Like A Rolling Stone

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Es ist unmöglich, den Southsidern aus dem Weg zu gehen. Sie sind überall und verwandeln die Schule ist einen Ort der gespaltenen Lager, in dem ich mich balancierend auf der Grenze bewege. Genauso unmöglich ist es, mit meinen Freunden zu sprechen. In der Cafeteria zu essen kommt nicht mehr in Frage, weil meine Mitschüler mich plötzlich als Serpent-Anhängerin sehen. Als Verräterin. Ich spüre, dass sie meinen Körper scannen, darauf hoffend, einen Blick aufs Tattoo zu erhaschen. Am liebsten würde ich mir die Klamotten vom Körper reißen, auf einen Tisch steigen und sie gucken lassen, nur damit es endlich aufhört. Die Neuigkeit verbreitet sich wie ein Lauffeuer und es macht keinen Sinn, sich dagegen zu wehren. Ich sitze zwischen den Stühlen. Ich muss mit ansehen, wie ich mich auflöse, zusammen mit meinem Freundeskreis und meiner Glaubwürdigkeit. Selbst die Lehrer treten mir mit gewissem Argwohn entgegen. Ausgerechnet die immer korrekte Eden hat sich einer Bikergang angeschlossen. Das passt nicht zusammen.
Natürlich passt es nicht zusammen! Aber niemand macht sich die Mühe, den Zusammenhang zu erkennen. Sie nehmen, was sie sehen.

„Eden Harper Jamerson", der Stimme des Direktors ist die Resignation förmlich anzuhören, „sofort in mein Büro."

Ich weiß sofort, dass es keine guten Nachrichten sind. Sind es nie. Und da ich in letzter Zeit nichts Kritikwürdiges geschrieben habe, gehe ich zum ersten Mal unwissend und angespannt ins Büro des Direktors. Tief in mir ahne ich, was passieren wird, aber es klingt so absurd, dass ich es zu ignorieren versuche.

„Setz dich, Eden."

Ich folge der Aufforderung wortlos. Sitze verkrampft auf dem Stuhl. Fühlt sich an, als würde ich auf mein Urteil warten. Hoffentlich macht er es wenigstens kurz und schmerzlos. Ich hasse es, wenn Menschen nicht auf den Punkt kommen und versuchen, Tatsachen zu beschönigen.

„Du bist mit sofortiger Wirkung von deinem Amt bei der Schülerzeitung entbunden", verkündet er. Auf den Punkt. 

„Was? Warum?", wieso fragst du überhaupt, Eden? Direktor Weatherbee hat dich immer gehasst und du hast ihm den perfekten Grund geliefert, es so aussehen zu lassen, als müsse er das hier tun. Man kann dem Mann keinen Vorwurf machen. Ich bin ihm jahrelang mit unbequemen Fragen auf die Nerven gegangen und habe ihn provoziert, wo ich die Möglichkeit dazu sah.

„Mir engeht nicht, was auf den Gängen getuschelt wird, Eden. Und wir haben ohnehin alle Hände voll zutun, die Serpents an der Riverdale High zu integrieren."

„Ich -", bin keine von ihnen. Will ich sagen. Aber ich bringe es nicht über mich. Sweet Pea hat recht. Ich wäre niemals so weit gegangen, wenn da nicht noch etwas anderes wäre als meine Neugierde. Ich mag eine Familie haben, aber reicht das wirklich aus? War da nicht doch so etwas wie Sehnsucht nach bedingungslosem Rückhalt? Dave ist permanent unterwegs und hat keine Ahnung, was in meinem Leben passiert. Aber auch das könnte sich bald drastisch ändern. 

„Bis auf Weiteres schreibst du nicht für die Blue&Gold."

„Ist das nicht das Gegenteil von Integration?", werfe ich ihm ungehalten vor, „was ich in meiner Freizeit mache, hat nicht mit dem zu tun, was ich schreibe! Es beeinflusst mich nicht. Sie kennen meine Artikel, Direktor Weatherbee."

„Keine weitere Diskussion, Eden."

Ich habe auch keine weitere Energie. Keine Argumente. Ich habe nichts mehr. Also springe ich auf und verlasse den Raum mit nach vorne gestreckten Armen, als suche ich nach Halt. Aber niemand wartet auf mich, um mich aufzufangen. Ich fühle mich noch intensiver beobachtet. Als hätte Direktor Weatherbee vergessen, die Lautsprecher auszuschalten und alle wären Zeugen dieses Gespräches gewesen. Ich stehe verloren mitten im Gang und bilde eine Insel für die umherströmenden Schüler. Ich erinnere mich weder an meinen nächsten Kurs, noch an sonst irgendetwas. Ich würde vermutlich nicht mal mehr nach Hause finden. Also stehe ich hier. Kurz davor, mich völlig zu vergessen und in Tränen aufgelöst zu Boden zu sinken.

