Streit... oder Romeo hat ein Geheimnis

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"Hey, wie geht's?", fragte Ian mich und setzte sich zu Miranda, Christina und mir an den Tisch in der Mensa.
Ich seufzte. "Mum ist immer noch wütend. Und mein Ausgehverbot ist auch noch nicht aufgehoben."
"Das verstehe ich immer noch nicht. Es hatte doch rein gar nichts mit dir zu tun, wie sich diese alte Lady entschieden hat. Außerdem ist das schon über eine Woche her.", sagte Miranda.
"Erst meinte sie, ich hätte mich besser benehmen sollen, aber dann..." Ich musste wieder an gestern Abend denken.

"Mum hat in ihrem Wutanfall Nr.Unzählbar Mrs Shepperd angerufen und eine erneute Erklärung verlangt. Ich hab an der Treppe gestanden und gewartet und als sie dann aufgelegt hat, bin ich schnell nach oben verschwunden.
Sie hat die Tür zu meinem Zimmer so wütend aufgestoßen, dass die Türklinke Putz von der Wand geschlagen hat.
Und dann kam sie mit 'Rate mal, was Mrs Shepperd mir gerade gesagt hat.' Sie hat es in diesem Ton gesagt, den Mütter drauf haben, wenn man sie schwerer als schwer enttäuscht hat. Ich hab noch ahnungslos mit den Schultern gezuckt.
Und dann meinte Mum. 'Evangeline hat mir erzählt, ich solle mir mal was von DEINER Freundlichkeit abgucken. DU hättest dich dem Cooper-Jungen sehr zuvorkommend verhalten.' Und dann hat sie mich gefragt, ob ich mit den Coopers sympathisiere. Das Ende vom Lied ist jedenfalls meine stinksaure Mutter."

"Oh mann, Cloe. Das tut mir echt Leid. Aber den Auftrag hat deine Mutter ja höchst persönlich versemmelt.", sagte Christie und strich mir über den Rücken.
"Darfst du überhaupt auf Theaterfahrt?", fragte Miranda. Ich konnte nur mit den Schultern zucken.
"Mum hat es sicher schon wieder vergessen. Und die Einverständniserklärung hab ich sie schon vorher unterschreiben lassen."
"Wir stehen hinter dir, Cloe.", sagte Ian.
"Wisst ihr, was das schlimmste ist?" Mir kamen Tränen hoch und ich versuchte vergeblich, sie zurück zu halten. "Mum darf auf gar keinen Fall das Stück sehen. Ich glaube, das würde sie mir nie verzeihen. Eigentlich dachte ich, sie würde es verstehen, wenn sie die Aufführung sieht. MICH verstehen. Warum ich mitspiele. Aber sie hört mir ja nicht mal zu."
Als mir dann tatsächlich die ersten Tränen herunterliefen, versuchte ich so leise wie es ging zu schluchzen. Ich wischte die Tränen weg und sah auf. Niemand sollte mich weinen sehen. Doch als ich in die Menge sah, blieb mein Blick an einer Person hängen, die es auf jeden Fall bemerkt hatte: Jacob.

Es wurde gerade an einem weiteren Prolog gearbeitet, während Jake und ich im Zuschauerraum saßen, um "die Zeit für gemeinsame Szenen zu nutzen.", wie Mrs Millerton sagte.
Sie stand vorne mit Mr Ferguson und Mr Halsey und diskutierte über irgendeine Aufstellung.
Ich lernte an meinem Text, während Jacob links von mir saß, ein Sitz zwischen uns.
"Du lernst doch nicht wirklich deinen Text gerade?", fragte er. Bei einem Blick zu ihm sah ich, dass er am Handy saß.
Ich seufzte schwer. "Besser, als am Handy zu gammeln."
"Ich hab' gerade eine Nachricht von meiner Mutter gekriegt und wenn ich die nicht beantworte, kann ich mich auch gleich lebendig begraben."
"Tut mir leid, dass ich dich bei etwas so lebenswichtigem störe.", sagte ich, setzte ein Fake-Lächeln auf und widmete mich wieder meinem Text. Jedoch kam ich nicht zum weiterlesen, denn Jacob redete erneut.
"Es geht nur um die Theater-Fahrt. Sie macht sich Sorgen, dass ich da verhungere, deswegen soll ich ungefähr 10 Tupperdosen Essen mitnehmen."
In meinem Magen zog sich etwas zusammen. Nicht vor Hunger, den hatte ich ausnahmsweise mal nicht. Es war eher Sehnsucht. Ich wünschte mir, dass Mum sich wenigstens ein Mal Sorgen um mich machen würden, wie Jakes Mutter. Ich schluckte schwer und sah auf meine Hand, die den Textmarker so fest umklammerte, dass sie zu zittern begann.
"Hey, Williams. Alles klar bei dir?", fragte Jake leise und setzte sich auf den Platz neben mir.
Ich rang mich zu einem Lächeln durch. "Ja, klar. Bei dir zu Hause müsste die Laune doch eigentich blendend sein nach dem Dinner letzte Woche."
Er lächelte. "Ja, Robert hat tatsächlich mal sowas gesagt wie 'Ich bin stolz auf dich'."
Ich nickte. "Hey, das ist ja schon mal ein Anfang."
Ich wusste nicht genau, was diese Plauderei sollte, aber irgendwie sah ich gerade keinen Grund, mich über ihn aufzuregen. Also tat ich einfach mal so, als hätten wir uns die letzten 17 Jahre nicht durchgehend gehasst.
"Und wie ist es bei dir zu Hause?", fragte er.
Ich räusperte mich. "Alles okay.", log ich. Wir würden hier sicher nicht Therapie spielen.
"Aaah, 'okay'. Dann hast du vorhin beim Mittagessen also vor Glück geweint." Er wandte sich wieder seinem Handy zu und ich wusste nicht so richtig, was seine Intentionen waren.
Ich sah beschämt zur Seite. "Es ist eigentlich vollkommen egal, ob ich geweint habe oder nicht und ob meine Mutter stinksauer ist.", sagte ich matt. "Ich kann's nicht ändern und du genauso wenig."
"Ach was." Er grinste aufmunternd. "Man kann immer was ändern."
Ich schüttelte den Kopf. "Glaubst du, dass dieser Krieg um Aufträge enden wird, solange unsere Eltern noch leben? Dass sie irgendwann aufhören, uns aufeinander zu hetzen? Kein Diplomat der Welt könnte die beiden schlichten. Es ist fast so, als würde meine Mum danach lechzen, deinem Vater die Aufträge zu klauen. Als würde sie immer mehr alles um sich herum vergessen. So langsam glaube ich, dass ich genauso werden könnte. Ich kann's vielleicht nicht mehr verhindern." Gerade wollten die verdammten Tränen wieder meine Wangen überfluten, da kam Ian.

A Little Dream of YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt