn sie über Mädels gequatscht haben. Also ... hab ich versucht sie zu küssen."

„Ich rate mal und sage, dass das keine gute Idee war."

Jonas lachte. „Japp. Sie is' völlig ausgeflippt. Hat mir vorgeworfen, genauso wie alle anderen Typen zu sein, mich überhaupt nich' für sie als Mensch zu interessieren und meinte, so könne sie auf keinen Fall mit mir befreundet sein. Und ... Ich hatte so Angst, sie zu verlieren. Sie war der erste Mensch, bei dem ich das Gefühl hatte ... keine Ahnung, dass ich offen sein konnte, schätze ich. Hab sie angefleht zu bleiben, ihr gesagt, dass sie das völlig falsch versteht und ich es nich' so gemeint hätte ... und als alles nix half, hab ich verzweifelt geschrien, dass ich noch nich' mal wüsste, ob ich überhaupt auf Mädchen steh'. Ich muss so ehrlich schockiert ausgesehen haben, dass sie keine Sekunde gezweifelt hat, ob ich die Wahrheit sage." Jonas schloss die Augen und kuschelte sich näher an Erik. „Das war auch das erste Mal, dass ich's mir selbst eingestanden hab. Und das war ... Es war so, so schwer. Dass ich nich' heimlich andre Jungs beobachte, weil ich ihren Körper bewundre und selbst so aussehen will, sondern ... weil ich sie geil find. Dass ich beim Anblick von Männern was empfinde, das ich bei Mädels nie gefühlt hab und wohl auch nie fühlen werd. Es hat Monate, nee, Jahre und 'ne Menge Gespräche mit Maria gebraucht, um das zu akzeptieren und ... Irgendwann ging's. Jedenfalls dacht ich das. Aber jetzt ... Jetzt merke ich, dass ich zwar akzeptiert hab, dass ich nich' auf Frauen steh', es aber noch mal was andres für mich is', 'ne Beziehung mit 'nem Mann zu wollen. Sex mit 'nem Mann zu wollen. Ich mein, selbst die Kirche is' inzwischen so weit, zu sagen, dass Homosexualität keine Sünde per se is'. Nur ... Ihr nachzugeben is' 'n Problem. Und ich glaub, dass ich diesen Gedanken ziemlich verinnerlicht hab." Eriks Brust war warm und sein regelmäßiger Herzschlag beruhigend. „Das is' wohl das, womit ich grad kämpfe. Am Anfang, als wir uns die ersten Male getroffen haben, konnte ich das noch irgendwie wegschieben. 'N bissl schuldig hab ich mich trotzdem gefühlt, aber irgendwie ... Es waren halt sonst keine Emotionen damit verbunden. Nur ein ... Austesten. Und dadurch, dass du die Führung übernommen hast, war alles, was wir gemacht haben irgendwie deine Verantwortung. Ähm, ich hoff, das kommt jetzt nich' falsch rüber. Ich wollt alles, was wir gemacht haben. Aber ich konnt mich eben auch darauf zurückziehen, dass es ja nich' wirklich meine Idee war."

Raupe im NeonlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt