chapter fifty-four

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Die Stimmung auf einem Friedhof wirkte wie immer bedrückend und nahm einem die Luft, die man zu atmen brauchte. Doch irgendwie hatte ich keine Angst mehr davor, seitdem eine von meinen zwei besten Freundinnen dort unter der Erde lag. Wenn man über das Ganze genauer nachdachte, war es eigentlich schon gruselig, was Menschen taten. Wenn jemand starb, den man liebte, vergrub man ihn in einem Holzkasten, an einem Ort, wo viele andere Menschen vergraben waren, um die Person besuchen zu können. Sams Grab befand sich im hinteren Drittel des Friedhofes, weswegen wir einiges überqueren mussten, bevor wir dort waren. Komplett in meinen Gedanken versunken, ging ich Hand in Hand mit Camila umher, als sie stehen blieb und mich somit auch aufhielt. Mit glasigen Augen zeigte sie auf ein Grab, direkt links neben dem Kiesweg. Es war ein schwarzer Grabstein mit rosa Schrift. Es war ein Mädchen, Katie. Zwischen ihrem Geburtsdatum und ihrem Todestag waren nur drei Monate. Das Grab schmückten unzählige pinke Blumen, Kerzen und Bilder. Tränen schossen mir in die Augen. Ich hielt meine freie Hand an meinen Bauch. Sie war nicht einmal ein halbes Jahr alt geworden... Das Schlimmste was einem als Elternteil passieren konnte, war es, sein Kind zu verlieren. Diesen Schmerz konnte man sich als jemand, der keine Kinder hatte, wahrscheinlich gar nicht vorstellen. Ich wollte es mir auch nicht ausmalen.

»Drei Monate, man.« flüsterte Camila, worauf ich nur vorsichtig nickte.
Ich sah ihr dabei zu, wie sie eine Rose aus dem Strauß nahm und sie zu den ganzen anderen Blumen auf das Grab des Babys legte. Wir setzten uns wieder in Bewegung und mir fiel das Atmen schwerer und schwerer.  

Nach einer Ewigkeit, zumindest kam es mir so vor, konnten wir Sams Grabstein sehen. Er war mattschwarz, so wie sie es gewollt hätte. Wir sprachen nicht, wir standen einfach nur davor und starrten darauf. "Samatha Karwood" stand in geschwungener Schrift darauf. Ich kämpfte nicht gegen meine Gefühle an und ließ den Tränen einfach freien Lauf. Camy legte den Strauß Rosen zu den Blumen, die wohl ihre Familie dort hingelegt haben musste. Sie besuchten ihr Grab fast jede Woche, genauso wie viele von unseren Freunden, regelmäßig dort waren. Doch was brachte das? Camila und ich umarmten uns und weinten einfach. Irgendwann fing sie an, mit Sam zu reden.

»Du bist wahrscheinlich schon angepisst, weil wir zwei dich nie gleichzeitig besuchen waren. Aber jetzt sind wir da.« versuchte Camy unter Tränen zu lächeln.

»Sam es tut mir so leid, dass ich so lange nicht mehr hier war.« entschuldigte ich mich bei ihr und noch mehr Tränen kamen aus meinen Augen.

Meine beste Freundin drehte ihr Gesicht zu mir, »Wann warst du das letzte Mal hier?«.

»Kurz vor deiner Hochzeit.« gab ich zu und fühlte mich schlecht.

»Wegen Harry?« fragte sie und ich zuckte mit den Schultern.
Wahrscheinlich schon, ja. Ich hatte Camy erzählt, dass ich immer alles und jeden vernachlässigte, sobald er bei mir war. Und so hatte ich Sam auch vernachlässigt und nicht besucht.

»Dann weiß sie ja die ganzen Neuigkeiten noch nicht.« stellte Camila fest und deutete auf den Grabstein, woraufhin ich meinen Kopf schüttelte.
Wir setzten uns auf den Kiesboden vor dem Grab und wir fingen an, unserer besten Freundin zu erzählen, was alles passiert war. Ich erzählte ihr, dass Harry auf Camys Hochzeit war, dass wir wieder zusammen waren, dass ich schwanger war, dass Harry und ich eine Beziehungspause machten. Ich erzählte ihr alles, während Camila immer wieder etwas hinzufügte.

»Sie hat vergessen zu erwähnen, dass es Zwillinge sind, Sam. Zwillinge! Das wird kaum zu aushalten sein!« gestikulierte meine beste Freundin wild rum.
Wir wussten beide genau, wie sehr Sam Kinder immer gehasst hatte, was teilweise sogar lustig gewesen war.

»Ich wette meine Kinder wären die ersten gewesen, die sie gemocht hätte.« sagte ich zu Camila und wieder fing ich an zu weinen.
Sam wird niemals meine Babys kennenlernen. Sie wird niemals in meine Erziehung reinpfuschen können. Sie wird sich niemals darüber beschweren können, dass die Kinder laut sind, oder Dreck machen. Schon seitdem ich jünger war, hatte ich mir immer vorgestellt, dass Camila, Sam und Nadja die coolen Tanten waren, die meine Kinder liebten. Nadja die richtige Tante die mehr Fürsorge hatte und Camy und Sam die lockeren, witzigen und großzügigen Patentanten.

»Wenn die Babys da sind, bringe ich sie her, versprochen.« weinte ich und meine beste Freundin nahm mich in den Arm.

Der Himmel war bewölkt und es sah nach Regen aus, was uns aber nicht daran hinderte, dort weiter am Boden sitzen zu bleiben. Wir saßen Stunden lang dort und erzählten Sam, was es so neues gab. Wir lästerten über Leute die wir alle drei nicht mochten, wovon es einige gab, beschwerten uns über Männer, Camy erzählte von ihrer Firma und ich von meinen Jobs.

»...und dann musste ich fast diese ganzen Businesspläne lesen und benoten. Aber dann habe ich einfach den Praktikanten gezwungen, sie zu bewerten. Es macht Spaß die Chefin zu sein.« grinste Camila und ich lachte auf.
Die ganze Zeit über, wusste ich genau, was Sam auf die jeweiligen Sätze geantwortet hätte, die wir sagten.

»Glaubst du sie sieht uns von oben?« fragte ich Camy.
Wir hatten schon x-mal darüber geredet und jedes Mal hatten wir uns drauf geeinigt, dass Sam immer noch genau beobachtete, was wir taten. Doch ich war mir trotzdem nie sicher gewesen, ob ich daran glaubte.

»Früher hat sie uns doch auch immer geholfen, wenn wir Scheiße gebaut haben. Ich glaube sie ist jetzt, so eine Art Schutzengel für uns beide.« zuckte sie mir ihren Schultern.

»Puh, dann hat sie mit dir ja alle Hände voll zu tun!« schmunzelte ich und Camy sah mich beleidigt an.
Sie wusste selbst aber genau, wie tollpatschig sie war. 

Nach einigen Stunden, die wir bei Sam verbracht hatten, verabschiedeten wir uns von ihr. Als es dann wieder an der Zeit war zu gehen, wurden meine Augen glasig. Sie fehlt mir so sehr, dass es weh tat. Camila und ich nahmen uns vor, sie jeden Monat mindestes einmal gemeinsam zu besuchen. Still gingen wir wieder über den Friedhof und zurück in mein Auto. Es war bereits früher Nachmittag und wir beeilten uns, um schnell ins Einkaufszentrum zu kommen. Wir ließen den Tag in Camilas Lieblings Restaurant ausklingen. Sie bestellte, wie immer, einen Salat und ich eine Pizza. Nach dem Besuch von Sams Grab war die Stimmung noch etwas bedrückt, aber in diesem Moment war ich einfach nur froh, Camy an meiner Seite zu haben. 

Wir fuhren wieder zu mir und sahen uns zusammen noch einen Film an, bevor sie ihre Sachen zusammenpackte und nachhause fuhr. Wir umarmten uns und ließen nicht los, weswegen wir dementsprechend lange, im Türrahmen standen. Ich hatte Angst davor sie los zulassen. Ich hatte das Gefühl, dass alles wieder über mir zusammenbrechen würde, sobald sie weg war. Es tat mir ganz und gar nicht gut, alleine zu sein. Einsamkeit verleitete mich dazu, viel nachzudenken. Mehr als nötig, um genau zu sein. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass ich nur einen Tag alleine sein würde, bevor Vladimir zu mir kam.
Nachdem Camila weg war, legte ich mich in mein Bett. Es war schon anstrengend, wenn meine ganzen Freunde und Familie zu normalen Arbeitszeiten arbeiteten. Denn ich war immer alle paar Wochen, für einige Tage weg und hatte sonst immer frei, im Gegensatz zu anderen, die somit keine Zeit für mich hatten. Außer Harry, der hatte auch solche Freiheiten wie ich. Bis auf den Zeitraum in dem er auf Tour war, hatte er immer, bis auf ein paar Ausnahmen, frei. 

Am diesem Abend wälzte ich mich lange im Bett rum und dachte über mein gesamtes Leben nach. Über meine Kinder, Sam, Harry, meinen Job, meine Freunde, meinen morgigen Tag,... 

love destroyed through truth 2 | [H.S.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt