Dinner 2.0... oder Julia in der Höhle des Löwen

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"Ich habe vergessen, warum ich dich zurückrief.", rezitierte ich.
Ausgerechnet heute spielten wir die Balkonszene. Natürlich. Mir war noch keine Lösung eingefallen, wie ich dieses Desaster von Familienangelegenheiten klären konnte, also tat ich vorerst so, als wäre alles beim Alten.
"Lass mich hier stehen, bis es dir wieder einfällt.", antwortete Jacob.
"Deine Gegenwart ist mir so angenehm, dass ich vergessen werde, dass ich dich zu lange hier stehen lasse." Das entsprach so gar nicht dem, was ich innerlich dachte. Am liebsten hätte ich Jacob mit all den Problemen vom Spalier geschubst, um ihn nie wieder zu sehen, aber ich bezweifelte, dass das hier irgendjemanden sonst erfreuen würde.
"Stooopp." rief Mr Ferguson. Mittlerweile hatte ich es raus, die feinen Nuancen seiner Stimmung zu verstehen. Und diese hier bedeutete nichts Gutes. "Cloe, was ist nur heute mit dir los? In sechs Wochen ist Premiere und diese Szene will einfach nicht sitzen. Dafür haben wir keine Zeit."
Ich nickte einfach nur bescheiden. Am liebsten würde ich jetzt mich selbst vom Balkon stürzen.
Ferguson seufzte. "Okay, ihr zwei könnt euch umziehen gehen. Wir proben noch einmal Szene sieben."
Jake und ich gingen in den größeren Nebenraum, wo mittlerweile eine Kabine mit Hilfe von Vorhängen an der Decke in der Ecke angebracht war. Eigentlich diente es denjenigen, die mehrere Nebenrollen hatten und während des Stückes nicht die Zeit hatten, in die Toiletten zu rennen um sich umzuziehen.
Ich wollte auf gar keinen Fall, dass Jacob auf mich warten musste, also ließ ich ihm den Vortritt.
Erwartungsvoll starrte ich auf mein Handy, in der Hoffnung, irgendeine wichtige Nachricht zu erhalten, aber der Bildschirm blieb schwarz.
"Hast du mittlerweile herausgefunden, wer das mit dem Polo verbreitet hat?", fragte Jacob plötzlich.
"Nein, habe ich nicht. Aber dafür habe ich meine eigenen Probleme... Ich bin kein Privatdetektiv."
Jacob schob den Vorhang zur Seite. Er hatte wieder seine Jeans an, aber bis zum T-Shirt hatte es nicht mehr gereicht. Mit Hilfe meines Mantras 'nicht glotzen, er ist dein HALBBRUDER' im Kopf gelang es mir erstaunlich gut, über seine Bauchmuskeln hinweg zu sehen.
"Ja, das merkt man."
Ich sah ihn fragend an.
"Also, dass du Probleme hast, nicht, dass du kein Privatdetektiv bist." Er zog sich sein Shirt über den Kopf, dann deutete er mit dem Finger vage auf mich. "Deine ganze... Austrahlung ist heute nicht sehr positiv. Wobei das 'Back-in-black' Outfit von vorhin das irgendwie besser betont hat als dieses niedliche Kleid."
"Jaja, red nur weiter Schwachsinn." Ich nahm die Tasche mit meinen Klamotten und ging hinter den Vohang.
Mir entfuhr fast ein 'Scheiße', als mir einfiel, dass ich das Schnürkleid trug. Mrs Halsey hatte mir vorhin reingeholfen, aber die war jetzt nicht mehr da.
Miranda war sauer auf mich, genau wie Christina, die von meinem Verdacht Wind bekommen hatte und nun schwer beleidigt war. Da halfen auch keine Entschuldigungen.

Einer meiner größten Schwächen war, dass ich unfassbar ungelenkig war. Also kam ich natürlich nicht an die kleine Schleife oben an meinem Rücken ran.
"Ähm, Jake?", ich räusperte mich.
"Jaaa?", kam es verwirrt von der anderen Seite des Vorhangs. Ich öffnete ihn.
"Könntest du mir bitte kurz einen Gefallen tun und die Schleife da hinten aufmachen?"
"Interessant." Er legte sein Handy und seine Schultasche zur Seite und kam auf mich zu. "Kaum brauchst du mal Hilfe, bist du nett wie eh und jäh."
Ich schenkte ihm ein 'ja-du-mich-auch-Lächeln'.
"Gut, dann such dir jemand anderen." Er wollte wieder nach seinem Kram greifen.
"Nein halt!" Jake hielt inne. Ich würde es sicher nicht ertragen, nach Fergusons Ansprache eben durch die halbe Aula zu Ian zu latschen und mir von ihm dann vor aller Augen die Schleife aufmachen zu lassen. "Du hast recht. Ich könnte auch mal freundlicher sein. Aber ich hatte heute echt einen beschissenen Tag." Ich zog eine Hundeschnute.
"Na gut, komm schon her." murmelte er. "Den Blick hält ja keiner aus." Ob er das im positiven oder negativen Sinne meinte, blieb sein Geheimnis.
Er zog die Schleife auf und lockerte das Band etwas. "Danke.", sagte ich.
"Und was genau hat diesen Tag so beschissen gemacht, wenn ich mal fragen darf?" Ich ging wieder zum Vorhang und zog ihn vor mir zu.
"Ach, so allerlei Familiendramen eben. Verrat, Betrug und Hausarrest. Das musst du ja auch von deiner Familie kennen." ...die neurdings auch meine ist. OH GOTT!
"Ja, das kenne ich nur zu gut.", sagte er. Es klang, als würde er dabei lächeln. Bei meinen Familiendramen war mir aber nicht zum Lächeln. "Warum hast du denn bitte Hausarrest?"

A Little Dream of YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt