Ein Traum? ... oder Julias Nervenkostüm

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Kurz hatte ich Angst, es würde noch mehr Scherben regnen, aber offenbar hatte es sich der steinewerfende Vollpfosten anders überlegt.
Jake jedenfalls sprang, nachdem er sichergegangen war, dass keine Granitbrocken mehr flogen, zur kaputten Fensterfront und späte in die Dunkelheit.
Dann biss er sich auf die Unterlippe, die ich gerade beinahe geküsst (!) hätte und sah mich schuldbewusst an.
"Was ist?", fragte ich atemlos.
"Das war Beth. Ich hab sie in der Hecke verschwinden sehen."
Zuerst wollte ich etwas sagen, aber dann blieb es mir in der Kehle stecken. Bethany hatte mich schon davor gewarnt, dass ich ihr und Jake lieber nicht in die Quere kommen sollte. Sie musste uns gesehen haben am Flügel.
Ich hatte das Gefühl, diese Worte würden zwischen uns stehen, aber ich verschwieg sie lieber. Dann würde ich nämlich zugeben, dass da überhaupt etwas war.
"Willst du die Polizei rufen?", fragte ich also.
Jake schüttelte den Kopf. "Nein. Ich werde morgen mit Mum reden und bis dahin werde ich das Fenster irgendwie... zukleben."
Jake verschwand, ohne zu sagen, wohin. Ich wühlte durch meine Haare und sah mir die Scherben an, die den Parkettboden bedeckten. Schließlich ging ich in die Abstellkammer nebenan und suchte im sehr aufgeräumten Zimmerchen nach Besen und Handfeger. Beim Aufkehren der Scherben ging mir nicht aus dem Sinn, dass es zwischen mir und Jake gerade fast zu einem Kuss gekommen wäre; ER hätte allem Anschein nach sogar MICH geküsst. Doch bevor ich entschlüsseln konnte, was das jetzt bedeutete, kam Jake mit einer Malerplane und Panzertape wieder.
"Du hast ja schon gefegt. Danke..." In seinen Augen lag für einen kurzen Moment Erschöpfung. "Kannst du mir noch beim Abkleben helfen?", fragte er.
"Äh, ja. Klar." Ich stellte mich etwas unschlüssig vor das zerbrochene Fenster und hielt die Plane fest, während Jake begann, die Ränder zu befestigen. "So hast du dir deinen 18. Geburtstag wahrscheinlich nicht vorgestellt, oder?"
Er hörte kurz auf, zu arbeiten und musterte mich intensiv. Oh Gott, hoffentlich dachte er nicht, ich meinte den Kuss. Und warum genau war mir das eigentlich wieder so peinlich?
"Naja, ich dachte, Überraschungen sind völlig normal."
Auch er schien das Thema zu umgehen. Wir schwiegen, bis Jake einen Tape-Bogen einmal um das große Loch in der Scheibe geklebt hatte. Die ganze Zeit über wollte ich etwas sagen und wusste dann doch wieder nicht, was eigentlich.
Während Jake das Tape zurückbrachte, ging ich schonmal ins Gästezimmer, um die Heizung aufzudrehen.
Erschöpft ließ ich mich auf das Bett fallen.
"Cloe."
"Ja?", fragte ich hastig und setzte mich auf. Ich hatte nicht bemerkt, dass er im Raum stand.
"Zeig mal deine Hände."
Ich sah ihn verwirrt an, doch dann willigte ich ein. Jake nahm sie vorsichtig entgegen und drehte sie mit den Innenflächen nach oben.
"Du hast dich geschnitten.", stellte er fest. Auch mir fiel nun ein feiner Schnitt zwischen Daumen und Zeigefinger auf, den Jacob nun eingehend beobachtete. Sein Haar war mittlerweile verstrubbelt, was ich unverschämt sexy fand. Schnell zog ich meine Hände wieder zurück.
"Halb so schlimm, es blutet gar nicht mehr." Jake sah mich noch einmal prüfend an, dann nickte er.
"Gut, wir sollten beide ins Bett gehen."
"Mir ist eigentlich so gar nicht nach Schlafen zumute.", beteuerte ich.
"Nein." Jake ließ sich neben mich auf das Gästebett sinken "Mir auch nicht."
"Wir könnten vielleicht proben.", schlug ich vor. Jake sah kritisch zu mir auf. "Offenbar haben wir Mrs Miller heute enttäuscht. Ich finde, wir sollten das aufholen."
"Oh mann." Er legte seine Beine aufs Bett und lehnte sich an die Wand. "Deswegen mache ich mir im Moment am wenigsten Sorgen."
"Hey!", sagte ich empört. "Ich würde das Stück schon ganz gerne aufführen, ohne mich zum Affen zu machen."
"Wir haben das schon so oft geprobt, glaub mir, an uns wird es nicht scheitern."
"Schwörst du?", fragte ich.
Jake nahm mein Kinn und sah mir in die Augen. "Fräulein, bei jenem himmlischen Mond schwör' ich, der alle diese fruchtvollen Wipfel mit Silber mahlt..." Sein schelmisches Lächeln verriet seine Ernsthaftigkeit.
Ich musste kichern. "Schwöre nicht bei dem Mond, dem unbeständigen Mond, der alle Wochen in seinem zirkelnden Kreise sich ändert - oder deine Liebe könnte eben so veränderlich werden."
"Wenn jemals meine redliche Liebe..."
Ich erkannte erst jetzt die Szene, die wir gerade nachspielten...
"Gut, schwöre nicht. So angenehm du selbst mir bist, so ist mir doch diese nächtliche Verbindung nicht angenehm; sie ist zu rasch, zu unbesonnen, zu plözlich zu ähnlich dem Blitz, der schon aufgehört hat zu sein, ehe man sagen kann, es blitzt." Die Parallelen zur Wirklichkeit hinterließen eine Gänsehaut auf meinen Armen. "Gute Nacht, mein Liebster. Diese Knospe von Liebe kann durch des Sommers reifenden Atem sich zu einer schönen Blume entfalten, bis wir wieder zusammen kommen. Gute Nacht, gute Nacht." Ich legte meine Hand auf seine Brust, so wie ich es bei den Proben immer tat. Nun spürte ich, wie sein Herz unter meiner Hand raste und sein Atem schnellte. Wir wussten beide, was jetzt kam. "Eine so süsse Ruhe komme über dein Herz, als die, so ich in meiner Brust empfinde!". Meine Stimme war leise, beinahe flüsternd. Hier lag Shakespeare aber verdammt falsch. Nichts in mir war ruhig und bei Jake erst recht nicht. Sein Puls könnte einen Weltrekord knacken. Ich sah ihm in die Augen und wusste meine Gedanken zu ordnen; ich beugte mich nach vorne, legte einen Arm in seinen Nacken und küsste ihn. Fast im gleichen Augenblick umschlossen seine Hände mein Gesicht. Ich ließ alle Hemmungen fallen und setzte mich auf seinen Schoß, die Hände in seinem Nacken vergraben, während von der piettätvollen Eleganz, die Mrs Millerton immer so hoch lobte, zwischen uns nichts mehr übrig geblieben waren. Jake fuhr mit der Hand meinen Rücken hinunter und jagte mir damit einen Schauer in den Rücken. Ich glaubte, mein Körper war noch nie so unter Strom gewesen. Jede seiner Berührungen sandte ein elektrisches Kribbeln aus in hielten mich dazu an, ihn noch leidenschaftlicher zurückzuküssen.
Mit einem Mal sah ich Jake in die Augen. Sie sahen nicht nur aus, wie Karamell, um sie herum Jakes Kopf hinunter floss tatsächlich ein dicker Sirup. Ich sah auf meine Hände, die sich nur zäh von seiner Brust lösen ließen. Goldene Fäden aus Zucker zogen sich. Meine Hände begannen sich vor meinen Augen zu verflüssigen, ich WURDE zu Karamell.
"Nah? Zu hoch geflogen?", fragte Jake.

A Little Dream of YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt