Hit And Miss

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„Oh mein Gott! Eden hat vergessen, ihren geschmacklosen Pyjama gegen ihre geschmacklosen Klamotten zu tauschen", ruft Cheryl mit unverhohlener Abscheu. Einige nahestehende Mitschüler drehen sich neugierig zu uns um und scheinen von meinem Anblick nicht enttäuscht zu werden. Veronica tritt Cheryl mit trotzig erhobenem Kinn entgegen.


„Kümmer dich um deinen Kram, Cheryl", zischt sie sie drohend an. Cheryl wirft ihre perfekt frisierten Haare zurück und stolziert wortlos davon. Normalerweise gibt sie nicht so schnell auf. Wahrscheinlich sind wir zu weit unter ihrem Niveau, als das sie weitere kostbare Zeit verschwenden würde, die doch so viel besser darin angelegt ist, Lippenstift nachzulegen und ihre Pompom schwingenden Untertanen zu kommandieren.

Kevin und Archie sind offenbar ebenso perplex, als wir uns auf dem Weg zu unseren Klassen über den Weg laufen. Nicht, dass ich normalerweise  aussehe wie vom Cover der Vogue geklettert. 

„Ich frage dich das in letzter Zeit öfter, aber ... geht's dir gut?", Archie klingt ernsthaft besorgt.

„Mir geht's bestens", es könnte nicht besser sein. Wenn ich das jetzt noch weniger monoton und mehr glaubwürdig rüberbringe, werden sie vielleicht endlich mit dieser Fragerei aufhören. 

„So siehst du aber nicht aus", Kevin ist nicht bereit, mich mit der offensichtlichen Lüge durchkommen zu lassen, wie es halb so gute Freunde tun würden. Ich sehe an mir herunter. Zahnpastaflecken auf dem schwarzen Shirt, das ich aus dem Wäschekorb gewischt habe und meine Jogginghose, die ich tatsächlich, das muss ich Cheryl zu Gute halten, zum Schlafen trage.

„Ich wasch das aus", sage ich, auf die Flecken deutend. Ich lasse sie stehen und laufe zu den Toiletten. Geradewegs an Jughead vorbei, der mir einen guten Morgen wünscht. Ich sehe durch ihn hindurch und erwidere es nicht.

„Eden?"

Ich reagiere nicht auf ihn. Er macht kehrt und folgt mir. Er folgt mir bis in den Waschraum. Bis auf uns ist niemand dort und Jug lehnt sich gegen die Tür, um dafür zu sorgen, dass das auch so bleibt. Ich befeuchte einige Papiertücher und tupfe über die verkrusteten Zahnpastareste. 

„Du siehst schlimm aus. Haben deine absolut hirnrissigen Ermittlungen etwas damit zutun?"

Ich reibe weiter über die Flecken. Die Papiertücher hinterlassen kleine Röllchen auf dem schwarzen Stoff. 

„Ich musste mich nur beweisen", antworte ich. Wenn ich es nicht tue, wird er mich nie in Ruhe lassen.

„Was heißt das?", drängt er.

„Dein Vater ist der Boss, Jones. Sag dus mir", antworte ich kalt und schmeiße das zerfetzte Papier in den Müll.

„Wozu haben sie dich gezwungen?"

"Es geht mir gut, wirklich", versichere ich ihm, „das ist die Mädchentoilette, Jug."

„Ich bin sowieso für Unisex-Toiletten in öffentlichen Gebäuden", antwortet er gleichgültig, „sags mir oder ich erzähle Betty von deiner neuen Familie."

„Erpresst du mich jetzt?", irgendwie beeindruckt mich das mehr, als das er mich damit ärgert. Es scheint ihm etwas daran zu liegen, an mir, sonst würde er nicht so nachbohren und schon gar nicht würde er ausgerechnet Betty ins Gespräch bringen. Meinen wunden Punkt.

„Was ich jetzt sage, gefällt uns beiden nicht und glaub mir, ich wünschte mehr als du, dass es nicht so wäre", Jughead fasst sich in einer konfusen Geste an den Kopf, „aber ich mache mir Sorgen um dich."

„Mir geht es -"

„Dir geht es gut. Hast du  noch'n anderen Text auf Lager?", sagt er ungehalten, „du siehst aus als seist du aus dem Bett direkt hierher gekommen."

Ich funkle ihn wütend an. Sind wir jetzt schon soweit, dass er kommentieren darf, was ich trage? Niemand hat das Recht dazu, auch nicht aus Sorge. Vielleicht wollte ich mich einfach bequem kleiden oder habe meine Tage oder die Waschmaschine war kaputt. Ich bin nicht gleich traumatisiert und muss von Dr. Jones auf der Mädchentoilette therapiert werden, nur weil ich eine Jogginghose trage.

„Weißt du was? Du hast Recht. Ich gehe da heute nicht mehr raus", ich nicke in Richtung Flur. Ich bin gegen vieles resistent, aber heute bin ich nur dünnhäutig. Noch ein weiterer verurteilender Blick und ich klettere aufs nächste Pult, um allen das Tattoo zu präsentieren.

„Okay. Dann kletter aus dem Fenster", erwidert er.

„Ernsthaft?", verständnislos sehe ich ihn an. 

Er fackelt nicht lange. Geht zum Fenster, öffnet es, steigt mit einem Fuß aufs Waschbecken und klettert hinaus. Das ist unmöglich das erste Mal, das er darauf zurückgreift. Wieso bin ich da nie drauf gekommen?

„Komm schon!", ruft er. Es bedarf keiner zweiten Aufforderung. Ich tue es ihm gleich und steige aus dem Fenster. Grinsend lande ich neben ihm im Gras.

Aber der Tag meint es trotz dieser erfreulichen Wendung nicht gut mit mir. Statt einem schwarzen Loch schickt er mir Sweet Pea. Auf der anderen Straßenseite gegenüber des Haupteingangs, auf seinem Motorrad sitzend. Er verfolgt mich. Eindeutig. Wer von uns ist jetzt der Reporter? Wenn er so weitermacht, weiß bald die ganze Schule, dass ich ihn kenne. Und dann wars das mit undercover und Ermittlungen.

„Was macht der denn hier?", murmle ich. Jughead folgt meinem Blick. 

„Das hat was mit ihm zu tun, oder?", entschlossen marschiert Jug auf ihn zu. Ich kann kaum Schritt halten und eile alarmiert hinter ihm her. Außer uns ist niemand hier. Ich bin nicht bereit, eine ganz neue Seite an Jughead Jones kennenzulernen. Wir sollten Babyschritte machen, aber das tun wir nicht. Er schon gar nicht.

Ohne Vorwarnung holt Jug aus und verpasst Sweet Pea einen Kinnhaken. Ich kneife die Augen zusammen. Sehe den Mann auf dem Stuhl. Ich muss nach Hause. Ich muss sofort nach hause. Ich laufe los, ohne mich noch einmal nach ihnen umzusehen. Ich bete, dass sie mir nicht folgen. Keiner von ihnen. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen ihre Vorhänge zur Seite ziehen, um mich zu verurteilen. Was hat sie an? Warum ist sie nicht in der Schule? Vor was läuft sie davon?

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