Eingesperrt...und Julia, die manipulierende Schlange

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Schnell versuchte ich den Gedanken zu verdrängen, der sich gerade in mein Hirn gebrannt hatte. Um mein Gestarre auf Jacob unauffällig zu vertuschen (wenn das denn überhaupt ging), ließ ich langsam meinen Blick von ihm wegschweifen.
Meine Güte, seit wann war ich denn so ein hysterisches Weib, dass ich beim Anblick eines Sixpacks sofort Dopamin in meine Adern pumpte?
Schließlich ließen Christina und Jacob sich dazu herab, sich zu uns zu gesellen. Anscheinend hatten beide nichts mehr zum Thema zu sagen.
Eigentlich hatte ich Christina nicht so eingeschätzt. Sie war ein "braves" Mädchen, so eine vom Typ "Ich mache immer meine Hausaufgaben und alle Lehrer lieben mich". Warum zur Hölle ließ sie sich dann ausgerechnet auf IHN ein? Jacob bedeutete PROBLEME. Das war schon immer so gewesen. Er hatte seine feste Clique, und wer mit der in Kontakt kam, wurde mit in den Dreck gezogen. Es ist, als würde sich sein respektloses, frauenrechtsverachtendes, kriminelles Verhalten auf alle übertragen, die in seiner Nähe waren.
Er hatte so eine Austrahlung, die die meisten weich werden ließ. Er konnte wahrscheinlich auch einen Bundesrichter davon überzeugen, dass das Bemalen von teuren Autos eines Porsche Händlers klug war.
Man hörte gelegentlich davon, dass seine Mutter ihn aus allerlei Problemen mit höheren Autoritäten herausboxte.
Kurz überlegte ich, mal mit Christina zu reden, aber den Gedanken verwarf ich dann wieder schnell. Erstens war das sinnlos, denn alle Jacob-Verehrer fuhren die Krallen aus, wenn man ihn kritisierte, und zweitens war sie eigentlich klug genug, um zu erkennen, wie Jacob war.
Als ich darüber nachdachte, hasste ich ihn gleich wieder ein bisschen mehr. Das tat gut.
Glücklicherweise wollte Mr Ferguson heute mit dem Prolog anfangen, denn es wäre sinnlos, uns ins kalte Wasser zu werfen, wie man bei der ersten Probe gesehen hätte. Wir sollten erstmal ins Stück reinkommen. Das klang doch schon mal gut. Zumal Julia in der ersten Szene gar nicht vorkam und ich nicht sofort von null auf hundert starten musste.
Als ich mir die Besetzung auf der Bühne vom Publikumsraum aus ansah, viel mir sofort jemand ins Auge. Ich glaube, sein Name war Ian Mayfair, wenn ich mich recht erinnerte. Der war mir beim letzten Mal gar nicht aufgefallen. Ich hätte ihn ohne Weiteres aber auch nicht erkannt. Ich war mit ihm in der Grundschule gewesen und seitdem hatte er sich stark verändert. Breitere Schultern, markante Züge und eine deutlich stylischere Frisur als die Beatleshaare vor zehn Jahren und schwubbs... wurde aus dem kleinen Jungen ein wirklich schmucker Typ. Meine Güte, bei diesem Lächeln schmolz man ja dahin.
Meine Schmalzgedanken wurden von Miranda unterbrochen, die mir ihren Ellenbogen in die Seite gestoßen hatte. Was war nur los mit mir heute?
"NA, hast du dich verguckt?", sagte sie mit einem Brauenwackeln.
"Der Typ da oben, mit den dunklen Haaren und dem Sonnenteint. Siehst du ihn?" Miranda suchte erst kurz die Menge auf der Bühne ab, dann nickte sie. "Das ist Ian Mayfair.", erklärte ich ihr.
Miranda riss erschrocken die Augen auf. "NEIN! Verarsch mich bitte nicht." Sie starrte ihn kurz an. "Jetzt sehe ich es auch. Wie lang haben wir den nicht mehr gesehen, dass der plötzlich so HEIß geworden ist?" Was wir so sagten, war eigentlich nur das hin und her Gezische wie zweier Schlangen, weil wir beide versuchten, möglichst zu flüstern, aber irgendwie auch aufgeregt waren.
Leider wurde unsere Schwärmerei (eigentlich zum Glück, sonst wäre ich noch an Hysterie gestorben) von Mrs Millerton unterbrochen.
"Cloe, ich würde gerne noch etwas mit dir besprechen.", sagte sie mit einem honigsüßen Lächeln. Ich nickte stumm und stand auf, um ihr in den Raum neben die Bühne zu folgen, damit wir die anderen nicht störten.
Doch wir gingen nicht in den Nebenraum, den wir sonst nutzten, sondern in einen kleineren Raum daneben. Mrs Millerton kramte in der riesigen Tasche ihrer Haremshose nach dem Schlüssel, dann drehte sie einmal um und zog die Tür auf. Ich ging als erste hinein und stand in eine Art Kostümfundus. Der Raum war vielleicht 6 Quadratmeter groß, aber allein 4 wurden schon von riesigen Regalen eingenommen, die vollgestopft mit irgendwelchen bunten Stoffen waren. Und mitten zwischen dieser Bunten Sammlung an herumhängenden Stoffen stand Jacob, der uns jetzt verwirrt bis schockiert anstarrte - genau wie ich.
"Ähm, Mrs Millerton? Ich dachte, wir wollten noch was besprechen."
Sie hielt den Fuß in der Tür, die offenbar selbstschließend war. Jacob starrte zwischen uns hin und her, offenbar genauso verwirrt wie ich.
"Ach ja, jetzt hab ich das Wichtigste tatsächlich vergessen." Sie drehte sich um und verschwand dann wieder durch die Tür, die nun langsam hinter der stürmischen Frau zuging.
"Was hat sie denn jetzt schon wieder vor? Will sie wieder ihre paartherapeutischen Künste an uns ausprobieren?" Jacob lehnte an einem der Regalpfosten und sah genervt auf das Regal hinter mir. Irgendwie gefiel mir ganz und gar nicht, wie er sich über Mrs Millerton herabließ, schließlich wollte die auch nur helfen. Ich hörte mein Handy piepen.
Wenn er frech wird, weg mit dem Zuckerbrot!
Miranda schien meine Lage zu kennen, ohne dabei zu sein. Ich zückte die rhetorische Peitsche.
"Meine Güte, da soll man sich 10 Minuten mal nicht wie das letzte Arschloch benehmen und schon ist man genervt. Reiß dich mal am Riemen." Doch Jacob ließ sich nicht in seiner verqueren Ansicht beirren.
"Bitte? Tu nicht so, als wärst du nicht auch genervt. Außerdem: Müsstest du jemanden wie dich selbst ertragen, ginge es dir auch beschissen."
"Hah, das ich nicht lache. Wer hatte denn nichts besseres zu tun, als erstmal mit Christina rumzumachen, anstatt seinen Arsch zu den Proben zu bewegen? 'Körperliches Wohlbefinden'." Ich äffte seine Stimme nach. "Gott, sonst hast du doch genug zum Spielen. Musst du da auch Christina mit reinziehen?"
"Mit wie vielen Mädchen, glaubst du, bin ich denn ausgegangen? Bist du etwa eifersüchtig." Er sagte das so ekelhaft eingebildet, dass mir fast die Worte fehlten.
"Worauf sollte ich denn bitte eifersüchtig sein? Darauf, behandelt zu werden, wie ein dämliches Souvenir ohne ausreichend Gehirnkapazität? Nein, danke. Darauf verzichte ich."
"Woher willst du denn wissen, wie ich Christina behandle? Und was geht dich das überhaupt an?" Dann ging ihm - scheinbar - ein Licht auf und er grinste. "Es sei denn, du würdest es gerne am eigenen Leibe erfahren." Er kam langsam auf mich zu. Ich wusste, dass das seine Taktik war, um mich zu verjagen. Und sie wirkte hervorragend. Ich drehte mich sofort auf den Fersen um und öffnete die Tür. Jedenfalls versuchte ich das, denn sie ließ sich nicht öffnen. Ich ruckelte mehrfach daran, doch die Tür gab beim besten Willen nicht nach. Ich sah zu Jacob, der sein 'Ich tu mal so, als würde ich dich anmachen'-Haltung abgelegt hatte und ein wenig besorgt dreinschaute.
"Lass mich mal", sagte er und schob mich grob beiseite. Doch auch er konnte die Tür nicht öffnen. Idiot.
"Bitte nicht.", murmelte ich und betete es etwa 100 Mal im Kopf herunter. Als auch Jacob die Erkenntnis erreichte, dass wir hier eingesperrt waren, begannen wir, wie wild zu klopfen. Irgendwer musste uns ja hören.
"Wo bleibt eigentlich Mrs Millerton? Wollte die nicht längst wieder mit ihrem Plan kommen?", frage Jacob.
Und während wir so vor uns hin hämmerten, traf mich eine weitere Erkenntnis.
"Das ist ihr Plan." Ich stöhnte auf und unterbrach mein Gehämmere, genau wie er. Ich sank mit dem Rücken an der Tür auf den Boden.
Zugegebenermaßen war das ein wirklich guter Plan. Zumindest die Durchführungsweise. Ich bezweifelte, dass nach ein paar Minuten Eingesperrtsein in einem Zimmer unsere Probleme verfliegen würden. Wenn es blöd lief, wurden sie vielleicht sogar noch schlimmer.

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