JACOB
Wow, da wollte man sich einfach nur mal mit einer Williams unterhalten und schon hockte man in einem Speiseaufzug.
Das hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt, als ich mir vor Cloes Haustür genau überlegt hatte, wie das Gespräch mit ihr verlaufen sollte. Davon mal ab fragte ich mich, mit wem Cloe nach Hause gekommen war, denn ich hatte eindeutig ein Motorrad gehört. Vielleicht eine Honda? Moment mal... Doch gerade, als ich den Gedanken zuende denken wollte, sprach Cloe.
"Hey Mum.", hörte ich sie jetzt sagen.
"Hey, Cloe. Ich dachte, du hättest Besuch.", hörte ich Mrs Williams sagen. Ich kannte sie nur von einigen Fortbildungen, zu denen ich mitgeschleppt wurde, um mich schon mal an das Geschäft zu gewöhnen, bevor ich nach dem Abschluss einstieg. Mir blieb Mrs Williams granitharte Geschäftsstimme immer noch im Kopf, aber im Moment kam sie mir schon eher wie eine Mutter vor.
"Ich hab nur telefoniert. Miranda und ich wollten uns noch mal treffen, um ein bisschen für das Theater zu proben." Ich hätte beinahe applaudiert für diese astreine Lüge. "Apropos, du kommst doch zur Premiere?" Es klang, als wäre Cloe das extrem wichtig, aber sie wollte wohl nur vom Thema ablenken. Wie ich schon mal gesagt hatte: Sie war eine gute Schauspielerin.
"Wann war die noch mal?", fragte ihre Mum.
"12. Dezember. Einen Tag nach meinem Achtzehnten, Mum." Sie klang genervt. Mir fiel auf, dass sie nicht mal einen Monat nach mir Geburtstag hatte. Ich hatte sie jünger geschätzt.
Mrs Williams seufzte besorgt. "Hör mal Schatz. Du weißt doch, dass ich diesen riesen Auftrag in Glasgow bekommen habe."
"Mum!", sagte Cloe warnend.
"Ich weiß, ich weiß. Ich habe das schon abgesprochen. Ich kann einen Tag später fahren."
"Moment. Wie lange bist du da?"
"Vom 12. bis 15. Dezember.", antwortete Mrs Williams resigniert.
"Soll das etwa heißen, du kommst gar nicht zur Premiere?", brachte sie schwer enttäuscht hervor.
"Naja, das bekomme ich bestimmt noch irgenwie hin." Es folgte eine kurze Stille. "Eine andere Frage. Wem gehört der rote Sportwagen, der vor unserem Haus parkt?"
Obwohl ich mich mit angezogenen Knien eh schon kaum bewegen konnte, erstarrte ich noch ein wenig mehr.
"Oh, ich glaube, Mrs Wimble von gegenüber hat Besuch von Verwandten. Die sind sicher bald wieder weg."
"Achso. Na dann." Ich hätte am liebsten erleichtert ausgeatmet, doch dann legte Cloes Mutter wieder die Stimme auf, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte. "Ich hätte schwören können, den Cooper-Bengel schon mal in so einem Auto gesehen zu haben."
Ich war jetzt richtig froh, dass ich Mrs Williams nicht über den Weg gelaufen war. Sie hätte mich ziemlich sicher erschossen.
Cloe lachte. "Nein, das traut der sich ganz sicher nicht. Der hätte doch viel zu viel Schiss, dass wir ihm den Wagen zerkratzen." Beide lachten jetzt.
Eins musste man ihr lassen: Sie war verdammt gut darin, Ausreden zu erfinden. Auch wenn die letzte ein bisschen an meinem Ego kratzte, was sicher beabsichtigt war.
"Ja, da hast du auch wieder recht. Also ich dachte mir, da Mrs Graham nicht da ist, mache ich uns Nudeln."
"Klingt gut."
Damit war das Gespräch beendet. Ich hörte, wie Cloes Mum die Treppe runterging.
Die Tür zum Speiseaufzug wurde geöffnet und Cloe sah mich an. Sie versuchte sich bei meinem Anblick krampfhaft ein Lachen zu verkneifen. Ich rollte nur mit den Augen und hüpfte so leise wie nur möglich aus der Tür und schloss sie hinter mir.
