Ein Deal... oder wie Julia um den Finger gewickelt wird

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"Also, was machen wir?", fragte Jacob ernst. So kannte ich ihn kaum. Aber ihm schien diese Sache wirklich wichtig zu sein.
Wir standen mit als letzte in der Aula, packten unseren Kram und warteten darauf, dass der Himmel sich auftat und Gott uns eine Anleitung zum Konflikte lösen herunterwarf. Aber der Himmel tat sich nicht auf. Da musste ich wohl selber meine grauen Zellen anwerfen.
Ich räusperte mich, in der Hoffnung, dadurch eine Idee hervorzubringen, aber es kam nichts. Wie denn auch, wenn Jacob und ich uns nicht persönlich kannten und ich somit keinen Plan hatte, was er so gern machte - außer Polo spielen natürlich?
Jake hob seine Augenbrauen. "Isst du gern Sandwiches?"
Ich nickte. Kurz kam mir der Gedanke, das Levington's zu erwähnen, immerhin neutraler Boden, aber dann viel mir ein, dass das lieber mein persönlicher Geheimtipp bleiben sollte.
"Na dann haben wir es doch." Jake schulterte seine Tasche und zog einen Schlüsselbund aus der Jacke. "Ich kenne da einen guten Laden."

Mir wurde etwas mulmig zumute, wieder in seinen Wagen zu steigen und Jake damit die Kotrolle zu übergeben, aber das Schnurren des V8-Motors machte das wieder wett.
Die Sonne schien und Jacob hatte das Dach des Cabrios zurückgezogen. Der Fahrtwind wehte mir leicht durch die Haare.
Im Radio lief 'Whatever it takes' und ich konnte nicht anders, als mit dem Finger mitzutippen.
Wir waren aus der Innenstadt herausgefahren und fuhren gerade auf einer Schnellstraße. In der ferne sah man das Gherkin in mitten des Bankenbezirkes hervorragen. Der Wagen beschleunigte auf 120 km/h, knapp über dem erlaubten Tempolimit. Aber da war ich nicht so penibel, Mum nahm das oftmals auch nicht sehr genau.
Dank des Windschotts auf der Rückbank fuhr die Luft mir nicht so unangenehm in den Nacken, aber dennoch wurden meine Haare zerzaust. Die Oktobersonne heizte noch ein letztes Mal ein.
Ich hob meine Hand und hielt die Finger leicht in den Fahrtwind. Die Strömung tanzte durch meine Finger und es fühlte sich an, als würde sie ein wenig meiner Sorgen mit sich nehmen. Für einen kurzen Augenblick konnte ich mir das Lächeln nicht verkneifen.
Doch dann nahm Jake schon die nächste Ausfahrt. Der Wind um uns herum beruhigte sich wieder und auch der Song im Radio wechselte.
Juke Box Hero. Ein Klassiker, den Mum noch auf einer Vinyl-Platte hatte. Als ich 4 war, hatte sie es öfter mal herausgeholt, hauptsächlich, weil ich immer so gern dazu getanzt hatte. Aber sie hatte damit aufgehört. Vielleicht hatte sie es einfach vergessen.
Jedenfalls hatte ich das nicht, sodass erst mein Finger, dann meine ganze Hand im Beat tippte.
"He heard one guitar, just blew him away...", sang ich leise mit. Im nachhinein dachte ich, der Wind hätte mir den Verstand aus dem Hirn geweht.
Glücklicherweise hielt Jake bald vor einem winzigen Gebäude auf einem Parkplatz. Es war nicht viel größer als ein Imbissladen, dafür aber im Retro-Stil hergerichtet, mit einigen Sitzplätzen davor. Das leuchtende Schild auf dem Dach gab es als „Bert's Best" aus.
"Lass dich vom Äußeren nicht täuschen. Das Essen ist unglaublich."
"Okaaay.", sagte ich verwirrt, hielt mich aber zurück, meine Vorurteile auszusprechen.

Wir stellten uns an die lange Schlange, hauptsächlich Leute im Anzug, die keine Lust hatten, nach dem Feierabend noch zu kochen.
Als wir endlich dran waren, sah der Verkäufer - ein massiger Mann Ende 50 - uns erfreut an. Naja, viel mehr Jacob.
"Jake, Junge, schön dich wiederzusehen. Wo hast du Mark gelassen?"
Ich sah Jake mit einem 'Ja,-wo-hast-du-Mark-gelassen?'-Blick an.
"Der ist glaube ich in China-Town und wettet auf Daisy..."
Sowohl der Verkäufer, als auch ich sahen ihn fragend an.
"Pferderennen.", antwortete Jake seufzend.
"Ah ja, damit hab ich's auch versucht. Aber die Dinger sind irgendwann nicht mehr so gelaufen, wie ich wollte." Er lachte. Der massige Mann kam dabei ins Wippen und irgendwie schien mir das sympathisch. „Also, was kann ich dir - und deiner reizenden Begleitung - bringen?"
Irgendwie war ich geschmeichelt, denn der Verkäufer, wahrscheinlich Bert, hatte so etwas Niedliches an sich. Fast großväterlich.
"Wie isst du dein Sandwich?", fragte Jake.
"Ähm..." Mir war es ein wenig peinlich, meine heimliche Lieblingskombi preiszugeben.
"Saure Gurken, Jalapenos und Cheddar."
Bert hob seine Augenbrauen. "Die Lady hat einen eigenwilligen Geschmack."

Mittlerweile saßen wir im Hyde Park und sahen dabei zu, wie Passanten die Enten fütterten.
Schon beim ersten Bissen hatte ich gemerkt, dass das Sandwich besonders war. Es war mit irgendeiner Soße bestrichen, die ich nicht zuordnen konnte. Jedenfalls war es köstlich. Als ich fertig war, knüllte ich das Papier zusammen und warf es in den Mülleimer neben der Bank.
"Das war echt genial. Wie seit ihr auf den Laden gekommen?"
"Mark wohnt in der Gegend.", antwortete Jake trocken.
Mark war sein bester Freund, soweit ich das wusste.
"Wenn du dich da auskennst, warum sind wir dann hier her gefahren? Wir hätten doch auch da in einen Park gehen können."
"Weißt du Kätzchen, für eine geborene Londonerin kennst du dich aber grottig aus. Da wo Mark wohnt, gibt es keine Parks. Da sind bloß Reihenhäuser."
Ich hatte sofort ein schlechtes Gewissen, weil ich das nicht bedacht hatte. Es musste einen wahnsinnig eingebildeten Eindruck auf ihn machen.
"Du hast recht. Ich kenne mich wirklich grottig aus."
"Als Erbe einer Baufirma ist das natürlich von Vorteil.", witzelte er.
Ich musste seufzen. "Schon komisch, wie wenig Ahnung ich von ihrem Job habe, wenn man bedenkt, wie viel Zeit Mum mit ihrer Arbeit verbringt. Ist das bei euch etwa anders?"
"Naja." Jake knetete seine Hände. "Ich schätze, ich lerne von beiden etwas."
"Das habe ich nie verstanden.", murmelte ich.
"Was?"
"Na dass deine Eltern sich haben scheiden lassen und trotzdem noch gemeinsam eine Firma führen. Und um ehrlich zu sein bin ich darauf schon immer neidisch gewesen.", fügte ich leise hinzu.
"Wieso das denn?", fragte Jake verwirrt.
"Also erstens teilen sie sich die Arbeit wenigstens, damit steigt die Wahrscheinlichkeit immens, dass ein Elternteil mal nicht mit dem Job beschäftigt ist und zweitens..." Ich musste wieder seufzen. "Und zweitens hast du zumindest Beide."
"Du kennst deinen Vater gar nicht?"
Ich schüttelte den Kopf. "Nein, er hat sich noch vor meiner Geburt aus dem Staub gemacht. Das wusstest du nicht?"
Jake sah mich an. Da waren sie wieder, diese Karamellaugen. Oder Gottes Versuch, einen Witz zu reißen. Sie gaben mir dieses Gefühl der Behaglichkeit, obwohl ich das noch nie mit Jake verbunden hatte.
"Sollte ich das wissen?"
"Naja, ich dachte spätestens, nachdem ich den Fehler begangen habe und Chicken Chase davon beim Date erzählt habe, hat er es der gesamten Schule erzählt."
Jacob musste schmunzeln. "Ich interessiere mich eigentlich nicht für Gerüchte. Warum erzählst du sowas ausgerechnet Chase?"
"Mir ist damals Johannisbeerschorle auf's Shirt gekippt und er hat Witze darüber gemacht, dass ich zu Hause von 'Daddy' Ärger kriegen würde. Da ist es mir eben rausgerutscht. Aber das ist schon richtig. Eigentlich ging es ihn nichts an."

In mir fragte eine Stimme, warum zu Hölle ich dann mit Jacob Cooper darüber sprach. In einer Stunde hatte er mich so um den kleinen Finger gewickelt, dass ich ihm dafür nicht mal böse sein konnte. Wahrscheinlich machte er das nicht mal mit Absicht, denn er lachte weder über mich, noch kam irgendeine Art von Beleidung. Aber ich wusste, dass das nicht immer so bleiben würde.

„Also was machen wir jetzt?", fragte ich ihn, damit wir von meinen Dates wegkamen.
Kurz sah Jacob mich überrascht an, aber dann fiel auch ihm wieder ein, warum wir hier waren.
„Richtig. Also die simpelste Lösung wäre, wenn du einfach die AG verlässt und ich meine Literaturnote rette." Ich sah ihn grimmig an. „Ja, ich weiß, das steht nicht zur Debatte. Aber andersherum geht es auch nicht, weil Ferguson ein verdammter Griesgram ist."
Ich starrte auf die Enten im Teich vor uns. Von rechts sah ich gerade einen Erpel herabfliegen, der eine ziemlich ungelenke Landung - vielmehr einen Sturzflug - hinlegte. Ja, das Gefühl kam mir ungemein bekannt vor.
„Deswegen schlage ich einen Deal vor.", unterbrach Jake meine Enten-Gedanken.
„Was denn für einen Deal.", fragte ich und löste meinen Blick vom Teich.
„Einen Friedensvertrag."
„Das halten wir doch niemals durch."
„Einen befristeten Friedensvertrag bis zu den Aufführungen." Das klang schon besser.
„Und was bedeutet das?", hakte ich nach.
„Keine Streiche, keine Beleidigungen, keine Anfeindungen."
„Und eine produktive Arbeitsatmosphäre, bitte. Sonst wird das nie was."
Jake seufzte. Dann schien im klarzuwerden, dass ein mittelmäßiger bis schlechter Romeo auch nicht sonderlich gut bei Ferguson ankommen würden. „Einverstanden."
„Na bitte.", sagte ich zufrieden und reichte Jake die Hand, ohne mir WIRKLICH darüber im Klaren zu sein, was das auf lange Sicht bedeuten würde.

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