Schalentiere... und wie Julia beinahe von Meeresbewohnern getötet wurde

81 8 1
                                    

"Sie wird wach."
Das war irgendwie so ein Standardsatz, den man im Fernsehen hörte. Als ob die anderen Anwesenden das nicht raffen. Aber Mrs Graham musste den natürlich bringen. Sie sah viel zu viele Seifenopern. Wäre ich gestorben, hätte sie sicher noch eine Grabrede aus ihrer Lieblingsserie "Erica Romantica" zitiert.

Ich sah erst nur die weißen Lichter des Zimmers, dann sah ich über die Decke hinweg eine kleine Ansammlung von Menschen. Mrs Graham, Mr Murphy und zwei Männer im Kittel. Mir gingen gleich zwei Fragen durch den Kopf. "Wo ist Mum?" Das war eine der beiden. Mein Mund war ekelhaft taub.
"Sie hat noch einen wichtigen Termin, aber sie meinte, sie kommt gleich." Das war ja wieder klar.
Jetzt meldete sich der Arzt. Er hielt mir eine kleine Lampe vor die Augen. "Wie heißen sie?"
"Ääh, Cloe Williams. Warum ist das jetzt wichtig? Ich hatte doch nur eine allergische Reaktion."
"Und was für eine. Schalentiere sollten sie in Zukunft wohl eher meiden." Ah, er war wohl einer von der geckigen Sorte. "Ihr Zustand war äußerst kritisch. Wären die Rettungskräfte eine halbe Minute später gekommen, wären sie jetzt nicht mehr hier. Sondern unten. In der Leichenhalle." Ob das jetzt auch witzig sein sollte, würde wohl für immer sein Geheimnis bleiben.
"Oh Schätzchen, es tut mir so Leid. Aber ich konnte es ja auch nicht wissen. Deine Mutter hat diese Allergie nicht und dein Vater..." Mit einem Mal presste Mrs Graham die Lippen zusammen und schwieg wieder.
"Die Veranlagung für eine Allergie kann tatsächlich vererbt werden, muss aber nicht zwingend der Auslöser sein." Okay, klugscheißern kann er auch noch. "Sie haben auch eine kleine Gehirnerschütterung, wahrscheinlich von ihrem Sturz vom Stuhl." Ich wusste eher, woher sie kam. Eine gewisse Begegnung mit einer Bank hatte sie verursacht.
"Wie lange habe ich denn geschlafen?", fragte ich schließlich.
"Nur etwa drei Stunden." Der andere Arzt untersuchte noch meinen Mundraum und meinen Puls. "Wenn du morgen früh wieder auf den Beinen bist, kannst du gehen. Wenn sie möchten, kann ihnen ihr Hausarzt auch noch eine Notfallspritze verschreiben." Damit verabschiedeten sich die Ärzte. Gerade, als sie den Raum verließen, kam meine Mutter durch die Tür gerannt und stürzte sich keuchend auf meine Bettkannte.
"Oh Gott, Cloe. Ich war noch außerhalb der Stadt aber ich bin sofort los, als ich davon gehört habe. Tut mir Leid, aber mitten in der Innenstadt gab es einen Unfall und ich stand Ewigkeiten im Stau. Ich wünschte, ich wäre früher da gewesen. Was machst du nur immer?" Zum Schluss wurde ich Stimme ganz leise und brüchig. Sie strich mir über die Wange. Ich setzte mich auf und ließ mich von ihr in den Arm nehmen.
"Weißt du, so schnell lässt sich eine Williams nicht übers Knie legen." Ich lächelte und löste mich aus der Urmamung. "Es geht mir ja schon besser." Meine Stimme war noch heiser und krächzig, es klang eher, als wäre ich zur Krähe mutiert.

Der Abend endete damit, dass Mrs Graham mir hoch und heilig versprach, nie wieder Rezepte von Mrs Burleigh auszuprobieren. Mum trennte sich nur schwerlich von mir, ging dann aber schließlich doch. Ich war so erschöpft, dass ich sofort wieder einschlief.

Das Klingeln meines Handys auf dem Beistelltisch weckte mich. Es musste in meiner Hosentasche gewesen sein, als wir zu Abend gegessen hatten.
Ein Blick auf das Display verriet mir, dass Miranda gerade anrief. Es war 9 Uhr morgens.
Ich ging an das Telefon und wurde direkt mit einer Schimpftirade begrüßt.
"Verdammt Cloe, warst du tot, oder was? Ich hab mir SORGEN gemacht. Und warum bist du nicht in der Schule?" Kurz erklärte ich Miranda von den Geschehnissen des letzten Abends und sie war sofort etwas sanfter.
"Zur Schule werde ich nicht gehen, aber zu den Proben heute schaff ich es noch.", beendete ich meine Erzählungen. Mir fiel auf, dass ich nicht mehr ganz wie ein Kettenraucher klang.
"Oh, nein. Auf gar keinen Fall. Cloe Cecilia Williams, du lässt deinen hübschen Hintern ganz brav im Bett.", schoss Miranda direkt zurück.
"Ich bin doch nicht krank. Mir wurde Antihistamin verabreicht und damit hat sich die Sache auch schon erledigt. Ehrlich, wenn die Ärzte ihr okay geben, brauchst du dich um mich nicht sorgen." Wie auf's Stichwort klopfte es und ein Arzt betrat das Zimmer. "Miranda, ich muss Schluss machen. Bis nachher." Dann legte ich auf.
"So Miss Williams. Dann sehen wir mal, wie es ihrem Kreislauf geht." Nach einigen Messungen meines Pulses und Blutdruckes und einer letzten Untersuchung meines Rachens gab der Arzt mir schließlich die Erlaubnis, zu gehen.
Er wollte sich zum Gehen umdrehen. "Hat meine Mutter sich vielleicht gemeldet? Oder wartet sie draußen?" Der Arzt runzelte nachdenklich die Stirn.
"Nicht das ich wüsste. Tut mir Leid."
"Schon okay, ich ruf mir ein Taxi." Dann drehte er sich um und ging. Im kleinen Bad zog ich mir das Krankenhemd aus und sah in den Spiegel. Außer ein paar Rötungen um den Mund war von der allergischen Reaktion nichts mehr zu sehen, doch die rote Farbe ließ den Rest von mir noch fahler erscheinen. Meine (natürlich!) platinblonden Haare lockten sich nicht leicht, wie sonst, sondern hingen schlapp auf meinen Schultern.
Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, um die Durchblutung wieder anzuregen, dann versuchte ich, meine Haare wieder etwas aufzuschütteln. Doch es sollte beim Bad-Hair-Day bleiben. Netterweise hatte man meine Kleidung gewaschen. Sie roch jedoch etwas chemisch. Besser als nichts.

A Little Dream of YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt