Mut zur Angst

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Es war schwer zu sagen, was der kleine Dudelsackspieler gerade empfand. Es war ganz offensichtlich Schmerz und Trauer in den blauen Augen erkennbar, aber dennoch war da auch immer noch ein Funken von Hoffnung. Er schien also nicht gänzlich von der Aussage seines Angebeteten entmutigt zu sein. Noch nicht jedenfalls.

Luzi biss sich auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach. Liebend gerne hätte er jetzt nochmal mit Alea geredet, ihn um Rat gefragt, aber das konnte er wohl schlecht. Also schluckte er schwer, atmete tief durch und nahm dann all seinen noch vorhandenen Mut zusammen. „Aber du hättest den Kuss zugelassen... warum?"

Auch jetzt dachte Jean angestrengt über seine Antwort nach. Die nächsten Worte mussten mit Bedacht gewählt werden, damit es erst zu keinem Missverständnis kommen würde. Das hätte ihnen nämlich gerade noch gefehlt.

„Weil ich nicht weiß, was ich fühlen soll. Liebe ich dich? Oder ist es doch nur freundschaftlicher oder brüderlicher Natur? Und gleichzeitig bin ich auch irgendwie neugierig. Ich... ich", ein verzweifelter Ausdruck machte sich auf seinem Gesicht breit und er kam ins Stocken.

„Was ist mit dir?" hakte das L nach. Er war entschlossen. Jetzt hatten sie Zeit, jetzt waren sie ungestört. Wenn sie es nicht jetzt besprachen, dann würden sie es wohl nie mehr machen und ewig in dieser Situation hängen bleiben. Und bei aller Liebe, das wollte das Kleine L nicht, ganz im Gegenteil. Er wollte jetzt eine klare Antwort haben. Ein ernst gemeintes ‚ja' oder eben auch ein sicheres ‚nein'. Egal was es werden würde, es sollte eine klare Antwort sein. Was danach kommen würde, würde er ja dann sehen.

„Ich habe... Angst", gab der Halbfranzose schließlich zögerlich zu und setzte sich gerade, in einen Schneidersitz, hin. Die Hände legte er dabei in seinen Schoß und ein wenig bedröppelt, schaute er auf eben jene.

„Angst? Wovor?" seine Stirn hatte er in Falten gelegt und er dachte angestrengt über das Gesagte nach. Doch konnte Luzi sich keinen richtigen Reim darauf machen.

„Wovor habe ich keine Angst?" er seufzte.

„Jean", setzte er an, doch der Tambour schüttelte den Kopf und wies ihn an, ruhig zu bleiben. Er musste nachdenken.

„Wo fange ich an? Ich habe Angst vor den Konsequenzen. Ich will dich nicht als Freund verlieren und auch nicht, dass du wegen mir die Band verlässt. Allgemein habe ich Angst um die Band. Was ist, wenn das zwischen uns nichts wird, oder wenn sich irgendwas ins Negative verändert? Was ist, wenn wir streiten?"

„Du wirst mich nicht als Freund verlieren. Egal, wie du dich entscheidest. Ich werde deine Antwort akzeptieren und dann danach leben. Ich meine... viel Anderes bleibt mir ja dann auch nicht übrig. Natürlich könnte ich auch in Selbstmitleid verfallen, aber... das wäre ja auch keine Lösung, nicht wahr?"

Jean war ein wenig erstaunt, wie gefasst das Kleine L zu sein schien, selbst mit der Aussicht, auf Ablehnung zu treffen. Also hegte er diese Gefühle entweder schon eine ganze Weile, oder aber er hatte sich ordentlich Gedanken gemacht.

„Vermutlich nicht", murmelte er bestätigend, blieb dann aber weiter stumm.

Das Kleine L beobachtete seinen Kollegen ganz genau und rückte dann wieder ein Stück näher. Er legte vorsichtig seine Hand an den tätowierten Unterarm des Trommlers und strich zögerlich über dessen Haut. Natürlich bemerkte er dabei, wie sich eine Gänsehaut bildete, doch gleichzeitig verkrampfte Jean sich auch.

„Da ist doch noch mehr", behauptete Luzi und suchte den Blick seines Kollegen, doch der sah immer noch auf seine Hände, die er weiterhin auf seinem Schoß hielt und nervös knetete. „Jean", bat er, „Sprich mit mir... bitte."

Der Angesprochene kniff die Augen zusammen und nahm einen tiefen Atemzug. Er spürte einen gewissen Druck hinter seinen Augen, hatte sich aber noch im Griff. Das war aber auch Alles so verdammt kompliziert.

Nüchtern BetrachtetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt