So schnell, wie ich bewegungsunfähig geworden war, konnte ich mich auch wieder aufsetzen. Die Lehrer waren aufgestanden und sahen mich besorgt an.
"Alles in Ordnung, ich habe heute einfach nur zu wenig gegessen." Dabei konnte ich ihnen nicht so richtig in die Augen sehen, denn ich hatte heute einen Double Cheeseburger, eine Pommes, Chicken Nuggets und einen großen Milchshake zum Mittag gegessen. Miranda hingegen sah mich zweifelnd an. Sie war nämlich dabei gewesen, als ich diese Riesenportion Fast Food zu mir genommen hatte.
Ich hätte ihnen aber wohl kaum die Wahrheit sagen können - nämlich, dass es die Aufregung war. Denn dann würde ich die Rolle schon gar nicht bekommen. Ich stand schnell auf, bedankte mich bei den Lehrern und ging mit meiner Freundin in unser Klassenzimmer, um unsere Sachen zu holen. Als Miranda und ich wieder vor der Tür standen, hielt sie mich am Arm fest und sah mir in die Augen.
"Sei ehrlich, Cloe. Was war da los?"
Ich zögerte, doch dann besann ich mich, mit wem ich da redete "Ich weiß es nicht. Meine Knie haben einfach versagt. Ich war erst so aufgeregt und dann einfach so erleichtert, dass es so gut lief." Meine beste Freundin seit Kindestagen sah mich skeptisch an. Sie hatte mich dazu ermutigt, mich für die Hauptrolle zu bewerben, denn sie wusste, wie zurückhaltend ich bei so etwas sein konnte. Miranda kannte mich so gut wie kaum jemand Anderes und war Freundin und Schwester gleichzeitig. Sie erkannte sofort, wenn ich log - oder einfach nur eine Aufmunterung brauchte.
"Du hast recht, es lief fantastisch." Miranda umarmte mich fest. "Also wir haben noch eine Stunde, bis die Besetzung verkündet wird. Was machen wir bis dahin?"
Ich musste nicht lange überlegen. "Wie wär's mit Cheesecake und Kaffee im Levington?"
"Fantastische Idee, du Fressmaschine."Eine Stunde und einen köstlichen Cheesecake später saßen Miranda und ich in der Aula. Die war gerammel-voll. Miranda hielt aufgeregt meine Hand.
"Gleich ist es so weit!" Ich konnte sehen, wie nahe sie einem Herzinfarkt war. Auch ihr war das Casting mit der Zeit wichtig geworden, obwohl es zu Anfang nur meiner Beruhigung diente, mit mir zu spielen.
Schließlich klopfte einer der Lehrer, Mr Ferguson, gegen das Mikrofon und räusperte sich einmal. Es wurde plötzlich totenstill im Raum. Man konnte die Anspannung in der Aula spüren. Alle warteten angespannt darauf, wer zur Hauptbesetzung gehören würde.
"Also zunächst einmal möchten wir allen Bewerbern danken, dass ihr euch so zahlreich gemeldet habt. Das zeigt, dass der kulturelle Wert dieser Schule noch nicht gänzlich den Bach heruntergegangen ist." Einige Schüler lachten nervös. "Aber euch interessiert wahrscheinlich viel mehr die Besetzung, für die wir uns entschieden haben. Wir sind dabei danach gegangen, wer am besten in der Lage wäre, die Rolle zu verkörpern und darin aufzugehen, nicht nach Schulnoten oder sonstigen Leistungen. Die Personen mit Hauptrollen und diejenigen, die als Nebenrolle an diesem Stück arbeiten möchten, mögen sich morgen nach der 8. Stunde bitte hier in der Aula einfinden. Aber jetzt kommen wir endlich zu den Hauptrollen." Die Spannung war so hoch, man hätte damit einen Flackscheinwerfer zum laufen bekommen. "Als Paris: Brad Stanley." Es folgte Applaus. Mr Ferguson schien erst mit den Nebenrollen fortzufahren. Eigentlich hätte es mich überraschen sollen, Brad als Paris... Aber er war der einzige Bewerber gewesen. Auch wenn ich ihn mir nicht als Nebenbuhler vorstellen konnte. Überhaupt konnte ich mir Brad Stanley als nichts anderes als einen Nerd vorstellen. Die riesige Brille, das T-Shirt mit irgendeinem Mathe-Witz und diese Nervösität, sobald er mit anderen Menschen in Kontakt stand schrien praktisch nach einem Technik-Freak. Aber da konnte ich mir selber an die Nase fassen, denn mein Ruf war auch nicht gerade prickelnd. Ich war schließlich das komische Mädchen, das Jacob Cooper hasste. Aber in erster Linie war ich Coopers Hassobjekt und das machte mich - unter den meisten Mädchen und vielen Jungen - unbeliebter als Brad Stanley.Es folgten weitere kleinere Hauptrollen, die immer wieder von Applaus begleitet wurden. Ich fand es merkwürdig, dass Mr Ferguson, der im Literaturunterricht immer schon das Ende der Lektüre spoilerte, bevor wir sie überhaupt gekauft hatten, sich Romeo und Julia bis zum Ende aufhob. Wahrscheinlich hatte Mrs Millerton ihn dazu überredet. Sie war die Art Lehrerin, die für Shakespeare am Liebsten mit ihrer Klasse einen Zeitsprung ins 16. Jahrhundert machen würde, um seine Werke live zu sehen. Auch wenn sie etwas hyperaktiv war, machte sie das für jeden umso sympathischer.
Dann kam Mr Ferguson zur Amme. Ich drückte Mirandas Hand fest. Sie war heiß und schwitzig. Ich wünschte mir so sehr, dass wir dieses Projekt, an dem wir seit Wochen saßen, wirklich zusammen durchziehen konnten.
"Als Amme: Miranda McAdams." Miranda schrie vor Freude auf und ich umarmte sie stürmisch. Sie hatte sich diese Rolle tatsächlich gewünscht. Es war, als hätte sie sich mehr und mehr mit ihr verbunden gefühlt. Und sie wollte so gerne mit mir spielen. Ich war stolz auf sie und aufgeregt, dass wir nun ein weiteres gemeinsames Hobby haben könnten.
"Als Romeo." Es wurde noch stiller, als zuvor. Jeder wollte jetzt wissen, wer das Liebespaar spielen würde. Ich sah weiter links die Clique rund um Bethany. Die sahen aus, als würden sie bald eines Herztodes sterben.
Ich hingegen überlegte mir, wer es am besten nicht spielen sollte. Bitte nicht Jacob, bitte nicht Jacob, bitte nicht er!!! In meinem Kopf spielten sich grausame Bilder mit ihm als Romeo ab. Er würde nie zuverlässlich da sein, würde seinen Text vergessen, jeden Auftritt versauen und in der AG schlechte Stimmung machen. Er würde mich als Spielkamerade anstatt zu unterstützen, auslachen oder hängen lassen. Oder sogar bloßstellen. Nein, Jacob durfte auf gar keinen Fall Romeo werden.
"Jacob Cooper!" Mir entglitten die Gesichtszüge. Nein, nein, nein, nein, nein!!! Das war doch klar. Irgendwie schaffte dieser Schweinehund es immer, mit seinen Wünschen überall durchzukommen. Ich applaudierte nicht, im Gegensatz zu allen Anderen, die johlend klatschten. Die auffällige Mädchenecke kreischte ohrenbetäubend. Doch Miranda tat es mir gleich. Sie sah mich entsetzt und mitleidig an. Sie wusste von meinem Hass gegenüber Jake. Ich gönnte ihm die Rolle nicht. Wie sollte ein Trottel wie er überhaupt in der Lage sein, einen romantischen Schwärmer zu spielen? Fairerweise musste ich sagen, dass ich seine Audition nicht gesehen hatte. Vielleicht war er ja doch ein brillianter Schauspieler und ein wertvolles Mitglied der Theater-AG. Doch da musste ich doch fast über meine eigenen Gedanken lachen.
Als die Menge nun endlich zur Ruhe kam, wusste ich nicht, ob ich die Rolle der Julia überhaupt noch wollte, sollte ich tatsächlich bekommen. Sie würde eher meine größte Blamage werden, anstatt mich schauspielerisch zu bereichern.
"Als Julia.", verkündete Mr Ferguson feierlich. Ich wollte nicht hinhören. Wenn ich die Rolle bekam, musste ich mit Jake Friede, Freude Liebesbeziehung spielen. Wenn nicht, hatte ich gegenüber den Lehrern und meinem Vater versagt. Beides war gelinde gesagt beschissen. Miranda drückte meine Hand, das beruhigte mich etwas. Sie würde mir beseite stehen.
"Cloe Williams!" Oh Gott. Zunächst war Stille im Raum. Niemand wagte es, auch nur zu atmen. Jeder wusste, wie sehr Jacob und ich uns veranscheuten. Es war, als müssten sie alle noch mal darüber nachdenken, was das jetzt bedeutete. Doch dann brach ein tosender Lärm aus Applaus, Pfiffen, Gejohle unf Gerufe aus. Man hätte als Außenstehender sagen können, dass es aus Bewunderung war, aber in Wirklichkeit lachten sie. Sie machten sich über mich lustig.
Jemand rief: "Cooper, du Pechvogel." Das war das einzige, was ich aus der tobenden Menge herausfiltern konnte. Meine Hand formte sich ohne meinen Willen zu meiner Faust. Etwas pochte mit dröhnenden, unerbitterlichen Schlägen an mein Unterbewusstsein und wollte ausbrechen und alle hier zum Schweigen bringen.
Das hier war viel schlimmer als jede Niederlage. Es war wie ein Sprung ins kalte Wasser, wie erbärmlich zu ertrinken. Ich hielt diese Blamage nicht mehr aus.
"Sag mir bitte Bescheid, wenn noch was Wichtiges gesagt wird." sagte ich zu Miranda und stürmte mit dem Gejohle im Ohr und meiner Tasche in der Hand aus dem Raum. Die Schüler pfiffen mir hinterher.
Was soll ich sagen, es ging mir beschissen.
Ich öffnete die Tür nach draußen und genoss die Abendluft. Sie beruhigte meinen vor Wut zitternden Körper. Dann setzte ich mich auf eine Bank und sah auf die Grünfläche vor unserer Schule.
Was dachten sich die Lehrer eigentlich dabei, ausgerechnet Jacob zu wählen? Hatten die eigentlich den Verstand verloren. Und mich dann auch noch als Julia zu wählen. Bei allem Respekt, aber weder Jacob noch ich machten ein Geheimnis aus unserem Hass.
Ich hatte meine Traumrolle und sollte eigentlich springen vor Freude. Das war alles, was ich mir gewünscht hatte. Aber nein, Jacob hatte diesen Traum zerstört. Eine Träne kämpfte sich nach vorne und nachdem begriff, dass niemand sonst hier war, ließ ich sie zu. Und wie das so ist bei Tränen, folgte die nächste gleich darauf.
Ich vergrub das Gesicht in den Händen und wischte die Tränen auf. Wegen dieses Mistkerls würde ich nicht weinen.
Und wenn man vom Teufel sprach, stand der auch gerade hinter mir.
"Hau ab, Cooper!", zischte ich genervt. Doch er bewegte sich nicht. Er stand nur da, seelenruhig, mit den Händen in den Taschen seiner Schuluniform.
"Ich meine es ernst. Geh! Du hast was du wolltest. Meinen Glüchwunsch"
Endlich fuhr Jacob aus seiner beängstigenden Ruhe heraus. Er lachte. Er gluckste und kicherte. Das ging bestimmt eine halbe Minute so. Dann bekam er endlich ein Wort heraus "Glaubst du ehrlich, ich hätte mich für diese Rolle freiwillig gemeldet?" Es klang mehr belustigt, als anklagend. "Ehrlich Kätzchen, du setzt deinen Wert viel zu hoch an. Ich kann schon in der Schule dein Honigkuchengegrinse in den Fluren nicht ertragen. Da muss ich mir das nicht auch noch außerhalb der Unterrichtszeiten anhören." Okay, erstens regte es mich mal wieder auf, dass er mich Kätzchen nannte. Seiner Aussage nach war ich der erbärmliche Versuch, aus einem Kitten eine Kampfmaschine zu machen. Zweitens hatten mich seine Worte jetzt irgendwie getroffen. Dabei wollte ich mir Jacob gegenüber eine Mauer der Ignoranz und Gefühlslosigkeit bauen.
Das trieb mich mal wieder zur Weißglut. "Weißt du, ich wollte einmal, EINMAL das tun, was mir etwas bedeutet. Etwas, was mir wirklich Spaß macht. Aber nein, auf der Zielgeraden reihst du dich mal wieder ein. Du kannst dir deine Beleidigungen sparen. Der Schaden hier geht nicht noch größer. Also HAU ENDLICH AB" Tatsächlich drehte Jake sich um und ging. Das hätte mich glücklich gemacht, wenn er nicht kichernd "Ist ja gut, Kätzchen." gesagt hätte.
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A Little Dream of You
Roman d'amourDie 17-jährige Cloe müsste eigentlich glücklich sein. An ihrer High School gibt es nun eine Theater-AG und dann wird auch noch für ihr Lieblingsstück gecastet: Romeo und Julia - Das einzige, was ihr Vater dagelassen hatte, bevor er kurz vor ihrer Ge...