Familiengeheimnisse... oder ein schlechter Tag für Julia

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Mich riss die Haustürklingel aus dem Schlaf. Ein Blick auf den Wecker verriet mir die genaue Uhrzeit: Es war 8:30. Verdammter Mist, wann hatte ich den Alarm deaktiviert?
Ich riss meine Bettdecke zur Seite und hastete in meinen Kleiderschrank.
Mum hatte mich gestern Abend tatsächlich an der Haustür empfangen - nur eben nicht herzlich. Kaum hatte ich das Haus betreten, ging es los. Was viele mir ein, nicht Bescheid zu sagen, wo ich war? Meine Antwort, es würde sie ja sonst auch nicht interessieren, hatte sie natürlich nicht gelten lassen. Dann hatte sie noch etwa 10 Minuten darüber geschimpft, dass sie mir den Ausflug nicht erlaubt hatte. Mal ganz abgesehen davon, dass sie die Einverständniserklärung eine Woche zuvor unterzeichnet hatte, hatte sie es mir während meines Hausarrests aber auch nicht ausdrücklich verboten.

Heute schrie meine Seele förmlich danach, schwarz zu tragen, um meinen Gemütszustand zu verdeutlichen. Also pfiff ich auf die Kleiderordnung und griff schon fast automatisch nach einer schwarzen Biker-Jeans, einem schwarzen Black Sabbath Shirt, meiner Lederjacke und den schwarzen Boots.
Mit der Haarbürste in der einen Hand packte ich meine Schultasche, während ich hastig meine Frisur bändigte.
Auf dem Weg nach unten hörte ich Stimmen, also verharrte ich mitten auf der Treppe. Zwar direkt neben dem gruseligen Bild an der Wand, aber das war im Moment sowieso nebensächlich.
"Ich schwöre bei Gott, Elizabeth, wenn du mich nicht mit ihr reden lässt, verklage ich dich auf allen Instanzen.", rief eine männliche Stimme.
"Aha, darum geht es dir also, Robert? Mich fertig machen?", sagte Mum wutentbrannt.
Ich lugte um die Ecke. Meine Mutter stand ihrem Erzrivalen, Robert Cooper, direkt gegenüber. Mum sah so wütend aus, dass Todesblick die Untertreibung des Jahrhunderts wäre.
"Sie ist krank, verdammt noch mal! Und du siehst wieder nichts anderes als die Konkurrenz! Ist dir denn sonst nichts heilig?" Robert schien eher verzweifelt als wütend, weswegen ich mich innerlich irgendwie auf seine Seite schlug. Die logisch denkende Hälfte meines Hirns redete mir aber ein, dass ich nur so dachte, weil Mum und ich uns gestern dermaßen gefetzt hatten.
Aber worum ging es hier eigentlich? Wer war krank?
Mum lachte verbittert auf. "Das sagst ausgerechnet DU!" Ihr Finger kam seiner Nase gefährlich nah. "Sie ist MEINE Tochter und du hast nicht darüber zu entscheiden, was mit ihr passiert und was nicht. Wenn sie zum Arzt geht, dann nur, weil ICH es ihr sage!"
Gerade ging ich die Treppe herunter, um auf mich aufmerksam zu machen - denn diese Diskussion ging defintiv zu weit - als bei Robert alle Dämme zu brechen schienen.

"Verdammt, Cloe ist auch MEINE Tochter!" Kurz war es still im Raum.
Dann sagte eine leise Stimme: "Was?" Mir wurde erst kurz danach klar, dass ich das gesagt hatte.
Robert und Mum drehten sich beide abrupt zu mir um. Mums Augen weiteten sich und auch Mr Cooper - pardon, offenbar mein Vater - sah mich geschockt an. Mir hätten so viele Fragen einfallen sollen, die es zu beantworten gab, aber in meinem Kopf war einfach eine gähnende Leere.
"Nein Cloe, dieser Mann redet kompletten Stuss. Wie diese gesamte Sippe von Spinnern!" Sie sah mich an, wohl in der Hoffnung, ich würde ihr glauben.
"Ach Elizabeth, jetzt versuch dich nicht auch noch herauszureden. Du kennst du Wahrheit."
Endlich viel mir etwas ein, was ich sagen konnte. "Aber mein Vater ist weggelaufen. Weg. Er hat mich nicht mal als seine Tochter anerkannt."
"Das hast du ihr also erzählt? Ich wäre WEGGELAUFEN?" Robert wirkte beinahe hysterisch. Dann wendete er sich an mich. "Ich habe dich sehr wohl als meine Tochter anerkannt. Nur hat deine Mutter mich nicht gelassen."
"Du!" Mum atmete zitternd ein, um ihre Wut zu kontrollieren. "Verlässt AUGENBLICKLICH dieses Haus!"
"Wenn ich mit meiner Tochter geredet habe." Er redete ganz ruhig, als wüsste er ganz genau, dass jegliche Aufregung sowieso nur verschwendet war. Wie recht er hatte...
Aber dieses Wort, Tochter, hallte in meinen Ohren wieder. 'Meine Tochter'. Das war, als würde ein lang ersehnter Wunsch endlich real werden. Und jetzt fühlte es sich total komisch an.
"Nein! Auf gar keinen Fall wirst du mit ihr reden." Mum war hochrot geworden. Ihr blondes Haar sah genauso geladen aus wie sie.
"Doch!", sagte ich. Meine Mutter sah geschockt zu mir.
"Nein! Ich verbiete es dir."
Ich stieg gelassen die letzten Stufen hinunter und durchquerte den Raum bis zur Haustür. Vor meiner Mum machte ich halt. "Mach es! Aber du kannst darauf wetten, dass ich in ein einhalb Monaten, wenn ich achtzehn bin, zu meinem VATER gehen werde..." Ich deutete auf Robert. "... und mir von ihm alles erklären lassen werde. Und glaub mir, ich werde dann nicht mehr zurückkommen. Also wenn du mich unbedingt auf alle Zeit loswerden willst: Bitteschön! Verbiete es mir!"
Mum schwieg. Man konnte praktisch sehen, wie sie sich das Hirn darüber zermarterte, wie sie die Katastrophe verhindern konnte.
"Gut, dann wäre das also geklärt. Bist du mit dem Auto hier?", fragte ich Robert. Was für eine blöde Frage eigentlich, natürlich fuhr er nicht mit der U-Bahn. Aber er nickte und wir verließen gemeinsam das Haus.
Ich drehte mich absichtlich nicht um, denn Mums Blick würde mir den ultimativen Schlag in die Magengrube versetzen.

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