Ich wusste ehrlich nicht, was ich sagen sollte. Jacob und ich standen circa 1,5 Meter voneinander entfernt und sollten sagen, was wir am anderen mochten. Ja ne, is klar. Das klang, wie mein schlimmster Albtraum. Obwohl, es wäre mir lieber gewesen, es wäre nur ein Albtraum.
"Also wer will anfangen?", fragte Mrs Millerton, immer noch überzeugt von ihrer Idee. Natürlich wollte das keiner von uns. "Gut, dann sage ich, dass du anfängst, Jacob."
Er stöhnte. "Müssen wir das jetzt ehrlich machen?", fragte er schon zum hundertsten mal.
"Du kennst schon die Antwort. Und jetzt fangt an!"
Jacob seufzte, dann sah er an mir herunter. Er musterte mich sehr genau. Das war mir irgendwie mehr als unangenehm. Gut, das ich kein Problem mit dem rot Anlaufen hatte. Das wäre noch peinlicher gewesen.
"Du bist eine recht gute Schaupielerin.", sagte er schließlich.
"Du auch.", antwortete ich. Damit war die Sache für mich gegessen. Ich wollte mich schon wegdrehen, doch Mrs Millerton drückte mich zurück.
"Nein, nein, nein. Das zählt ja wohl nicht. Etwas mehr Anstrengung, bitte."
Jacob schien intensiv zu überlegen. Er starrte mich an, direkt in die Augen. Ich wusste nicht genau, was ich tun sollte, außer zurück zu starren. In seinem Blick lag etwas so Forschendes, als würde er durch meine Augen direkt in meine Seele starren. Ich glaubte, noch nie in meinem Leben so angeschaut worden zu sein und mir entfiel für einen winzigen Moment, warum wir hier waren. Jacob öffnet seinen Mund, fast so als hätte er durch seinen forschenden Blick etwas gefunden das es wert war zu komplimentieren. Dann sagte er: "Hab gehört, du liest viel. Ich find's gut, wenn man sich weiterbildet." Ich schlug einmal mit den Augen auf, um zu vergessen, was gerade geschehen war und katapultierte mich selbst wieder ins Jetzt. Wow, dass er mal sowas sagte. Anscheinend fand er Bildung bei jedem wichtig, außer bei sich selbst. Was sollte ich also an ihm gut finden? Fieberhaft überlegte ich, was seine Talente waren und schaute wieder zu Jacob auf, dessen Blick immer noch direkt durch mich hindurch zu starren schien. Dann hatte ich eine Idee.
"Du bist ganz sportlich." Ich wollte erst noch 'Ich find's gut, wenn man auf seinen Körper achtet' sagen, aber das wäre irgendwie noch merkwürdiger gewesen.
"Ich spiele Polo." Moment. Kam das gerade aus seinem Mund?
"Bitte was?" Ich sah ihn erstaunt an.
Er sah aus, als würde er sofort bereuen, was er gesagt hatte. Ich konnte mir kaum Jacob Cooper auf einem Pferd mit einem Schläger in der Hand vorstellen. Diese Vorstellung war absurd. Ich wollte vor Lachen platzen, aber ich durfte nicht. Ich fuhr gerade auf Zuckerbrot-Kurs. Aber der Drang, lauthals loszubrüllen und mich auf dem Boden zu wälzen, war immens. Nicht jetzt, bitte nicht. Bitte Gott, tu etwas, damit es aufhört.
Irgendwie wurden meine Gebete erhört, nur nicht so richtig nach meinen Wünschen. Denn meine Knie klappten ruckartig weg und ich kippte zur Seite. Ich hoffte, es war das selbe, wie letztes Mal. Dann würde ich schnell wieder aufstehen und so tun, als wäre es Unterzuckerung gewesen. Schade nur, dass eine gewisse Bank zwischen mir und meinen Hoffnungen, oder eher gesagt zwischen meinem Kopf und dem Boden, stand. Ich knallte ohne jegliche Kontrolle über meinen Körper gegen das Holz und schließlich auf den Boden. Aua. Kurz wurde mir schwarz vor Augen. Ich schloss sie, um den dumpfen Schmerz zu ertragen. Noch konnte ich meinen Körper nicht bewegen. Oh Gott, war ich etwa querschnittsgelähmt? Diese These widerlegte ich selbst, denn ich spürte ganz sicher noch meine Beine auf dem kalten Boden der Bühne.
"Ach du meine Güte, Cloe. Geht es dir gut? Kannst du mich hören?" Letzteres fragte Mrs Millerton so laut und langsam, als wäre ich schwerhörig.
"Vielleicht ist sie bewusstlos.", sagte eine andere, auch etwas besorgte Stimme.
Schließlich schaffte ich es, brummend die Augen zu öffnen. Über mir kniete Mrs Millerton. Neben ihr konnte ich gegen das Licht nur karamell-braune Augen erkennen, die mich interessiert musterten. Gott, waren die schön. Dann wurde mir mit einem Mal bewusst, dass die Jacob gehören mussten und ich setzte mich ruckartig auf. Mein Kopf musste echt einen Schaden davongetragen haben, wenn ich solch dämliche Gedanken produzierte.
"Mir geht's bestens, danke der Nachfrage.", sagte ich in meinem besten Plauderton. Ich hievte mich hoch auf die Bank.
"War das etwa schon wieder Zuckermangel?", fragte Mrs Millerton. Ich nickte einfach. "Kind, du solltest mehr essen!" Als ich hochsah, stand Jacob vor mir und musterte mich immer noch mit gerunzelter Stirn.
"Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist?", fragte er mich, als wüsste er es besser. Das war für mich (vielleicht nur, weil die Beule an meinem Hinterkopf echt wehtat) Grund genug für die Peitsche.
"Ich denke, ich bin in der Lage, mein Wohlbefinden zu beurteilen.", fauchte ich ihn an.
"Du mich auch.", nuschelte er und drehte sich weg.
In diesem Moment kam die ganze Schar der anderen Schüler samt Lehrern aus dem Nebenraum.
"Was ist denn hier los?", fragte Mr Ferguson. Ich musste schon einen traurigen Anblick abgeben, wie ich hier saß und mir die Hand an den Kopf hielt, während Mrs Millerton mir sanft mit der Hand über den Rücken strich. Das hatte tatsächlich etwas Beruhigendes. Vielleicht sollte ich öfter an die Tricks dieser Frau glauben.
"Cloe hat nicht genug gegessen und ist zusammengeklappt. Sie hat sich den Kopf an der Bank gestoßen." Sofort ging ein Raunen durch die Schüler.
Mr Ferguson kam hoch, hinter ihm die besorgt dreinblickende Miranda.
"Sollen wir dir einen Arzt holen?", fragte Mr Ferguson. Jacob schien sich nicht mehr für die Situation zu interessieren und verließ die Bühne. Sollte mir nur Recht sein.
"Nein, schon okay. Es ist nur eine Beule." Mein Magen knurrte.
"Hast du heute überhaupt schon mal was gegessen?" Miranda sah mich an.
Ich hatte tätsächlich keinen einzigen Bissen zu mir genommen, denn ich war direkt nach dem Weckerklingeln wieder eingeschlafen. Da war keine Zeit mehr für Frühstück gewesen. Und mein Geld hatte ich auch vergessen.
"Nein.", gab ich also ehrlich zu.
"Hat jemand vielleicht einen Schokoriegel oder sowas?", rief Mrs Millerton in die Gruppe. Brad Stanley kam mit einem Snickers und überreichte ihn mir.
"Danke.", sagte ich so höflich, wie nur möglich. Denn ich wollte diesen Riegel so schnell wie möglich essen. Ich hatte wirklich Hunger. Da pfeift man dann auch mal drauf, dass die Kombination von Karamell und Erdnüssen grauenhaft war. Als ich einen großen Bissen nahm, musste ich beim Anblick von Karamell leider an Jacobs Augen denken. Das zügelte meinen Hunger etwas. Erleichtert spürte ich, wie der Riegel in meinem Magen ankam. Die Anderen in der Gruppe wandten sich ab und beschäftigten sich wieder mit ihren Zetteln.
"Kannst du wieder aufstehen und zu Mrs Halsey gehen, um dich vermessen zu lassen?" Ich bejahte Mr Fergusons Frage und bedankte mich nochmals bei Brad für den Riegel. Dann stand ich auf. Mein Kopf brummte etwas, aber das ging noch. Ich knüllte die Plastikverpackung des Snickers zusammen und ging dann in den Nebenraum. Miranda folgte mir.
Mrs Halsey war eine etwas kurvigere Frau mit schwarzem Haar und einem frechen Blick. Sie nahm mich mit einem Maßband entgegen.
Während sie das Maßband an meine Beine, Arme, Rücken, Schulter und so ziemlich an jeden Teil meines Körpers hielt, murmelte sie vor sich hin und rief Mr Halsey ab und an Zahlen zu, die dieser schnell auf einen Zettel kritzelte.
"So eine schöne, schmale Taille. Da wird das Kleid ganz bezaubernd aussehen." Sie betrachtete meine Statur nochmals.
"Sind sie eigentlich Hobbyschneiderin?", fragte ich sie interessiert.
"Oh nein. Ich habe diesen Beruf gelernt. Ich bin Schneidermeisterin. Peter meinte, ihr bräuchtet vielleicht Hilfe. Mein Beruf ist mein Hobby. Mir macht die Arbeit also nichts aus." Sie lächelte zufrieden vor sich hin, während sie mich hin und her drehte. "Ich hatte an Abnäher unter der Brust gedacht. Ein dunkler Stoffton würde perfekt zu deiner blassen Haut passen. Das Kleid wird nur leicht ausgestellt sein. Darüber trägst du in einigen Szenen einen langen Mantel, der die Taille perfekt umschmeicheln wird." Sie seufzte. "Das wird einfach wunderschön."
"Sie müssen sich doch für das Schultheater keine Meisterwerke ausdenken. Das ist doch viel zu viel Mühe."
"Weißt du, wenn ich ein Meisterwerk erschaffen kann, schneidere ich euch doch keine Kartoffelsäcke." Ich musste lachen, Miranda auch.
Als Mr Halsey schließlich alle Maße in eine Tabelle geschrieben hatte, gingen wir wieder in die Aula. Hinter der Tür hielt Miranda mich noch kurz fest.
"Geht es dir ganz sicher gut?", fragte sie besorgt.
"Mach dir keine Sorgen. Ich habe wirklich zu wenig gegessen. Und die Beule tut auch immer weniger weh." Etwas erleichterter ließ Miranda mich los und wir gingen wieder zu Gruppe. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass sie mir nicht glaubte.
Mr Ferguson wandte sich an die Gruppe. "Zumindest hatten wir heute gewisse Teilerfolge. Danke für die Probe. Wir sehen uns morgen wieder."
Einige Verabschiedungen wurden gemurmelt, dann lösten sich die Ersten.
"Hey, ich hab meine Flasche nebenan vergessen. Wartest du noch kurz?", fragte Miranda mich.
"Klar."
Mittlerweile war ich allein. Nur Jacob schloss gerade noch die Klappe seiner Ledertasche. Dann kam er nach kurzem Zögern auf mich zu.
"Hey, ehm, kann ich dich um einen Gefallen bitten?" Er knetete nervös seine Hände. Auch wenn es mich wurmte, war jetzt Zuckerbrot angesagt.
"Kommt drauf an, welchen.", sagte ich so neutral, wie ich eben konnte.
"Könntest du das mit dem Polo bitte nicht herumerzählen? Hier an der Schule weiß das keiner."
"Warum hast du es dann mir erzählt?" Jacob fuhr sich durch die Haare. "Hallo? Erde an Jacob!"
"Keine Ahnung. Es ist mir eben so rausgerutscht." Jetzt klang er schon fast panisch. Mein Gott, Polo war ja wohl nicht so peinlich. Nur eben für einen mit Badboy-Ruf. "Ich will nur nicht, dass..." Jetzt sah er fast so aus, als wäre das mit dem Polo DAS Staatsgeheimnis.
"Ist ja gut. Ich sag's schon keinem." Meine Güte. Sein Ruf war ihm wohl extrem wichtig. Da fragt man sich nur, warum er dann klassisches Theater nicht so schlimm fand. Jacob atmete erleichtert aus.
"Danke!", sagte er . "Ach und ich hätte da noch einen Gefallen."
"Und der wäre?"
"Nenn mich bitte Jake. Jacob sagt nur mein Großvater."
"Meinetwegen, JAKE..."
Schließlich kam Miranda und ich nahm meine Tasche. Mit einem letzten Blick auf Jacob - pardon, Jake - gingen wir."Hey, das lief doch gar nicht mal so schlecht." Miranda saß neben mir in der U-Bahn und drückte aufmunternd meine Hand. "Das zeigt, dass Zuckerbrot und Peitsche eine reele Chance für dich ist."
Aufgebracht fuhr ich mir durch die Haare, dabei stieß ich leider gegen die Beule an meinem Hinterkopf. Die tat immernoch ziemlich weh. "Weißt du, das Problem ist nicht, dass wir streiten. Nur sind weder er, noch ich, wir beide nicht in der Lage, ein Liebespaar zu spielen. Dazu muss doch eine gewisse, zumindest gespielte Intimität da sein. Und 'tschuldigung, aber Jake und ich sind vieles, nur nicht intim." Bei Letzterem musste ich verachtend lachen. Allein das Wort 'intim' in Zusammenhang mit unseren Namen war so lächerlich.
"Vielleicht..." Miranda stockte im Satz, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie ihn wirklich vollenden wollte. Gerade hielt die U-Bahn bei Green Park.
"Was?" Ich musterte sie neugierig. Sie kaute auf ihrer Unterlippe herum und sah mich unsicher an. "Nun sag schon! Schweigen ist gerade nicht Gold."
Schließlich setzte Miranda vorsichtig mit dem Satz an. "Vielleicht solltet ihr euch wirklich mal besser kennen lernen. Ihr könntet euch ja mal treffen... oder so." Ich lachte, als hätte Miranda gerade einen ihrer schlechten Witze rausgehauen. Nur leider war es ja keiner.
"Also ehrlich, Miranda. Manchmal bist du urkomisch."
"Aber es ist doch nicht soo abwegig. Du sollst nicht mit ihm flirten. Nur ein bisschen Smalltalk über euer Leben. Das bringt euch etwas näher, anstatt dass ihr euch hasst, ohne euch wirklich zu kennen. Da hatte Mrs Millerton nämlich recht. Du wusstest fast gar nichts über ihn und das mit dem Sport war doch eher geraten als gewusst."
Ich verschränkte meine Arme. "Ich weiß, dass er ein Macho ist, dass er einen Oldtimer-Sportwagen fährt und das er schon mit fast allen Mädchen im Jahrgang geschlafen hat. Zumindest danach geurteilt, mit wem er in den Pausen immer so in seiner Lieblingsnische steht. Ist dir mal aufgefallen, dass diese Mädchen alle so einen verklärten Blick draufhaben, als ob sie nichts außer ihn sehen?" Gott, wie ich diese Mädchen hasste.
"Ja, das nennt man dann auch verknallt sein. Eines Tages werde ich dich mal drauf hinweisen, wenn du so guckst." Miranda grinste mich an. Ich ließ meine Arme zur Seite fallen und benahm mich wie ein bockiges Kind, das genau wusste, dass die Mutter (alias Miranda in meinem Falle) recht hatte.
"Aber ich will nicht, dass er mich kennenlernt. Nachher nimmt er irgendwas über mein Privatleben und streut es dann verzerrt als Gerücht." Ich stellte mir vor, wie Jake meinen Hang zu schokohaltigen Getränken so verdrehte, dass das ein Überbleibsel meiner Zeit als Fettleibige war. Obwohl ich nie übergewichtig war, würde ihm das sowieso jeder aufs Wort glauben. "Und ich will ihn auch nicht kennenlernen. Nachher stellt sich noch heraus, dass er kleine Katzenbabys rettet, und dann habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn anmotze."
"Aber das ist doch der Sinn der Sache.", sagte Miranda. "Wenn ihr euch kennt, habt ihr einen kleineren Drang, den anderen wirklich zu verletzen."
Aber wollte ich das wirklich? Bei all den Dingen, die in meinem Leben so drunter und drüber gingen, war ich mir einer Sache sehr bewusst: Ich hasste Jacob Cooper. Und daran würde sich so schnell auch nichts ändern. Das war der einzig rote Faden, der sich schon durch mein ganzes Leben zog. Aber mir war das Theater so wichtig. Er musste also einen Teil über mein echtes Leben kennen. Darüber, wer ich wirklich war.
Und da fragte ich mich dasselbe. Wer war ich wirklich?
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A Little Dream of You
RomantizmDie 17-jährige Cloe müsste eigentlich glücklich sein. An ihrer High School gibt es nun eine Theater-AG und dann wird auch noch für ihr Lieblingsstück gecastet: Romeo und Julia - Das einzige, was ihr Vater dagelassen hatte, bevor er kurz vor ihrer Ge...