Poppy

1K 49 6
                                        

Ich tauche ungeschminkt und in Klamotten in der Schule auf, die ich zuletzt beim Streichen der Garage getragen habe. Cremeweiße Farbspritzer an den Ärmeln erinnern daran, wie ich den Pinsel in den Farbeimer geworfen und damit einen Farbregen aufgelöst habe. Normalerweise stehe ich morgens ewig vor meinen geöffneten Kleiderschrank und wühle mich durch meine Klamotten. Heute bin ich nicht deshalb zu spät. Ich habe, zum ersten Mal seit Langem, wieder schlecht geschlafen. Die Träume von meinen Eltern sind selten geworden. Ich erinnere mich kaum an ihre Gesichter, habe keine Fotos aufbewahrt und vermeide es, mit Dave über sie zu sprechen. Ich Er wagt nur selten einen Vorstoß. Er hält mich für traumatisiert und das bin ich, aber ich lasse mich nicht mehr therapieren. Der Tod meiner Eltern ist ein Teil meines Lebens. Er bestimmt es nicht. Aber dann drängen sie sich wieder in meine Träume und ich bin wieder an dem Ort, den ich auf der Welt am meisten fürchte. Ich bin wieder im Flur, dann im Wohnzimmer und ich sehe sie wieder, wie ich sie nie hätte sehen sollen. Die Erinnerungen suchen mich auch hier ein. Ich kann sie nicht abschütteln. Man kann sich ihnen nur hingeben und darauf warten, dass sie wieder verschwinden. Nur ein schlechter Traum, ein schlechter Tag.

„Gehts dir gut?", fragt Betty fürsorglich, als wir an unserem üblichen Tisch in der Cafeteria Platz nehmen.

„Schlecht geschlafen", antworte ich einsilbig. Ich habe mir nichts zu Essen geholt, weil sich mir beim Anblick der Auslage der Magen umgedreht hat. Veronica wühlt in ihrer Prada-Tasche nach etwas.

„Hier", sie reicht mir eine kleine MakeUp-Tasche und zwinkert mir verschwörerisch zu, „hilft dir vielleicht, dich ein bisschen besser zu fühlen."

Andere würden das als versteckte Beleidigung auffassen, doch ich bin ihr wirklich dankbar. Ausgerechnet heute fliegen weder Wimperntusche noch Lippenstift in meinem Rucksack herum. Ich nehme das Täschchen entgegen und gehe zu den Waschräumen. Ein bisschen Concealer hier, ein bisschen Wimperntusche da und ich werde mich besser fühlen. Sie reden über mich. Weil sie die Schwäche wittern. Ihnen reicht das Drama um Jasons Ermordung nicht. Sie sind unersättlich, wenn es um das Leid ihrer Mitmenschen geht. So ist die Highschool. Ein Haifischbecken, in dem die einen vorgeben, Haie zu sein, aber alle in Wirklichkeit nur verdammt kleine Fische sind.

Als ich dabei bin, Rouge aufzupinseln, wird die Tür schwungvoll geöffnet. Laut knallt sie gegen die gekachelte Wand. Cheryl stolziert ins Bad als habe sie nur darauf gewartet, mich allein zu erwischen.

„Was willst du?", frage ich genervt.

„Das da wird dir auch keine Absolution erteilen", übergeht sie meine Frage, „gegen innere Hässlichkeit hilft auch kein Concealer, Barbara Walters."

Falls sie glaubt, mich mit dem Namen einer der berühmtesten amerikanischen Journalistinnen anzusprechen sei eine Beleidgung, hat sie sich gettäuscht.

„Kann ich dir irgendwie weiterhelfen?", versuche ich es erneut.

„Du kannst aufhören, nach billigen Verschwörungstheorien zu suchen", sie fixiert mich, „ich weiß, dass du über Jason schreiben willst und ich werde dich zerstören, falls du es wagen solltest, unseren Namen in den Dreck zu ziehen."

„Hatten wir das nicht gestern schon?", erinnere ich sie unbeeindruckt und trage mit dem Ringfinger ein wenig rosa Lippenstift auf. Früher wurden Cheryl und ich oft für Schwestern gehalten. Wir haben beide lange rote Haare, blasse Haut und eine ähnliche Statur. Das wir charakterlich nicht unterschiedlicher sein könnten, hat sich erst auf der High School herausgestellt. Lehrer und Schülerschaft fürchten uns aus unterschiedlichen Gründen.

„Es ist mir erst, Eden Jamerson."

„Ich habe es verstanden", brumme ich und packe Veronicas Make Up wieder zurück in die Tasche. Cheryl reißt sie mir aus der Hand und schleudert sie ins Waschbecken. Aus heiterem Himmel verpasst sie mir eine schallende Ohrfeige. Ich bin so erschrocken, das ich gar nicht reagiere.

News Of The DayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt