Das Polospiel

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Das Spiel war schon fast zu Ende und Miranda und ich saßen ganz vorne auf der Tribüne und knabberten Popcorn. Jacobs Team führte, so wie ich das beurteilen konnte, denn ich hatte wirklich keinen Plan von Polo.
"Oh mann, dass muss sich echt gelohnt haben für Jacob, früh ins Bett zu gehen. Die zerstören ihre Gegner praktisch." Sie schob sich eine weitere Hand Popcorn in den Mund. Mittlerweile war ich mir sicher, dass sie heimlicher Polofan war. Komisch, dass mir das in all den Jahren entgangen war.
Ich sah zu ihr herüber und wurde wieder daran erinnert, was gestern passiert war. Überhaupt daran, was die letzte Zeit los war.
"Weißt du, Miranda, bei all den verrückten Dingen, die sich die letzten Wochen so abgespielt haben - und ich rede hier von den Coopers, meinem Vater, einem Rauswurf, Bethany, Ian und Christina - bin ich echt froh, dich zu haben."
"Ohh.", sagte sie gerührt und umarmte mich fest. Dann brüllte sie mir, wie so ziemlich alle anderen auf der Tribüne, ins Ohr.
"Was ist?", fragte ich verwirrt.
"Cooper ist gefallen" Miranda war unfassbar geladen. "Komm schon, dass war überhaupt nicht fair.", brüllte sie über den halben Platz.
Ich sah, wie Jake aufgeholfen wurde und er in die Kabine humpelte. Auch wenn man von ihm selber keinen Schmerzensschrei beim Aufprall gehört hatte und er gerade nicht mal besonders die Miene verzog, krampfte sich mein Herz vor Mitgefühl zusammen.
Wenige Minuten später war das Spiel zu Ende, - der Spielstand unverändert - als man einen Krankenwagen kommen hörte und Miranda platzte die Hutschnur.
"Du siehst aus, als würdest du gleich in Tränen ausbrechen. Jetzt geh!"
"Was? Wohin?"
Miranda schnalzte mit der Zunge, kippte die letzten Krümel Popcorn herunter, nahm meine Hand und zog mich hinter sich her. Zahlreiche Zuschauer mussten uns vorbeilassen, als wir die Treppe hinunter hinter die Tribüne gingen. Dort war, neben Pferdeboxen und Anhängern, ein Zelt aufgebaut, vor dem schon der Krankenwagen stand. Vor der Tür blieben wir stehen, als ich jemanden einen Frage stellen hörte und Jake daraufhin so schmerzerfüllt schrie, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Jemand trat durch die Öffnung und blieb abrupt vor uns stehen.
"Kann ich Ihnen helfen?", fragte er gestresst.
"Wir sind Freunde von Jake.", antwortete ich schüchtern.
"Wie geht es ihm?", fragte Miranda.
Ich sah durch den Schlitz der Zeltöffnung hindurch und erblickte Jake, der völlig neben der Spur zu sein schien. Er zitterte und atmete schwer. Der Kloß, der sich in meinem Hals bildete löste ein Brennen in meinen Augen aus.
"Er hat wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung und einen Kreuzbandriss. Im Krankenhaus wissen wir mehr."
In diesem Moment kamen die Sanitäter durch die Zeltöffnung und schoben Jake auf einer Liege zum Krankenwagen. Erneut lief mir ein Schauer über den Rücken.
"Ich muss zugeben, ich kenne Cooper nicht sehr gut, ich bin auch nur Co-Trainer. Vielleicht kann einer von euch mit ihm im Krankenwagen mitfahren."
Miranda nickte mir sofort zu. Überhaupt war sie so professionell, dass ich ganz neidisch auf sie war.
"Ich fahre mit.", antwortete ich und ging sofort zum Wagen.
"Gut, dann kann ich sie mitnehmen. Wir fahren hinterher.", sagte der Co-Trainer zu Miranda.
"Wollen sie mitfahren?", fragte einer der beiden Sanitäter - eine höfliche Frau um die 30 - während sie die Liege hineinschoben.
Ich nickte nur, dann wurde ich hineingelassen und setzte mich gegenüber von ihr vor Jake. Der andere Sanitäter fuhr los.

Ich konnte nicht anders als Jake anzustarren, bis er nach gefühlten 1000 Jahren zur Seite sah.
"Kätzchen?", fragte er überrascht. "Seit wann bist du Sanitäter?"
"Seit wann fällst du vom Pferd?", fragte ich zurück.
"Touché.", sagte er. Ich sah, dass seine Hand zitterte und widerstand dem Bedürfnis nicht, sie zu nehmen.
"Du solltest vielleicht nicht so oft auf den Kopf fallen, sonst vergisst du noch deinen Text, Grummelbär."
"Ach was. Und wenn schon, dann kannst du ja Souffleuse spielen. So schlau, wie du bist, hast du bestimmt den ganzen Text mitgelernt."
"Nein.", sagte ich grinsend. "Nur deinen."
Dann hielt der Wagen und Jake wurde herausgezogen.
Zuerst lief ich ihm hinterher bis in die Notaufnahme. Dort wurde ich von einer Schwester aufgehalten.
"Hals- und Beinbruch.", rief ich ihm noch hinterher und sein Lachen beruhigte mich etwas.
"Sie können hier warten."
Ich setzte mich auf einen der überraschend gemütlichen Stühle und wartete. Nach etwa 10 Minuten kamen Miranda und der Trainer.
"Hey, wie sieht's aus?", fragte sie und setzte sich zu mir.
Ich seufzte. "Keine Ahnung. Aber er hat sich noch an mich erinnert, das ist schon mal ein gutes Zeichen.", antwortete ich halb im Scherz.
Wir schwiegen eine Weile, dann raffte Miranda sich auf. "Ich hole mir was aus der Cafeteria. Soll ich was mitbringen?", fragte sie.
"Ja.", sagte ich und schwieg. Viel zu sehr geisterte dieser Schmerzensschrei durch meinen Kopf um vernünftig zu denken.
Miranda wartete auf Details, bis sie schließlich seufzte. "Ich überrasche dich einfach mal."
Dann ging sie den Gang hinunter bis zur nächsten Kreuzung, wo sie verschwand.
"Ich bin übrigens Trainer Ronan. George Ronan.", setzte er nach und hielt mir die Hand hin. Erst jetzt betrachtete ich ihn genauer. Er war vielleicht Mitte 30, seine pechschwarzen Haare waren von wenigen grauen Haaren durchsetzt, aber seine Gesichtszüge ließen dennoch eine Art jugendliche Frische annehmen.
"Cloe.", sagte ich und nahm seine Hand. "Williams." Als ich meinen Nachnamen nannte, hörte George auf, meine Hand zu schütteln, hielt sie jedoch weiter fest, während er mich anstarrte.
"Williams wie... Elizabeth Williams?", fragte er erstaunt.
Ich ließ seine Hand los und seufzte den Boden an. "Nein, eigentlich Williams wie Cloe Williams. Aber mich würde interessieren, warum sie einen Spieler, der seit Jahren im Team ist, nicht richtig kennen."
"Ähm...", bekam ich zunächst als Antwort. "Also ich sollte Jacob wirklich besser kennen. Immerhin ist er mein Neffe... angeheiratet."
Ich starrte ihn an.
"Ich bin mit der Schwester seiner Mutter verheiratet."
"Und trotzdem ist er ihnen praktisch fremd?"
"Naja, also Amelia und Meridith verstehen sich nicht besonders. Meridith war schon immer das Lieblingskind ihrer Eltern und Am hat ihr das immer ein wenig übel genommen. Wir sehen uns so gut wie nie. Dass Jacob in meiner Polomannschaft anfängt war damals viel mehr der Wille seines Großvaters. Der wollte auf gar keinen Fall, dass er sich zu 'Fußball herablässt', um es mit seinen Worten zu sagen. Nicht, dass er keinen Spaß am Sport hätte, aber ich persönlich glaube einfach, dass er im Grunde seines Herzens alles andere als ein verhätschelter Schnösel ist - im Gegensatz zu den meisten anderen im Team. Und seinem Großvater.", sagte er leise dazu. "Er ist zum Training gekommen, hat abgeliefert und ist wieder gegangen. Er ist nie länger geblieben als notwendig."
Ich starrte auf den Boden. "Wissen Sie, in der Schule hat er niemandem vom Polo erzählt. Ich dachte eigentlich, weil es ihm peinlich ist - so ein Snob-Sport. Aber mittlerweile denke ich, er würde da kein Geheimnis draus machen, wenn seine Mannschaft nicht bekanntermaßen eine Gruppe Arschlöcher wäre. Damit würde ich auch nicht gerne angeben."

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