Geordnetes Chaos

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Jeans Gebete waren erhört worden. Sein Wagen, der sich eigentlich mitten in der Pubertät befand, war tatsächlich ohne zu zicken angesprungen. Er hatte es eigentlich gar nicht so richtig fassen können. Nicht, wenn er bedachte, was in den letzten beiden Tagen alles schief gelaufen war. Aber umso mehr hatte er sich gefreut, dass es geklappt hatte, diese Kleinigkeit. Die doch irgendwie sehr wichtig war.

Vielleicht hatte es aber auch daran gelegen, dass er seinen Wagen eben ganz brav darum gebeten hatte, ihn nicht hängen zu lassen.

„Komm schon... Bitte. Spring an. Lass mich jetzt nicht im Stich. Ich muss zu meinem Freund", hatte er gesagt, bevor er den Schlüssel im Zündschloss umgedreht hatte und der Motor laut brummend angesprungen war. So, wie es sein musste.

Einen Freudenschrei hatte er sich nicht verkneifen können, dann war der Halbfranzose vom Parkplatz gefahren, mit nur einem ganz bestimmten Ziel im Sinn. Und er wagte es einfach mal zu hoffen, dass nichts mehr dazwischen kommen würde... Sie hatten schließlich schon mehr als genug gelitten, Luzi und er.

Auf halber Strecke fiel Jean dann ein, dass er Luzi vielleicht erst einmal anrufen sollte, um nachzufragen, ob er überhaupt zu Hause war, geschweige denn Zeit und Lust auf ihn hatte. Aber als er an einer Ampel nach seinem Handy kramte um die Freisprechanlage zu aktivieren, fiel ihm auf, dass er doch tatsächlich sein Handy zu Hause liegen gelassen hatte.

Der Trommler fuhr sich mit der Hand durch die schwarzen Haare und überlegte, ob er noch einmal umdrehen sollte, um es zu holen und Luzi anzurufen. Doch dann sprang auch schon die Ampel auf Grün und er fuhr wieder an. Und seinen Entschluss hatte er damit auch gefasst. Er würde jetzt nicht umkehren. Wenn Jemand Etwas von ihm wollen würde, dann hätte dieser Jemand eben tierisch Pech gehabt. Sein Fruchtzwerg hatte nämlich gerade Vorrang. Da gab es nämlich was Wichtiges zu klären.

Jean parkte sein Auto genau vor dem Mietshaus, in dem sein Luzi wohnte. Er war schon ein paar Mal hier gewesen, kannte sich also ein wenig aus und wusste, dass Luzi in der ersten Etage rechts wohnte.

Schnell war der Motor abgestellt und Jean hatte sich abgeschnallt. Er stieg aus, seine Schuhe knirschten auf dem Bodenbelag und er schloss sein Auto sorgfältig ab. Jean atmete tief durch und schritt dann zielstrebig auf die Haustür zu. Das betreffende Klingelschild war auch schnell gefunden und gedrückt und wenig später, ertönte das Summen vom Türöffner.

Ein wenig wunderte es den Halbfranzosen, so hatte das Haus doch eigentlich eine Freisprechanlage, aber er verschwendete keine weiteren Gedanken daran, sondern drückte die schwere, graue Tür auf und fand sich dann in einem Treppenhaus wieder, das seine besten Zeiten auch schon hinter sich hatte. Denn die weiße Farbe, die war schon lange ergraut oder vergilbt. Hier müsste dringend wieder gestrichen werden.

Jean schüttelte den Kopf und stieg zügig die Stufen hinauf, er musste ja nur eine Etage höher. Und kaum hatte er den Absatz erreicht, fiel sein Blick auch sofort auf die geöffnete Wohnungstür, oder genauer gesagt auf den Mann, der im Türrahmen stand und daran angelehnt wartete.

Ihre Blicke trafen sich, Luzis meerblaue Augen weiteten sich und er hatte gerade noch genug Zeit ein erstauntes: „Jean", verlauten zu lassen, dann hatte der schwarzhaarige Schlagzeuger den letzten Abstand auch schon geschwind überbrückt und drückte sich nicht nur an seinen überrumpelten Freund, sondern küsste diesen auch noch fordernd.

Das war so zwar nicht ganz geplant gewesen, doch Jean hatte einfach nicht widerstehen können.

Luzi war mehr als überrascht von dem, was er gerade erlebte. Abgesehen davon, dass er nicht damit gerechnet hätte, dass Jean so bald bei ihm aufkreuzen, geschweige denn sich bei ihm melden würde, Und nun küsste eben jener ihn auch noch. Und er, für einen Moment wusste er nicht so recht, was er denn tun sollte. Den Kuss erwidern oder seinen Löffel von sich drücken, damit sie reden konnten.

Nüchtern BetrachtetWo Geschichten leben. Entdecke jetzt