Herz gegen Kopf

210 23 16
                                    

„Weißt du... so langsam mache ich mir doch Sorgen um dich..." und tatsächlich blickte der kleinere Spiele besorgt hinab auf seinen Kollegen, der auch jetzt noch bäuchlings auf der Bank lag und sich weigerte, aufzustehen.

„Wieso?"

Darauf erhielt Jean nur einen vielsagenden Blick. „Muss ich dir da wirklich eine Antwort drauf geben?" er machte außerdem noch eine ausschweifende Handbewegung in Richtung des Trommlers.

„Ich liege doch gerade so schön", versuchte Jean sich verzweifelt zu rechtfertigen. Er hatte immer noch ein Problem mit seinem kleinen Freund, doch wenigstens war dieses Problem insofern geschrumpft, dass er nicht mehr die ganze Zeit herum zappeln musste, beziehungsweise seine Hüfte anheben musste. Aber eine Beule würde man dennoch erkennen. Das hatte er nun davon, dass er ausgerechnet heute eine enge Hose trug. Und das Hemd hatte er sich auch nicht wieder anziehen können, weswegen er immer noch halbnackt vor dem Mann lag, der ganz offensichtlich etwas für ihn empfand. Konnte der Tag eigentlich noch schlimmer werden? Er glaubte nicht. Es sei denn, das L betrank sich mal wieder über alle Maße, aber in diesem Fall würde ER sich aus der Nummer rausziehen. Darauf hatte er nun wirklich keinen Bock mehr heute. Dann sollte Alea sich halt dieses Mal um ein betrunkenes Bienchen kümmern.

„Was macht ihr denn hier?" es war ausgerechnet Alea, der jetzt seinen Auftritt hinlegen musste. Er kam mit einem Grinsen auf sie zu und während Jean ihm einfach nur einen bösen und warnenden Blick zuwarf, zuckte Luzi mit den Schultern.

„Jean verhält sich komisch."

„Ich liege hier nur", knurrte er und ließ die Arme baumeln.

„Sieht aber nicht sehr bequem aus", war die ‚hilfreiche' Aussage des Sängers. Er hatte seine Stirn in Falten gelegt und schien genauso verwirrt, wie der Dudelzwerg zu sein. „Und warum bist du überhaupt halbnackt? Das kennt man von dir ja gar nicht."

„Ich hab halt Lust drauf", brummte der Halbfranzose. Dieses Ausfragen hatte er schon immer gehasst. Auch bei allen möglichen Familienfesten. ‚Wie sieht es mit einer Freundin aus, hast du wieder Eine? Wann heiratest du? Ob ich wohl je Enkelkinder kriege?' Und seine Standardantwort war erst einmal grundsätzlich ‚nein', gefolgt von ignorieren oder sich von der Festlichkeit frühzeitig verabschieden, weil ihm seine Verwandten mal wieder tierisch auf die Nerven gegangen waren.

„Okay..." beschwichtigend hob der Sänger die Hände.

Das war der Punkt, an dem Luzi sich wieder einschaltete. „Ich hab ihn massiert", erklärte er, ganz stolz.

„Ah." Der Blonde nickte und schenkte dem L ein zufriedenes Lächeln.

Jean hatte keine Ahnung was das sollte und beäugte sein Hemd, was vielleicht, wenn er Glück hatte, in greifbarer Nähe lag. Wenn er es geschickt anstellte und die Beiden sich gegenseitig ablenkten, könnte er vielleicht aufstehen und sich in den Bus flüchten, genauer gesagt, in seine Koje. Vielleicht hätte er da wenigstens seine Ruhe. Nicht um selber Hand anzulegen, er hatte keinen Bock, dass jemand einfach den Vorhang dann aufziehen würde, aber um runterzukommen vielleicht. Das hörte sich doch mal ganz gut an. Jetzt musste er nur auf den richtigen Zeitpunkt warte, was sich wahrscheinlich leichter anhörte, als es eigentlich war.

„Und was habt ihr zwei Hübschen noch gemacht?"

Der Tätowierte begann zu erzählen, mit großer Begeisterung in der Stimme. Er erinnerte Jean, der nur halb zuhörte, an einen aufgeregten Schuljungen, der seinen Eltern von seinem abenteuerreichen ersten Schultag erzählte.

Es hieß: Jetzt oder nie. Also angelte er sich schnell das Hemd und in einer fließenden Bewegung, setzt er sich auf und legte das Kleidungsstück in seinen Schoß. Dort ließ er es liegen, während er sich ausgiebig streckte und so tat, als wäre nichts.

Nüchtern BetrachtetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt