Half Naked

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Am nächsten Tag kann man es überall lesen. Clifford Blossom hat sich das Leben genommen. Er hat sich in seiner Scheune erhängt, zwischen Fässern voll Ahornsirup. Stilvoll. Natürlich ist das das Gesprächsthema Nummer Eins in der Schule und Jughead kann sich spätestens jetzt denken, warum Cheryl und ich im Trailer geschlafen haben, doch er kommentiert es nicht weiter. Keiner meiner Freunde kommentiert es. Kevin legt wortlos eine Ausgabe der Zeitung auf den Tisch, als wir uns zum Mittagessen treffen und dreht sie hastig um, als Cheryl sich zu uns gesellt.

„Kommst du zur Party, Cheryl?", fragt Betty sie in ihrer gewohnt zuckersüßen Freundlichkeit.

„Danke für die Einladung", antwortet Cheryl nach einem Blick in die Runde, „ich werde gerne an eurer kleinen Party teilnehmen."

„Wir haben außergewöhnlich schöne Deko", sagt Jughead. Ich lache auf. 

„Ihr hattet auf jeden Fall Spaß", bestätigt Betty, die beim Anblick unserer Einkäufe mehrfach verwirrt die Stirn gerunzelt hat. Ja, den hatten wir. Und als wir nach einem Besuch bei Dave und FP das Präsidium verließen, fühlte ich mich so gut wie seit Wochen nicht mehr. Die Freude auf die Party scheint bei all meinen Freunden echt zu sein. Auch bei mir. Wir haben ewig keinen losgelösten lustigen Abend mehr miteinander verbracht. Wie es Teenager tun sollten.

Später suche ich nach Jughead, weil ich ihn fragen will, ob er nach meinem Psychologentermin etwas mit mir unternehmen will. Ich erahne, dass Ablenkung eine gute Idee ist, nach dem, was mutwillig an die Oberfläche gezerrt werden wird.

„Er ist in Richtung der alten Umkleiden gegangen", hilft mir Kevin bereitwillig weiter und ich folge seiner unpräzisen Weganweisung. Jughead entzieht sich hin und wieder. Verschwindet einfach. Ich kann es ihm nachfühlen. An manchen Tagen ist das einzige, was ich hören will, Musik. Gedankenlos öffne ich die zerkratzte Holztür der Jugenumkleide. 

„Oh! Fuck! Tut mir leid", ich drehe reflexartig den Rücken zu, nur um mich dann wieder zu ihm umzudrehen und halb an die Decke zu schauen. Jughead steht an einem der Waschbecken. Oberkörperfrei. Hast du noch nie einen halb nackten Kerl gesehen, Eden? Was ist mit Sweet Pea oder mit Dave oder mit Archie und Kevin?

„Sich das Bad mit Archie zu teilen erfordert ein Maß an Organisation, dem ich nicht standhalten kann", erklärt mir Jug, „was gibt's?"

Gut, zurück zum Thema. Was wollte ich hier? Ihm macht es offensichtlich nichts aus, was dafür spricht, dass wir längst eine weitere Ebene der Freundschaft erklimmen konnten, ohne das es mir bewusst war.

„Ich habe dich gesucht."

„Ja?", er grinst mich an, „und du hast mich gefunden."

„Weil ... ich habe heute einen Termin und dachte, wir könnten danach vielleicht -", ausgerechnet an dieser Stelle des Satzes eine künsterlische Pause einzubauen kommt mir plötzlich fatal vor, „was unternehmen."

„Klar."

„Okay, cool."

Jughead kann unmöglich übersehen, wie unangenehm mir die Situation ist. Aber er greift nicht nach seinem Shirt, das nur eine Armlänge entfernt über die Lehne der Holzbank hängt. Er trocknet seine Hände durch einem Reiben an seiner Hose und kommt auf mich zu. Verwirrt blicke ich auf sein Shirt. Als habe jemand die Vorspultaste gedrückt, ist er plötzlich da und seine Hand in meinem Nacken. Sie ist eiskalt und mir läuft augenblicklich ein Schauer über den Rücken. Alle Alarmsignale schrillen. So laut, dass mir die Ohren weh tun.
Er küsst mich. Kurz und unschuldig und ich kann mich gerade noch beherrschen. 

„Was ...?", frage ich. Aber nicht in der Intensität, in der ich hätte fragen müssen. 

„Einfach so", antwortet er. Dann geht es ihm ja wie mir. Völlge Ahnungslosigkeit.
Jughead riecht nach herbem Duschgel und kerniger Seife. Einzelne Tropfen lösen sich auf seinen Haaren und landen auf seinem nackten Oberkörper. Bei aller Gelassenheit, die mir sonst zur Verfügung steht, dass ist selbst für mich zu viel des Guten. An vereinzelten Stellen lassen sich die Überreste blauer Flecken erahnen. Was ist nur aus meiner vorbildlichen Anti-Gewalt-Einstellung geworden? 

„Ist wahrscheinlich keine gute Idee", ich zwinge mich, ihm wieder in die Augen zu sehen und fühle mich, als sei ich mindestens so nackt wie er. Ich stolpere einen Schritt rückwärts, aber die Tür hindert mich an einer angemessenen Distanz. Jughead erwidert nichts auf meinen halbherzigen Einwand. Ich wünschte, er würde herumalbern und die Situation mit einem Lachen auflösen, aber er tut es nicht. Er tut gar nichts. Steht einfach da, sieht mich an und scheint darauf zu warten, dass ich etwas tue. Ich presse die Lippen zusammen und stelle fest, dass sie nach Minze schmecken. Zahnpasta. 

Jughead hat einen wunden Punkt getroffen, ohne es zu wissen. Sweet Peas erklärungsloses Verschwinden setzt mir zu. Mehr, als ich es mir je eingestehen würde. Ich will nicht schwach sein. Will nicht das Mädchen sein, das einem Jungen hinterhertrauert, mit dem sie nicht mehr verbindet als ein lächerlicher Kuss. Aber das bin ich. Ich bin verletzt.   

Und deswegen küsse ich ihn meinerseits erneut. Ich mache die Augen zu und kann mich nicht gegen Sweet Peas Gesicht wehren, dass in meinem Kopf erscheint. Aber egal. Weg damit. Der harmlose Kuss wächst schnell zu einer beachtlichen Knutscherei, wie ich sie seit ... wie ich sie lange nicht gehabt habe. Hitzig, verschwitzt, Haut auf Haut. Ich habe gar nicht bemerkt, dass mein Oberteil sich verabschiedet hat. Könnte nicht sagen, wer es ausgezogen hat. Aber es ist weg. Ich spüre seinen nackten Oberkörper auf meinem, spüre, wie mein BH in mein Fleisch gepresst wird und meine Brüste dem Druck nachgeben wie weiche Kissen. In meinem Kopf sage ich viel, aber mein Mund ist zu beschäftigt, um es auszusprechen. 

Wir dürfen auf keinen Fall weiter gehen, auch wenn Jughead sich da spürbar anderes erhofft. Ich mache mich widerwillig von ihm los. Wir atmen schwer und laut und sekundenlang sagt niemand ein Wort.
Ich verschränke die Arme vor der Brust und räuspere mich.

„Also kannst du mich heute Nachmittag um fünf am Krankenhaus abholen?", frage ich ihn so unverfänglich, wie ich es hinkriege. Ist nicht besonders gut. 

„Klar."

So herrlich unverkrampft können nur wir beide reden. Jughead dreht sich um und zieht sich wieder an. Ich beuge mich schnell vor, fische mein Shirt vom Fußboden und streife es über. Besser. Ich hoffe, Betty hat in ihrem komplett ausgerüsteten und auf alle Notfälle vorbereiteten Spint ein Deo. Jughead setzt sich seine Mütze auf und eine Strähne lockt sich in seiner Stirn. Mir ist sein Äußeres nie wirklich aufgefallen. Er war einfach immer ... da. Und bis vor kurzem habe ich ihn gehasst.

Als wir die Umkleide verlassen, noch dabei, uns zu sortieren, laufen wir in Joaquin. Meine Wangen könnten nicht heißer glühen. Joaquin mustert uns kritisch und grüßt dann zwar, aber ich kenne diesen Tonfall. Er hat uns durchschaut. Wenn es da überhaupt etwas zu durchschauen gibt. Eigentlich kann es ihm egal sein, was wir in unserer Freizeit tun. Ich beschleunige meine Schritte. Jughead bleibt an meiner Seite.

„Vergessen wir das auch?", raunt er mir zu. 

„Nein", sage ich, „wir reden einfach nicht darüber."

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