„Eden?", Kevin geht halbwegs in die Knie, um mir ins Gesicht zu sehen, „was ist los?"

„Ich weiß, ihr hasst mich im Moment, aber bring mich hier weg", bitte ich ihn, „alle starren mich an!"

Kevin hakt sich ohne weitere Nachfragen bei mir unter und zieht mich mit sich fort. Die nächste Rückzugsmöglichkeit ist die Umkleide der Jungs, die heute nicht mehr benutzt wird. Ich setze mich auf eine der Bänke und lasse meinen Tränen freien Lauf.

„Ich hasse es, wenn du weinst", sagt Kevin entschlossen, „wir brauchen Betty."

„Betty redet nicht mehr mit mir", schluchze ich.

„Sie ist bereit, dir zuzuhören. Wir reden darüber. Ständig."

Natürlich tun sie das. Ich würde es nicht anders machen. Aber die Vorstellung, dass sie sich ohne mich treffen und über mich reden, während ich auf der Couch liege und unkontrolliert Muffins in mich hineinstopfe, tut weh.

Aber nichts hat je so weh getan, wie von der Schülerzeitung entbunden zu werden. Meinem Baby. Meiner Aufgabe. Ich habe alles darauf ausgerichtet, diese Zeitung zu etwas Gutem zu machen! Ich bin diese verdammte Zeitung! Und ich bin doch nur eine Serpent geworden, um die wahre Geschichte um Jason zu enthüllen und nicht, um alles zu verlieren. Das Opfer ist einfach zu groß.

„Sie sind gleich hier", sagt Kevin, „sie alle. Weil wir dich lieben und weil du dringend eine Intervention brauchst. Und eine Umarmung."

Er umarmt mich von hinten und legt sein Kinn auf meinem Kopf ab. Für einen kostbaren kurzen Moment ist die Last auf meinen Schultern etwas leichter. Und mein Kopf auf eine gute Art leer.

Die anderen kommen so schnell, dass ich mir unweigerlich vorstellen muss, sie haben alles stehen und liegen lassen und seien losgerannt. 

„Hat das was mit den Serpents zutun?", fragt Veronica alarmiert. Ich sehe in ihre angespannten Gesichter. Wow. Sie wollten mir immer einreden, ich würde mit meinen Artikeln über die Stränge schlagen, aber sie sind genauso voller Vorurteile wie ich es gewesen bin. Kennen sie einen Serpent? Kennen sie einen einzigen Southsider?

„Direktor Weatherbee hat mir nahegelegt, dass ich nicht weiter für die Schülerzeitung arbeiten werde", sage ich tonlos.

„Was?", Jugheads Überraschung ist ehrlich. Er ist der Einzige, der sich völlig auf das Wesentliche konzentrieren kann, während die anderen offenbar entweder nach dem Tattoo oder nach einer anderen Veränderung an mir suchen, die sie übersehen haben könnten.

„Weil der Buschfunk an dieser Schule hervorragend funktioniert", antwortet Betty an meiner Stelle, „stimmts?"

„Ja. Er denkt, das führt nur zu mehr ... Konflikten."

„Das kann er nicht machen", regt sich Archie auf, „die Schülerzeitung braucht dich!"

„Wir brauchen dich", fügt Betty hinzu und sieht Jughead so lange eindringlich an, bis er ihr zustimmt. Sie stehen um mich herum und scheinen nach den passenden Worten zu suchen, wo eigentlich nur Fragen übrig sind.

„Wir sollten mit Weatherbee reden", sagt Veronica, „eine Petition? Eine Demo?"

„Okay, okay, okay", Kevin beschwichtigt sie mit einer Handbewegung, „vielleicht sollten wir erstmal die Füße still halten, Michelle Obama. Die Sache wird sich von alleine regeln, wenn sie Serpents sich eingelebt haben."

„Sich eingelebt? Ich glaube nicht, dass sie sich einleben werden. Oder es überhaupt versuchen", widerspricht ihm Archie. Sie jetzt zu verteidigen würde den vorzeitigen Frieden sofort beenden. Also starre ich nur auf meine Knie und hoffe, dass sie die Serpents nicht zum Gesprächsmittelpunkt machen.

„Warten wirs ab", sagt Betty, die immer das Positive sehen will, „vielleicht werden sie ja gar nicht zum Problem. Einige scheinen ziemlich froh darüber zu sein, auf eine richtige Schule zu gehen."

„Eine von ihnen scheint ganz okay zu sein", Jughead nickt in meine Richtung, „geben wir ihnen 'ne Chance."

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