Kapitel 17

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Was zuletzt geschah:

Die Katze ist aus dem Sack. Nach langem Hin und Her, einer unrühmlichen Begegnung mit einem anderen Mann und der Erkenntnis, dass diese nicht ganz unbemerkt geblieben ist, entschließt sich Jonas, Erik endlich reinen Wein einzuschenken und ihm seine Gefühle zu gestehen.
Unglücklicherweise reagiert Erik nicht wie erhofft und Jonas tritt geknickt den Rückzug an.

Kapitel 17

Die Sitzbank war hart und kalt und Jonas froh, die Lichter der einfahrenden Bahn zu entdecken. In einem Versuch, die Welt aus seinem Kopf zu verbannen, suchte er sich einen Platz am Ende des Abteils, stopfte die Stöpsel seiner Kopfhörer in seine Ohren und durchwühlte sein Handy nach einem adäquat aggressiven Song.

Die ihm nächste Zugtür quietschte erbost, als sich im letzten Augenblick noch jemand in den Waggon quetschte und beinahe hätte Jonas es ihr gleichgetan, denn dieser jemand ließ sich ausgerechnet auf den Platz ihm gegenüber fallen. Er bemühte sich, den Neuankömmling zu ignorieren, kam jedoch nicht umhin, einen flüchtigen Blick auf die verschwommene Reflektion im Fenster zu werfen. Perplex zog er sich die Kopfhörerstöpsel aus den Ohren. „Erik?"

Verschwitzt und keuchend saß Erik vornübergebeugt auf seinem Platz. „Ich ... musste ..." Nach jedem Wort sog er pfeifend Luft ein.

„Scheiße, komm erst mal wieder zu Atem!" Das würde hoffentlich auch ihm selbst Zeit geben, seine Gedanken zu sortieren. „Bist du den ganzen Weg hierher gerannt?"

Stumm nickte Erik.

„Du spinnst ja!"

Die Strecke war nicht besonders weit, aber um dieselbe Bahn wie Jonas zu erwischen, musste Erik sie in Rekordzeit zurückgelegt haben. Abgehackt und viel zu leise nuschelte dieser eine Antwort.

„Was?"

„Sagte ... sollte ... wieder ... öfter Joggen ... gehen."

„Oder einfach keinem Typen nachrennen, den du fünf Minuten vorher aus der Wohnung geschmissen hast." Jonas' Kommentar hatte wesentlich weniger humorvoll geklungen als geplant, aber er war das Beste, wozu er im Moment fähig war. Zweifelnd musterte er Erik. „Wieso bist du mir nachgerannt?"

Obwohl sich Eriks Atmung allmählich beruhigte, blieb er still; öffnete lediglich ein paar Mal den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Dafür hallte plötzlich seine Antwort auf Jonas' Liebesgeständnis in dessen Kopf. ‚Ich weiß nicht, was ich dir dazu sagen soll.' Bisher war Jonas nicht auf die Idee gekommen, den Satz einfach wörtlich zu nehmen und vielleicht war das ein Fehler gewesen.

War es möglich, dass Erik mit der ganzen Situation einfach ebenso überfordert war wie er selbst? Und versuchte er gerade, eine Tür, die Jonas für endgültig geschlossen gehalten hatte, wieder einen Spalt weit zu öffnen?

An der nächsten Haltestelle sprang Jonas auf. Das war kein Gespräch, das er in einer Bahn führen wollte, in der links und rechts neugierige Ohren auf ein wenig Drama warteten. „Lass uns 'n Stück zu Fuß gehen." Er griff nach Eriks Mantelärmel und zog ihn mit sich auf den Bahnsteig.

Feiner Nieselregen verwandelte Straßenlaternen in flitternde Lichter und Pflastersteine in gefrorene Seen. „So 'ne Scheiße ..." Fröstelnd zog Jonas seine Lederjacke enger um den Körper. Im Grunde war sie ungeeignet für diese Temperaturen, aber er konnte sich nicht überwinden, eine andere anzuziehen. Ziellos lief er die nächstbeste Straße entlang.

Eriks Schritte neben ihm verlangsamten sich, bis er ganz stehen blieb. „Ich mache es jetzt einfach kurz, dann können wir beide wieder nach Hause." Er seufzte. „Ich bin dir nach, weil es mir unfair erschien, dich in dem Glauben zu lassen, du seist der einzige von uns beiden, der Gefühle entwickelt hat."

Raupe im NeonlichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt