Warum genau war mein Instinkt eigentlich so ein merkwürdiger Idiot?
Jacob und mich verband von Geburt an eine einzige Tirade des Hasses, nie hatten wir uns verstanden, geschweige denn einen Höflichkeitspakt geschlossen. Wir hatten uns die erste Woche in der Theater-AG noch viel mehr als sonst beleidigt, ausgetrickst und bloßgestellt (da musste ich zugeben, dass ich nicht ganz unschuldig war). Aber irgendwie zwang dieses Theaterstück mein Gewissen dazu, vor meinen Gewohnheiten zu kapitulieren. Und das klappte bisher auch relativ gut.
Vier Wochen waren seit unserem Deal vergangen und die halbe Schule hatte mich schon gefragt, ob wir nun befreundet waren, weil wir uns jetzt nicht mehr die Köpfe einschlugen. Meine Antwort darauf war immer die selbe gewesen: Ein dahergelachtes "Oh Gott nein!". Das war das einzige, was mir einfiel, um weitere Fragen zu meiden. Denn die hätte ich eh nicht beantworten können, ohne die Gerüchteküche mit einem ganzen Flammenwerfer anzuheizen.
Jacob und ich spielten Romeo und Julia, so gut es eben ging. Mr Ferguson war nicht hellauf begeistert, aber zumindest bis zu einem gewissen Grade zufriedengestellt. Nach einer unserer Proben zog er mich sogar noch einmal zur Seite.
"Cloe, ich bin wirklich froh, dass du und Jacob euch zusammengerauft habt. Das gibt dem Stück einen richtigen Fortschritt. Was genau hat euch den Anstoß gegeben?", hatte er mich gefragt.
"Ach, der kam von Jacob.", war meine Antwort gewesen, woraufhin ich einen überraschten Mr Ferguson zurückließ.
Es hätte noch hundert mal besser laufen können, wenn die gute Mrs Millerton nicht Tage später mit der glorreichen Idee gekommen wäre, eine Theaterfahrt zu veranstalten.
Gerade saß ich mit Miranda beim Mittagessen nach meinem Literaturunterricht, in dem Mr Ferguson mir und einigen anderen Theater-Leuten im Kurs schon mal einen Veranstaltungplan über die Fahrt gegeben hatte.
"Sie will ernsthaft so ne Art Teamwork-Erlebnis-Trip daraus machen, um den 'Teamgeist' zu stärken. Und Fergy UNTERSTÜTZT das auch noch.", sagte ich genervt, während ich in meinem Hähnchen stocherte.
"Das ist so cool. Wasserrafting, Kanutour, Klettern, Übernachtung in Hütten. Das wollte ich schon immer mal machen." War ja klar, dass Miranda sich freuen würde. Das hatte sie schon gezeigt, als ich das Wort 'Erlebnisfahrt' nur in den Mund genommen hatte. Aber ich wusste nicht, dass Christina auch so ein Fan von Abenteuern war.
Ich grummelte nur irgendwas von Geldverschwendung, als die kaum wahrnehmbare Veränderung des Gesprächstons im halben Raum von Gequatsche auf Getuschel umschlug. Ein klares Indiz für eine neue, unfassbare Entwicklung in jemandes Privatleben.
Ich drehte mich um und der Anblick, der sich mir bot war wirklich unfassbar.
Jacob hatte, die Hand in Beth Lopez' hinterer Hosentasche, die Cafeteria betreten. Beth klammerte sich dämlich grinsend an ihn und genoss sichtlich die Aufmerksamkeit, die jeder im Raum auf sie gerichtet hatte, während Jacob, gelassen wie eh und jäh, zu seinen Freunden rüberschlenderte.
Sie passierten auch unseren Tisch und ich mussten Beth' hässlichen, gewinnenden Gesichtsausdruck auch noch mal an mich gerichtet ertragen. Ich verstand ihre Intention zwar gerade so überhaupt nicht, aber dämlich sah sie allemal dabei aus.
"Ich fass es nicht, dass ich das mal mit Jacob wollte!", zischte Christina, als das neue High-School-Traumpärchen seinen eigenen Tisch erreicht hatte. "Damit wäre ich ja praktisch auf dem selben Niveau wie Beth Lopez. Das ist gruselig."
"Ach quatsch. Genau deswegen bist du ja viel zu gut für ihn." Sie tätschelte Christies Schulter. "Oh Gott." Miranda imitierte ein Würgen. "Jetzt steckt sie ihm auch noch die Zunge in den Hals."
Ich musste irgendwie lachen, genau wie Christina. Die beiden sahen aus wie dieses absurde Paar aus den Teenie-Filmen, das mit aller Macht versuchte, ein verliebtes Paar zu miemen, obwohl JEDER wusste, dass dieser Versuch der Aufmerksamkeit einfach nur traurig war.
Christinas Lachen verstummte. "Oh nein, wenn du dann Jacob küssen musst, kriegst du dann nicht Millionen von Beth' Keimen und stirbst einen grausamen Tod?", fragte sie gespielt schockiert, fiel dann aber zusammen mit Miranda wieder in brüllendes Gelächter.
Auch ich stieg halbherzig mit ein, denn Christina hatte mich an etwas erinnert, das ich einfach wieder in meinem Hirn irgendwo vergraben hatte, weil niemand es mehr angesprochen hatte: Die etwa 6 Küsse in unserem Theater-Stück. Schade, das hatte ich so schön verdrängt, denn bisher hatten unsere Lehrer diese Szenen geschickt gemieden.
"Hey Cloe." Ian ließ sich mit einem Tablett in den Händen auf den Platz neben mir fallen. "Hi Christanda."
"Also deine Namenskombinationen werden auch nicht besser Ian.", sagte Miranda und Christie nickte zustimmend. 'Christanda' war einer von dutzenden Namen, die Ian sich in den letzten Wochen überlegt hatte, um meine beiden Freundinnen zu beschreiben, die seit vier Wochen unzertrennlich waren. Das war manchmal merkwürdig, weil ich und Christie nicht ganz so dicke waren, aber Miranda schaukelte das irgendwie immer. Überhaupt war es komisch, das die füher noch einsame Clique bestehend aus Miranda und mir schon um das doppelte gewachsen war. Mittlerweile schien es ganz automatisch zu gehen, als wenn es nie anders gewesen wäre - die Streberin, der Sunnyboy, die Hobbyschnüfflerin und ich.
Ich war gerade ganz in meinen eigenen Gedanken, als Ian mich anstieß. "Hey, Erde an Cloe!"
Ich zuckte zusammen und atmete laut auf. "Sorry, ich war gerade woanders."
Ian legte mir eine Hand auf die Schulter. "Tschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Was beschäftigt denn eine Cloe Williams so?", fragte er.
Ich seufzte. "Ein Jacob Cooper zum Beispiel."
"Sein nächstes Flittchen muss dich doch nicht kümmern."
Christina warf ihm einen bösen Blick zu. Schnell ruderte Ian zurück. "Ähm, dich hab ich natürlich nicht dazugezählt. Du bist ja viel intelligenter als diese Beth. Er hätte dich nicht verdient. Wahrscheinlich nicht mal Bethany."
Miranda stieß Christie an. "Siehst du. Ich hab's dir ja gesagt."
Ich räusperte mich. "Also mein eigentliches Problem mit Jake ist eher auf das Theater bezogen."
"Seit wann nennst du ihn denn JAKE?", fragte Miranda interessiert und beugte sich zu mir herüber.
Jetzt musste ich mir aber eine Ausrede zusammenschustern. Es sollte ja niemand denken, ich wäre mit Jacob schon auf Kosenamenkurs.
"Ihn kotzt es an, wenn ich ihn so nenne. Dürfen bestimmt nur seine 'Bros'.", war also meine glorreiche Antwort. Aber wenigstens klang sie halbwegs plausibel.
Die anderen stimmten mir lachend zu. Ein Glück, dass sie Jacob nicht so genau kannten.
"Hey Mandy!", kam Christie eine Idee. Sie nannte Miranda oft so, obwohl Miranda diesen Spitznamen eigentlich gar nicht mochte. Christina war das herzlich egal. "Hast du schon das von Fred Alcott gehört?" Und schon begann Christie mit einem brandheißen Gerücht, das mich nicht die Bohne interessierte.
Ian beugte sich zu mir rüber. "Steht unser Date morgen Abend noch?", fragte er. Vielleicht ein bisschen zu laut, denn Timothy Jackson drehte sich sofort um.
"Habe ich gerade das Wort Date gehört?", stieß er in einer schon unverschämten Lautstärke aus.
"Wer hat ein Date?", schrie Tom Jackson, Timothys Bruder, ein paar Tische entfernt durch die gesamte Cafeteria. Wenn das jetzt nicht jeder gehört hatte, mussten einige Watte in den Ohren haben. Die beiden Zwillinge waren nicht mehr im selben Jahrgang, seit Tom sitzen bleiben musste, aber sie waren zusammen immer noch so hirnverbrannt und respektlos, wie sonst auch immer. Dabei war Timothy nur einen Jahrgang unter mir.
"Na unsere Julia. Die geht FREMD!!! Was sagt denn jetzt ihr Romo?", rief Timothy Tom zu. Alle hörten es, alle lachten. Ich ignorierte, dass die Tatsache, dass Tim 'Romo' gesagt hatte, ihn für mich noch dümmer machte. Anscheinend war ich den "Jacob-und-Cloe-spielen-Romeo-und-Julia-Fluch" noch nicht los.
DU LIEST GERADE
A Little Dream of You
RomanceDie 17-jährige Cloe müsste eigentlich glücklich sein. An ihrer High School gibt es nun eine Theater-AG und dann wird auch noch für ihr Lieblingsstück gecastet: Romeo und Julia - Das einzige, was ihr Vater dagelassen hatte, bevor er kurz vor ihrer Ge...