Julias Familie... oder Scherben bringen Glück?

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"Sie wollen WAS?", fragte ich entgeistert.
"Mum und Robert wollen es meinen Großeltern sagen. Mütterlicherseits. Und sie hätten gern, dass du dabei bist."
"Aber was hat Cloe denn damit zu tun?"
"Genau, was hat Cloe damit zu tun?", fragte ich entgeistert. "Ich dachte, es geht um DEINEN Vater."
"Naja, Rob will die Sache mit dir und Elizabeth irgendwie auch beichten. Grandpa Coopey kommt nämlich auch."
"Ach du scheiße. Dann ist er ja MEIN Grandpa Coopey. Wie lange habe ich denn Zeit, um mich seelisch vorzubereiten?"
"Wir wollten uns nach der Dernière treffen und anstoßen."
Ich atmete tief durch. Das hieß, ich hatte noch etwas weniger als einen Monat, damit kam ich klar. "Sollte zu schaffen sein.", sagte ich schließlich mit fester Stimme.
"Vielleicht solltest du heute Abend vorbeikommen, Mum wollte noch mal mit dir sprechen."
"Okay", sagte ich. "Wann soll ich denn kommen?"
"Eigentlich kannst du auch direkt mit mir mitfahren, wenn wir mit der Probe durch sind."
"Gut." Ich wollte aufstehen. "Ich glaube ich bin mittlerweile schon 20 Minuten zu spät zu Mrs Middlers Unterricht."
"Na und?", sagte Miranda. Ich zog die Augenbrauen hoch. Ich kannte sie gar nicht so aufmüpfig. "Die Sonne scheint, vielleicht das letzte Mal dieses Jahr. Das kann ich jetzt ja noch genießen."
Und so saßen wir für den Rest der Stunde im Sichtschutz der Bäume und genossen die Strahlen, die durch die Blätter schienen. Ich hätte nie gedacht, dass Schweigen so angenehm sein konnte.

"Ich find's ja wahnsinnig schwierig, Jacob's Gedanken zu lesen.", riss Miranda mich aus meinen Gedanken. Wir standen in der Umkleide und sie half mir mit meinem Korsett.
"Ich find's manchmal wahnsinnig schwierig, DEINE Gedanken zu lesen.", sagte ich leise zurück.
"Wie meinst du dass denn jetzt?", flüsterte Miranda.
"Naja, du erzählst mir nicht, was jetzt zum Beispiel genau mit Callum war. Das ist einfach irgendwie im Sande verlaufen."
"Das liegt vielleicht daran, dass es hundert mal langweiliger war, als dein Leben."
"Mein Leben war ziemlich langweilig, bis diese ganze Theatersache angefangen hat."
"Du lenkst wieder ab.", unterbrach mich Miranda.
"Wovon denn?"
"Na von Jacob. Ich hab echt versucht, zu verstehen, was er über dich denkt aber er ist verdammt gut darin, neutral zu schauen."
"Ts.", machte ich reichlich wenig überzeugend. "Er kann doch denken, was er will."
"Ja, da hast du wohl recht. Aber was willst du denn, was er denkt? Und was willst du, was er will, was du denkst?"
"Okay, warte mal.", sagte ich und drehte mich um. "Ich will hier rein gar nichts. Ich bin die Schweiz, ich bin neutral. Mal schauen, was auf mich zukommt."
Miranda rollte nur mit den Augen, drehte mich wieder um und band mein Korsett zuende.
"Ich will nur nicht, dass du bereust, die Schweiz gewesen zu sein."
"Die Schweiz bereut rein gar nichts. Die sind stinkreich. Außerdem sind die Waffengesetze für lau und die Mordrate ist trotzdem gen null."
Jetzt seufzte Miranda. "Die Schweiz war ein blöder Vergleich. Ich finde, du bist in vielen Dingen viel zu ängstlich, gerade wenn es um deine Familie geht."
"Was hat das denn mit meiner Familie zu tun?"
"Na wenn da nicht diese komische Fehde zwischen euren Eltern gewesen wäre, dann würdest du jetzt ganz anders agieren."
"Aber das haben wir doch irgendwie schon vom Tisch geräumt."
Miranda sah mich mit einem eindeutigen Blick an. "Ich hab gehört, Beth hat Schluss gemacht."
Ich schluckte. "Wir müssen jetzt los."

"Leute, ich finde, das war schon beinahe aufführungsreif. Annabelle, das war super, wirklich, ich hatte Gänsehaut." Mrs Millerton war wieder auf Hochtouren und auch Mr Ferguson wirkte zufrieden. Wenn man an die erste Probe dachte waren Welten dazwischen. "Cloe, Jacob, euch zwei würde ich gleich noch gerne sprechen."
Ein ungutes Gefühl breitete sich in mir aus. Mit verschränkten Armen ging ich zu ihr herüber und auch Jake wirkte unruhig.
"Also ihr zwei. Mich hat vorhin die Nachricht erreicht, dass Ian unsere AG verlassen hat, wahrscheinlich auch die Schule. Dabei sind eure zwei Namen erstaunlich oft gefallen."
Jake und ich sahen uns an. Er ergriff schließlich das Wort. "Es gab einige Auseinandersetzungen, das ist richtig."
"Naja, euer Schauspiel war heute etwas... reserviert. Insbesondere du, Cloe. In erster Linie möchte ich euch sagen, dass ihr mit Problemen jederzeit zu mir kommen könnt, aber ich muss natürlich auch an die AG denken. Wenn diese Auseinandersetzungen also irgeneinen Einfluss auf das Stück hat..."
"Das wird es nicht.", unterbrach ich sie. "Zwischen Cooper und mir ist denke ich alles in  Ordnung. Das Problem war mit... Ian." Ich verdrängte den schmerzlichen Gedanken an ihn, der in mein Herz kriechen wollte.
"Na dann." Mrs Millerton lächelte auf. "Einen schönen Feierabend."
Ich lächelte schief und verabschiedete mich.
In der Umkleide wartete noch Miranda und öffnete das Kleid, dann schlüpfte ich schnell in meine Klamotten.
Jake stand bereits in der Tür und wartete. Schnell drehte ich mich noch zu meiner besten Freundin um und umarmte sie fest.
"Ich hoffe, dass dein Leben auch mal zur Telenovela wird.", flüsterte ich ihr halb ernst ins Ohr. Sie flüsterte etwas so Unanständiges zurück, dass ich Jake kurz nicht in die Augen sehen konnte.
"Was habt ihr zwei denn da geflüstert?", fragte er auf dem Weg zum Parkplatz.
"Dies und das. Darfst du mit deinem Knie überhaupt Autofahren?", lenkte ich ab.
Jake zuckte mit den Achseln. "So schlimm ist es nun auch wieder nicht."
"Gut.", seufzte ich und setzte mich auf den Beifahrersitz des Mustangs. Das fühlte sich so merkwürdig selbstverständlich an, dass ich beinahe Angst bekam. Was auch immer das zu bedeuten hatte...
Die Straßen Londons waren nicht mehr ganz so voll - wir hatten wirklich lange geprobt - und so waren wir relativ schnell am Ziel. Jake parkte das Auto in eine der drei Garagen und wir gingen durch den dortigen Hintereingang ins Haus.
Ich hörte Geschirr in der Küchenecke klirren.
"Jake?", rief Meridith ihren Sohn.
Schließlich trat sie in unser Sichtfeld.
"Oh. Und Cloe." Zunächst betrachtete sie uns neugierig, dann ergriff Jacob das Wort.
"Ich dachte, ich bringe sie gleich vorbei. Du wolltest ja sowieso mit ihr sprechen."
"Ja. Ja, stimmt. Kommt ruhig her, ich habe gerade Tee aufgesetzt. Jake sei so lieb und hol noch ein weitere Tasse." Er nickte und verschwand in der Kochniesche.
Währenddessen setzte ich mich zu Meridith ihr schräg gegenüber auf das Ecksofa mit Beistelltisch.
Jake stellte mir eine Tasse hin und nachdem ich mich bedankte, verschwand er nach oben. Seine Mutter schenkte mir wohlduftenden Earl Grey ein.
"Also, Cloe. Jake hat dir doch sicherlich davon erzählt, dass ich mit meinen Eltern sprechen möchte."
Ich nickte und schlürfte am Tee.
"Gut. Aber wir möchten eben auch Robs Eltern einweisen und dabei geht es eben auch um... dich."
Mein Herz schlug einen Gang höher. Ich hatte noch LEBENDIGE Großeltern und nach dem, was Jake so erzählt hatte, sogar Nette.
"Ich habe nur wenig Zeit im Moment, meine Verabredung holt mich gleich ab." Mir fiel erst jetzt auf, dass sie ein schickes Kleid und Make Up trug. Mum hatte nie Dates. "Aber folgendes: Du musst nicht dabei sein, wenn es dir zu schnell geht.Wir dachten nur, dass alles etwas gesitteter abläuft, wenn alle dich gleich kennenlernen können. Das ist... persönlicher."
"Ich denke auch, dass es das Beste wäre - auch wenn es mir Angst macht."
Meridith musste lächeln und trank ihre Tasse aus. "Ja, das kann ich verstehen. Aber wenn die Sache aus dem Ruder läuft, evakuieren wir einfach. Außerdem..." Sie musste seufzen. "...ist es am Ende auch nur ein Name auf dem Papier. Familie ist, wer einem Halt gibt, auch wenn man ihn nicht verdient." Mit einem Mal sah sie traurig aus. Nachvollziehbar, wenn man 18 Jahre lang die Lüge seines Lebens lebt nur, um nicht von der Familie verstoßen zu werden.
Das Klingeln der Haustür unterbrach unser Gespräch. "Das ist meine Verabredung." Sie stellte ihre Tasse weg. "Ich muss jetzt leider los. Wenn du noch über irgendwas reden willst, sag einfach Bescheid. Ach und klopf bei Jake."
"Ich nehme die U-Bahn.", sagte ich.
"Trotzdem, Cloe. Tu mir den Gefallen und geh nicht allein zur Station. Es ist schon dunkel. Frag Jake, er wird dich sicher begleiten."
Ich nickte brav, dann ging sie strahlend wie ein Honigkuchenpferd zur Tür und verschwand.
Ich starrte ins Feuer im hochmodernen Kamin. Komisch, irgendwie passte dieses ganze Gebäude so gar nicht zu Jake. Er hatte viel mehr etwas Klassisches an sich. Als würde er auf Häuser aus der Kolinialzeit stehen. Sowas hätte ich vor zwei Monaten noch nicht mal im letzten Winkel meines Hirns gedacht, aber da hatte ich Jake auch noch nicht gekannt.
Mich erreichte eine überwältigende Müdigkeit. Manchmal war ich so abgelenkt, dass ich nicht einmal einen Gedanken an die Krankheit verschwendete, aber nun übermannte sie mich, sodass ich mich dem Bedürfnis hingab und die Augen schon schloss, bevor ich ins Sofakissen sank.

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