44. a) Verwandtschaft

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„Nein, nein!" Hannah kreischte, sie warf Trauben nach allem, was nach einer Zielscheibe aussah und raufte sich die Haare.

„Mäuschen, ich weiß, wie schlimm das für dich ist, aber...wir mussten es alle einsehen." Penny versuchte Hannah zu beruhigen, doch es klappte nicht. „Dein Bruder war ein toller Mensch und ein guter Vater."

„Aber wieso, wieso gerade jetzt?! Ich habe sie doch zu uns gebracht!" Hannah war außer sich vor Frust und Wut.

„Papi war der Beste", schaltete sich die kleine Sofie ein und saß mit verschränkten Armen auf dem Schoß ihrer Mutter. „Ihm ging es ganz schlecht, jetzt hat er kein Aua mehr."

Nun ja, ich saß also in einer der Hütten des Camps, lauschte, wie ein ohnehin schon verzweifeltes Mädchen von dem Tod ihres einzigen Bruders erfuhr. Mehr bekam ich allerdings nicht mit.

Hannahs Trauer und ihre Wut rückten in den Hintergrund meiner Konzentration, als ich Penelope ansarrte, die Art, wie sie sich bewegte, mächtig und stark, ihre Augen, die alle Farben des Meeres zu haben schienen und nie ruhten. Ich lauschte ihrer Stimme, die so sanft und doch besitzergreifend war, wie der Gesang einer Sirene. Sie hatte dunkelbraune Haare, die ihr wie Wellen auf ihrem Rücken lagen. Einzelne Strähnen waren mit hübschen Muscheln nach hinten gesteckt und ihre Körperhaltung glich der einer Königin.

Ich musste zu lange gestarrt haben, denn plötzlich hockte Penny vor mir und sah mir genau in die Augen. Als sie anfing, mit mir zu sprechen, glaubte ich, sie würde mich in ein Schlaflied wiegen, während ein kräftiger Sturm hinter ihr donnerte.

„Du hast so seegrüne Augen, wie ich es noch nie bei jemandem gesehen habe, der kein..." Sie streichelte mir über die Wange.

„Pfoten von ihm!", schrillte Hannah und schlug ihr auf die Handfläche.„Du hast gerade erst deinen Mann verloren, hör auf, dich direkt an einen neuen ran zu machen!"

„Außerdem bin ich schon vergeben", wandte ich ein und wollte von einem echt bequemen Schaukelstuhl aufstehen, doch Sofie sprang auf meinen Schoß.

„Du erinnerst mich an Opa", giggelte sie und umklammerte mich. Ihre Ansage war deutlich: Du kommst nicht mehr aus meinen Armen!

„Schatz, hör bitte auf, deinen Onkel zu nerven." Penny zwinkerte mir zu und Sofie sprang von meinem Schoß, hörte jedoch nicht auf, mich anzuhimmeln.

„Ähm..." Ich versuchte sie zu ihrer Mutter zu schieben, aber die Kleine dackelte von selbst zurück.

„Könntest du dich bitte vorstellen!" Hannah stand bockig in einer Ecke und versuchte, ihre Stimme vorm Zittern zu bewahren.

„Tut mir leid, ich war etwas zu aufdringlich." Penny reichte mir ihre Hand hin, wie um noch mal neu anzufangen. „Ich bin Penelope, oder Penny, das hier ist meine Tochter Sofie, Bens Tochter, Hannahs verstorbenem Bruder und nun eine kleine Zwischeninfo, ich bin deine Schwester." Stolz auf diese Rede blickte sie mich an und wartete auf den Moment, in dem ich zusammenklappen sollte, was beinahe geschah.

Als ich meine Stimme wiederfand, fragte ich stotternd: „ Du-du bist eine Tochter des Poseidon?"

Yep! Sie konnte mit mir sprechen, wie Tyson. Aber hatte der Pakt zwischen den Großen Drei nicht verboten, dass sie Kinder mit Sterblichen zeugten? Dann war ich nicht der erste Bruch meines Vaters.

Ich verspürte so plötzlich Heimweh,dass ich mich zurück in den Stuhl fallen ließ. In meinen Gedanken warich wieder in einem Camp, doch ich war in diesem, wo ich nicht hingehörte. Meiner Freundin schien dieses Camp überhaupt nicht zu bekommen und Clarisse hatte sich sofort mit ein paar fremden Campbewohnern geprügelt. Tyson hatte ich schon lange nicht mehr gesehen, ihn und seine kleinen Maschinen und Waffen, die er zusammenschraubte. Irgendwann würde er damit dem Camp einen gewaltigen Gefallen machen.

„O Percy, es tut mir leid, wenn ich dich verletzt haben sollte. Du siehst traurig aus. Ist es wegen mir? War ich zu aufdringlich?" Sie kam auf mich zu und drückte mich. Sie war so erwachsen, dass sie mich trösten konnte und ich mich wie ein kleines Kind fühlte. Sicher und geborgen, diese Gefühle verflogen immer so schnell.

„Du solltest etwas essen, nein, wir alle brauchen etwas, um wieder auf die Beine zu kommen. Ihr müsst von eurer Reise furchtbar erschöpft sein, nicht wahr?" Entschlossen sprang sie auf und nahm Sofie auf den Arm. Ich folgte ihr ohne Kommentare, mein Hunger führte mich sofort aus der Tür.

„Kommst du mit, Mäuschen?" Penny blieb in der Tür stehen und wartete auf Hannahs Antwort, doch das Mädchen bekam kein Wort heraus. Hannah saß zusammengesunken in dem Sessel, in dem ich eben gesessen hatte und versteckte ihr Gesicht vor dem Licht, welches durch die offene Türe in das Zimmer schien.

„Komm, wenn du es wieder kannst. Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.Ich werde nach dem Essen nach dir sehen." Sie schloss die Tür hinter sich und zeigte mir dem Weg zum Speisepavillon.

„Ist es richtig, Hannah jetzt alleine in der Hütte zu lassen? Ich meine, wenn sie wirklich ihren Bruder ve-", sagte ich mit gedämpfter Stimme, doch Penny unterbrach mich.

„Percy, er ist wirklich tot, das ist die wahrste Wahrheit, die es gibt." Pennys erwachsenes Gesicht bröckelte. Ihre Augen verloren kurz das Strahlen und versanken in tiefer Traurigkeit. „Wir alle versuchen es zuerst zu verleugnen und wollen es nicht wahrhaben. Aber ich kann es bezeugen. Er ist tot. Und er war die einzig wichtige Person in Hannahs Leben, ich bin nur an seine Stelle getreten." Sie senkte ihren Kopf in die Haare ihrer Tochter, die sich an einem kleinen Schmetterling erfreute, der neben dem Weg auf einer Blume rastete.

„Wir müssen sie alleine lassen. Es fühlt sich falsch an, furchtbar, aber so ist sie. Sie muss sich erst wieder selber finden, erst dann können wir ihr beistehen." Wenn ich mich nicht von ihrer anscheinend plausiblen Erklärung täuschen ließ, konnte ich die Besorgnis, die Angst in Pennys Stimme hören. Über Hannah, aber auch die Angst vor ihr. Aber ich ließ sie in dem Glauben, mich getäuscht zu haben. Es gab wohl einen guten Grund, warum man Hannah alleine lassen sollte, auch, wenn ich mich schlecht fühlte, sie im Stich zu lassen.

Als wir unseren Weg fortsetzten, konnte ich hören, wie Hannah in der Hütte weinte.

Percy Jackson - Der Feind des Halbgottes, inspiriert von Rick RiordanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt