Rast und Last

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Luzi hielt diese anhaltende und drückende Stille nicht mehr aus. Es machte ihn verrückt. Sein Freund wollte nicht mit ihm reden und die Musik hatte er auch kommentarlos ausgeschaltet. Zu seiner Verteidigung, im Radio hatte man auch nur schlechte Musik, schnulzigen Mist oder depressive Melodien gespielt. Aber auch auf Luzis Vorschlag hin, dass sie eine CD einlegen könnten, hatte Jean nur mit einem Kopfschütteln reagiert.

Einen raschen Blick schenkte das L seinem Freund. Jean saß immer noch wie ein kleines Häufchen Elend auf dem Beifahrersitz. Seinen Kopf hatte er an die Scheibe gelehnt und in seinem Blick lag eine gewisse Leere. Es war wirklich kein schönes Bild. Und egal, was er auch versuchte, was für Themen er ansprach, Luzi bekam seinen Löffel nicht zum Reden. Oft antwortete er nur mit Sätzen, die aus einem Wort bestanden. Und vor Berührungen, zuckte er entweder weg oder er ließ sie nur äußerst angespannt über sich ergehen.

Das war auch im Hotelzimmer so gewesen, als sie ihre Sachen zusammengepackt hatten. Luzi hatte ausgecheckt und auf dem Weg nach draußen, zu seinem Auto, hatte er instinktiv die Hand des Halbfranzosen nehmen wollen, doch der hatte es nicht zugelassen. Es war für den kleinen Dudelsackspieler wie ein Schlag ins Gesicht gewesen, auch wenn er verstehen konnte, dass Jean gerade... Zeit für sich brauchte und seine Gedanken ordnen musste. Immerhin war er ja überhaupt zurückgekehrt und hatte deutlich gemacht, dass er nach Hause wollte. Das war doch wenigstens Etwas, oder? Das hieß ja wenigstens noch, dass er mit ihm redete und dass er den Kontakt nicht gänzlich abbrechen wollte... oder?

„Ich... fahre an der nächsten Ausfahrt raus. Ich muss tanken und auch mal für zu ‚zu kurz geratene Dudelsackspieler'", er warf einen schnellen Blick zu seiner Rechten. Jean hatte insofern reagiert, dass er sein Gesicht ein Stück zu ihm gedreht hatte, aber sonst zeigte er keine Regung.

Nur ein einfaches, blödes: „Mhm", kam von ihm.

Luzi nahm einen tiefen Atemzug und zwang sich dazu, nicht laut zu seufzen. Das hätte ihre Lage nämlich auch nicht verbessert. Jean ging es nicht gut und das kleine L würde seinen Ausflug zur Raststätten-Toilette dazu nutzen, mit Alea zu schreiben. Denn vielleicht wusste der Sänger, was zu tun war.

Luzi blinkte schließlich und bremste sein Auto langsam ab. Er schaute sicherheitshalber noch einmal in den Rückspiegel, es hätte ihnen jetzt noch gefehlt, wenn ein unachtsamer Fahrer ihm hinten draufknallen würde, und fuhr dann von der Autobahn ab.

Kaum war das geschehen, schien auch wieder ein wenig Leben in den niedergeschlagenen Halbfranzosen zu kommen, jedenfalls setzte er sich wieder gerader hin und er stieg tatsächlich sogar mit aus, was Luzi doch schon sehr verwunderte. Vielleicht wollte er aber auch einfach nur kurz frische Luft schnappen und dem beengten Auto entkommen.

„So ein... Mist aber auch..." brummte das L, nach dem dritten gescheiterten Versuch den Tankdeckel aufzukriegen. Das ging doch sonst nicht so schwer. Es konnte natürlich auch daran liegen, dass er das Lenkrad zu verkrampft gehalten hatte während der Fahrt und er deswegen keine Kraft mehr hatte. Grund dafür waren nicht etwa die anderen Autofahrer, sondern sein fester Freund, um den sich seine Gedanken fast die ganze Zeit gedreht hatten.

Was es auch war, er bekam das blöde Ding nicht auf und war gerade am Überlegen, ob er es mit der noch übrig gebliebenen Tankfüllung nicht doch nach Hause schaffen würde. Sah aber ein, dass es verdammt eng werden würde.

Eine zweite Hand schob sich in Luzis Sichtfeld und schob seine auf Seite. Jean versuchte ebenfalls den Tankdeckel aufzubekommen, scheiterte aber auch beim ersten Versuch. Ein nachdenkliches Geräusch entwich der Kehle des Trommlers, dann schob er seinen Freund auf Seite, dass er mit der rechten Hand dran kam und tatsächlich, mit Rechts schaffte er es dann.

„Mein Held", kicherte das L und für einen kurzen Moment zuckten sogar Jeans Mundwinkel, aber die kleine, unscheinbare Bewegung war genauso schnell wieder verschwunden, wie sie gekommen war. Und dennoch, sie gab dem Kleineren der Beiden neuen Mut. Vielleicht brauchte Jean wirklich nur ein wenig Zeit.

Nüchtern BetrachtetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt