Ich rannte einfach weiter.
Hätten die Hermeskinder nicht letztens von den Apollohütte ein Schwert gestohlen, dann wären keine Schlösser in die Türen der Hütten eingelassen worden. Da ich es gewohnt war, einfach in jede Tür hineinzumarschieren, kam die Tür, die nicht aufflog wie sonst immer, sehr unerwartet.
Natürlich fing mein verwundeter Arm den Druck zwischen der Tür und meinem Tempo auf, da ich die Tür mit ihm hatte öffnen wollen.
Ich musste den Schrei, der eigentlich aus dem Schmerz heraus aus meinem Mund wollte, mit zusammen gepressten Lippen zurückhalten. Aber für sowas blieb keine Zeit. Mein Rucksack lag immer noch genau da, wo ich ihn zu Beginn der Ferien hingeschoben hatte, als ich im Camp angekommen war, nämlich unter meinem Bett.
In völliger Hektik schmiss ich den unnötigen Kram hinaus, suchte mir eine Garnitur Frischwäsche hinaus und warf sie zusammen mit zwei Geldbeutel in den Rucksack zurück. Einen mit normalem Geld, der andere mit den gesammelten Drachmen. Dann stopfte ich noch ein Flasche Wasser und einen Apfel hinein, die auf meinem Tisch standen. Da fand ich dann noch etwas Ambrosia udn Nektar. Es stand außer Frage, ob ich diese Flaschen mitnahm.
Als ich fertig war, warf ich mir den Rucksack über die Schulter, zupfte meinen Verband wieder zurecht, band mir meine Jacke um und stürmte, wie von der Tarantel gestochen, aus der Hütte, um so schnell wie möglich zur Hermeshütte zu kommen.
Diesmal verlangsamte ich meinen Schritt vor der verschlossenen Tür und knallte meine geballte Faust mehrmals dagegen. Zum Glück waren die Götter jetzt auf meiner Seite, denn es Hannah war , die mir die Tür öffnete.
Ihre bunten Augen weiteten sich um einige Millimeter. Schockiert schaute sie zu mir auf, anscheinend hatte ich sie so überrascht mit meinem übereilten Erscheinen, dass sie nicht auf die Idee kam, mich in die Hütte zu lassen. Sie stand wie versteinert in der Tür und starrte mich an.
Dort blieb sie auch stehen, als ich mich an ihr vorbeischob und selbst verwundert über ihr seltsames Lager auf dem Boden der Hütte erstarrte.
Sie schlief, wohl noch nicht lange, auf einer pechschwarzen Matratze und in einem mit Blumen bestickten Schlafsack, der unordentlich auf dem Boden lag. Ich stand inmitten ihrer kleinen Habseeligkeiten, die um einen zerschlissenen Rucksack verteilt worden waren. Es sah glatt danach aus, als wäre ich nicht der einzige, der sich aus dem Staub machen wollte.
„Was hast du vor?" Meine Stimme war barscher als ich es beabsichtigst hatte, aber allein der Gedanke, dass ich sie nicht mitnehmen konnte, weckte wieder die Panik in mir.
„Ich wollte zu Scooter ziehen, hier gefällt es mir nicht." Von mir ertappt zu werden war schon mal nicht ihr Plan gewesen, sie redete sich hinaus, aber ich wusste, dass sie log. Ich versuchte, sie nicht noch mehr zu verschrecken, doch ich schaffte es nicht, nicht einschüchternd zu klingen.
„Jetzt mal im Ernst, Hannah, was machts du hier?" Als Beweis, dass ich wusste, was sie vorhatte, zeigte ich auf die Karte, die ausgebreitet auf ihrem Bett lag. Jegliche Farbe fiel ihr aus ihrem Gesicht. „Du brauchst doch keine Karte, um in eine benachbarte Hütte umzuziehen, außerdem findest du Camp Half-Blood nicht, das ist da nicht eingezeichnet, nur Long Island."
Ich wollte ihr gerade die lange Insel neben Manhatten zeigen, als ich den fetten, roten Kreis bemerkte, der das Empire State Building in sich einschloss.
„Komm, du willst mich doch auf den Arm nehmen. Möchtest du etwa auf den Olymp?"
Beschämt sah Hannah zu Boden. Ich hatte ins Schwarze getrofffen. Irgendetwas schien sie an ihrem Zehen zu jucken, denn sie trat sich von diesem Moment an immer wieder selber auf ihre Füße.
Sie murmelte etwas auf Deutsch, was ich nicht verstehen konnte, aber ich war mir sicher, dass sie sich selbst verwünschte, dafür, dass sie alles hier liegen gelassen hatte.
Ich schmunzelte, aber ich wartete darauf, dass sie die Wahrheit sagte. Dann gab sie sich geschlagen und seufzte auf. Verlegen strich sie sich ihren Pony aus der Stirn, um mir in die Augen zu schauen. Das war eine ungewöhnliche Eigenschaft von ihr. Sie konnte, wollte nicht lügen und wenn sie sprach, sah sie einem direkt ins Gesicht.
„Ja, ich will zum Olymp. Aber ich habe keine Ahnung, wie ich da hinkommen soll." Hoffnungsvoll trat sie einen Schritt näher, als hätte sie sich kurzerhand einen neuen Plan überlegt, nicht heimlich, sondern in meiner Begleitung zum Olymp zu reisen.
Doch die offizielle Frage blieb aus. Hannahs Augen leuchteten, aber sie traute sich nicht, ihre blass rosanen Lippen zu öffnen und mir die einfache Frage zu stellen. Ich sah, wie sie versuchte, die Worte aus ihrem Mund zu pressen, sie verlagerte ihr Gewicht von dem linken auf den rechten Fuß und die Matratze gab bei jedem Schritt nach. Ich kam ihr entgegen.
„Und du möchtest, dass ich dich dorthin bringe." Irgendwie fühlte ich mich geehrt, doch vermutlich war es eine spontane, aus Umständen heraus geborene Entscheidung gewesen, die sie dazu veranlasst hatte, mich mitnehmen zu wollen.
Obwohl ich nicht wusste, ob ich sie überhaupt zum Olymp bringen konnte, durfte, stieß ich erleichtert die angestaute Luft aus meiner Lunge aus, schon mal den einen meiner Begleiter sicher an meiner Seite zu haben. Auch, wenn sie glaubte, ich wäre der ihrige.
Wir verließen gemeinsam die Hermeshütte, nachdem ich ihr geholfen hatte, ihren Rucksack zu packen. Sie war genauso wie Annabeth darauf bedacht, das einzupacken, was man bei einem Aufrag benötigen könnte. Sie brauchte weder Make Up, noch packte sie sich einen Kamm oder dergleiches ein. Stattdessen stopfte sie ihren Rucksack mit ihrer Salbe, die sie vermutlich ohne Zögern von Clarisse bekommen hatte, sowie massenweise an Verbänden voll.
Sie hatte sich den alten, zerfetzten Rucksack ohne Scham auf den dick verbundenen Rücken geworfen und war vor mir aus der Hütte gestampft, fest im Glauben, ich war ihr Begleiter und nicht umgekehrt.
Leider blieb mir dann noch die Frage, wen ich als meinen zweiten Begleiter mitnehmen sollte. Chiron hatte mir jemanden vorgeschlagen, aber diese Möglichkeit, das hatte ich mir geschworen, würde meine Notlösung sein.
Eigentlich war ich immer noch dazu entschlossen, Annabeth mitzunehmen, doch das hatte Chiron mir mehr als einmal verboten. Er hatte mir eingetrichtert, sie sei für einen Auftrag ins Unbekannte noch immer zu schwach. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich sie den ganzen Weg getragen, nur um ihre Nähe zu spüren. Aber das war egoistisch.
Und außerdem hatte Chiron auf höchst mysteriöse, vorhersehbare Weise herausgefunden, dass ich sowieso versuchen wollte, einen Weg zu finden, Annabeth doch als Begleiterin aus dem Camp zu schmuggeln und so hatte er Mr D damit beauftragt, einen Riegel vor Annabeths Hütte zu schaffen, sodass es mir unmöglich war, sie mir einfach zu schnappen und mit ihr zu entwischen.
Ganz nebenbei bekam Hannah einen Schock, bei dem sie für einige Sekunden die Luft anhielt und vor Angst kein Wort mehr sagen konnte, da sie wie gelähmt dastand, sobald sie Annabeth sah, was den beiden Campleitern ein weiteres Argument gab, Annabeth im Camp zu behalten.
Grover musste für seinen Posten als Beschützer in einem Feriencamp arbeiten und neue Halbgötter finden, er würde in ein paar Tagen abreisen. Auch er stand mir nicht zur Verfügung.
Da ich wirklich niemanden mehr wusste, den ich sonst gerne dabei hätte, überließ ich Hannah die Wahl, zwar lief ich Gefahr, Scooter Tag und Nacht ertragen zu müssen, doch ich ahnte nicht, dass sie wirklich die allerletzte Karte ausspielte.
Denn Miss-ich-habe-Angst-vor-der-nettesten-Person wählte die, die ich nicht einmal im Traum gefragt hätte.
Zu meinem größten Pech willigte Clarisse auch noch ein.
DU LIEST GERADE
Percy Jackson - Der Feind des Halbgottes, inspiriert von Rick Riordan
FanfictionNach dem Krieg gegen den Titanenherrscher Kronos glaubt Percy, endlich einen gewöhnlichen Sommer im Camp Half-Blood verbringen zu können. Doch kaum ist er in seinem zweiten Zuhause angekommen, wird seine Hoffnung zunichte gemacht. Irgendetwas stimmt...