Gerade wollte ich etwas sagen, da hörte ich Mrs Williams nur wenige Meter von uns entfernt sprechen. Sie musste fast ganz oben auf der Treppe stehen. Nur die Eckwand zwischen Treppe und rechtem Flur schützte uns vor ihrem Blick.
Cloe reagierte prompt, riss die Tür gegenüber dem Speiseaufzug auf und schubste mich hinein.
Sie hätte mich, wenn ich logisch nachdachte, nie freiwillig in ihr Zimmer gelassen, aber als ihre Mum erneut nach oben kam, um ihr zu sagen, sie wolle das Dinner bei Mr und Mrs Ellenborough absagen, blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als mich reinzuschubsen.
Als sie schließlich WIRKLICH sicher war, dass ihre Mutter nach unten verschwunden war, folgte sie mir, schloss die Tür hinter sich, lehnte sich mit dem Rücken daran und rutschte seufzend auf den Boden. Ich beobachtete sie, wie sie den Kopf an die Tür lehnte und an die Decke starrte.
"Das war verdammt knapp.", sagte sie. "Hätte sie dich gesehen, wären wir beide tot." Sie lachte nervös. Doch irgendwas gab mir das Gefühl, dass es das nicht war, was sie so beschäftigte.
Ich reichte ihr meine Hand um ihr hochzuhelfen, doch sie sah mich nur kritisch an und stand von alleine auf.
"Wenn du meinst.", sagte ich und grinste über ihren Eigensinn. Sie ließ sich auf einen Diwan fallen. Erst jetzt sah ich mir ihr Zimmer richtig an.
Die Tür war an der längeren Seite. Rechts, mit der Kopflehne an der Wand, stand ein Himmelbett, um dessen Pfosten sich ein cremeweißer, halbtransparenter Stoff wand. Über der Matratze war eine Steppdecke mit kleinen, hellen Blütenmustern ordentlich ausgebreitet und mit Dekokissen bedeckt.
Ich hatte mein Bett schon länger nicht mehr gemacht. Zwar räumte ich mein Zimmer regelmäßig auf, nur war das Bett täglich zu machen war für mich die unnötigste Tätigkeit überhaupt. 12 Stunden später zerwühlte man es doch eh wieder.
Der Rest des Zimmers war ebenfalls in cremetönen mit roten Akzenten gehalten. An der linken Wand führten zwei Türen wahrscheinlich in Kleiderschrank und Badezimmer. Links befand sich an der Wand gegenüber eine Sitzecke aus Sofa, Sessel und dem Diwan, auf dem Cloe sich gerade ausgebreitet hatte.
"Nicht schlecht.", sagte ich und pfiff. Eigentlich überraschte mich die Größe des Zimmers kaum, schließlich war Cloe erstens Einzelkind und ihrer Familie gehört dieses riesige Haus zweitens schon seit Generationen. Da würde ich mir auch so ein großes Zimmer aussuchen.
Ich ging zu einem Regal und betrachtete einige Fotos, die dort aufgestellt waren. Cloe hinderte mich nicht daran, also kümmerte mich ihre Privatsphäre gerade nicht. Auf drei Fotos waren immer Cloe und ihre Freundin, Miranda glaube ich, abgebildet. Manchmal standen auch einige andere Leute daneben, die ich nicht kannte. Dann war dort ein Foto, das Cloe an einem Flügel im Scheinwerferlicht einer Bühne zeigte. Sie hatte wohl tatsächlich mal auf einem Konzert gespielt. Dabei konnte das Bild nicht älter als 2 Jahre sein.
Ich erinnerte mich an meinen Besuch vor einigen Tagen, als ich Klaviermusik von der Eingangshalle aus gehört hatte, während ich auf Cloe gewartet hatte. Ich hatte gedacht, dass es eine Aufnahme eines Konzerts war, offensichtlich hatte ich aber Cloe selbst spielen gehört.
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A Little Dream of You
RomanceDie 17-jährige Cloe müsste eigentlich glücklich sein. An ihrer High School gibt es nun eine Theater-AG und dann wird auch noch für ihr Lieblingsstück gecastet: Romeo und Julia - Das einzige, was ihr Vater dagelassen hatte, bevor er kurz vor ihrer Ge...